Ein Anschlag auf die Gesellschaft

Kommentar

In der Hanauer Innenstadt wurden gestern insgesamt neun Menschen ermordet. Tatmotiv: Hass und Rassismus. Was wir nicht brauchen: Die Mär des Einzeltäters und des „einsamen Wolfes“.

Mekonnen Mesghena

Eine Diskussion zum Thema "Rechter Terror - Wie schützen wir die offene Gesellschaft?" findet am 17. März 2020, 18 Uhr, in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin statt.

 

Die Liste des rechten Terrors in Deutschland wird langsam lang und unübersichtlich: Es ist gerade eine Woche vergangen, seitdem ein weitverzweigtes Terrornetzwerk enthüllt wurde, welches koordiniert und systematisch an verschiedenen Orten Deutschlands an Muslim*innen ein Blutbad anrichten wollte. Die Rede ist von mehreren "Kommandos", die in zehn Bundesländern zuschlagen sollten. Durch die Anschläge erhofften sich die Rechtsterroristen Gegenangriffe, die in einer Art Bürgerkrieg enden würden. Das ist eine Art von Krieg, von dem Faschist*innen und Rechtsterrorist*innen immer und überall träumen.

Es sind auch nur wenige Monate vergangen, seitdem im Oktober 2019 ein Rechtsterrorist in Halle einen Massenmord an Mitgliedern der jüdischen Gemeinde plante, was mit dem Tod von zwei Menschen endete. Seit 2017 wird gegen das Terrornetzwerk "Nordkreuz" ermittelt, bei dem eine Liste mit etwa 25.000 politischen Gegner*innen gefunden wurde, die im Krisenfall getötet werden sollen.

Dass der mutmaßliche Täter aus Hanau weder dem Landesamt für Verfassungsschutz noch der Polizei bekannt war, ist weder beruhigend noch ein Indiz für seine Einzeltat. Er hatte einen Waffenschein und war Sportschütze. Es wirft eher die Frage auf, wie die Sicherheitsinstitutionen (Polizei, Landeskriminalamt, Verfassungsschutz …) in diesem Land verfasst sind - und die Gesellschaft und ihre demokratischen Institutionen vor dem rechten Terror schützen wollen.

Das Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern, bei dem Sicherheitsbeamte in den Verdacht des Rechtsextremismus geraten, ist kein Einzelfall. In Zusammenhang mit der Terrorgruppe "Nordkreuz" ließ die Staatsanwaltschaft Schwerin drei Ex-Mitglieder des Spezialeinsatzkommandos (SEK) und einen aktiven Beamten festnehmen, da sie Munition aus Polizeibeständen beiseitegeschafft und sie einem Mann mit Kontakten in die "Prepper"-Szene überlassen hätten.

Wenn Terroristinnen und Terroristen in diesem Land Menschen ermorden, dann meinen sie uns alle. Die Opfer erlagen dem Terror, weil sie zufällig „zur falschen Zeit am falschen Ort“ waren. Doch der Terror gilt nicht allein den Opfern. Er gilt uns allen – der ganzen Gesellschaft. Jede*n von uns hätte es treffen können. Der geplante Massenmord in Halle galt Mitgliedern der jüdischen Gemeinde. Gestorben sind zwei Menschen, die zufällig „zur falschen Zeit am falschen Ort“ waren.

Es gehört zum Konzept des Terrorismus, die Gesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen und sie letztlich zu spalten. Den Rechtsterrorist*innen ist jedes Mittel recht. Den Tod von Menschen, die ihrer Meinung nach „nicht gleichwertig“ sind, nehmen sie gerne in Kauf. Das Ziel des rechten Terrors ist in jedem Land der Erde das gleiche – und dürfte in Deutschland historisch gut vertraut sein: die Abschaffung der Demokratie und die Etablierung eines ethno-nationalistischen Systems, dessen Grundideologien Rassismus und Chauvinismus sind.

Diese Ideologie wird in Deutschland heutzutage nicht allein in den Terrornetzwerken gepflegt und verbreitet. Im Bundestag und in verschiedenen Parlamenten des Landes sitzen Politiker*innen, die Hass, Rassismus und Chauvinismus legal verbreiten dürfen. Nicht selten in Talkrunden öffentlich-rechtlicher Medien.

Wenn wir nicht wollen, dass die Liste des rechten Terrors länger wird, müssen wir jetzt und sofort handeln - als eine Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die eindeutig demokratisch, weltoffen und antirassistisch ist. Wir brauchen eine viel mutigere Politik, die die Werte des Grundgesetzes mit allen Mitteln und Konsequenzen verteidigt. Die Zeiten des Wegschauens, weil die Opfer die „anderen“ sind, sind vorbei.

Denn die Geschichte zeigt immer wieder: die anderen sind wir!

Mekonnen Mesghena

Leiter des Referats Migration und Diversity in der Heinrich-Böll-Stiftung