Die Journalistin Nhi Le wurde in den Diskussionen rund um die ostdeutschen Landtagswahlen und das 30-jährige Mauerfalljubiläum 2019 zu einer der prominentesten Stimmen für die Themen Rassismus und viet-deutsche Geschichte in Ostdeutschland. Wie sich das für sie angefühlt hat und warum es ihr so wichtig ist, migrantische Selbstorganiserung in Ostdeutschland sichtbar zu machen, schildert sie in ihrem Kommentar.
Als freie Journalistin, Moderatorin und Speakerin gehört es zu meiner Arbeit, dass ich schreibe und vor allem spreche – in Interviews, bei Vorträgen und Podien. Meine Themen sind Feminismus und Medienkultur, ich beschäftige mich aber auch viel mit Rassismus und Rechtsextremismus. Ich werde eingeladen, um zu meinen Schwerpunkten zu referieren.
Vor dem Hintergrund ostdeutscher Landtagswahlen und dem 30-jährigen Mauerfalljubiläum im Spätsommer 2019 häuften sich plötzlich die Anfragen zu den Themenkomplexen Migration, Rassismus und Viet-Deutsch-Sein, immer im Zusammenhang mit Ostdeutschland.
Durch meine Lebensrealität als in Ostdeutschland geborene Viet-Deutsche habe ich mich natürlich mit diesen Themen auseinandergesetzt, aber sie waren nie mein Schwerpunkt. Es ist vielmehr so, dass die Themen zu mir kamen.
„Wie ist das denn mit dem Rassismus im Osten?“
Innerhalb von drei Monaten gab ich sieben Interviews, nahm an zahlreichen Podien teil, schrieb Artikel sowie einen Buchbeitrag. Dann zog ich den Schlussstrich und sagte, dass man mich bitte nicht mehr zu Ostdeutschland befragen solle. Die Schlagwörter Rassismus, Viet-Deutsch und Ostdeutschland dominierten mein Leben und ich brauchte eine Pause davon. Es fiel mir immer schwerer, mich mit diesen Aspekten auseinanderzusetzen, da sie sowohl für mich als auch für die viet-deutsche Community mit viel Schmerz und aufgearbeiteter Historie einhergehen.
Ich fand es anstrengend, immer wieder die gleichen Fragen gestellt zu bekommen: „Wie ist das denn mit dem Rassismus im Osten und woher kommt das?“. Eine komplexe Frage, der eine einfache Antwort nicht gerecht werden kann. Es frustrierte mich zu wissen, dass die Aufmerksamkeitsspanne an das gegenwärtige Jubiläum gebunden war und vorherige Arbeit scheinbar ignoriert wurde. Es fühlte sich an, als sei die jahrelange Arbeit von nicht-weißen Ostdeutschen unsichtbar.
Aus diesem Grund habe ich diese Übersicht migrantischer Selbstorganisationen im Osten zusammengestellt. Sie soll die schon lang existierende Expertise aufzeigen und Betroffenen als Übersicht für Anlaufstellen dienen. Es ist nur ein kleiner Schritt, aber irgendwie muss es ja vorwärtsgehen, wenn die Diskussion um ostdeutsche Perspektiven und Lebensrealitäten nicht versanden soll.
Ich hatte das Glück, über den Herbst 2019 viele ostdeutsche Menschen mit Migrationsgeschichte kennenzulernen. Die meisten von ihnen kamen als Vertragsarbeiter*innen in die DDR, sind geblieben, haben sich ein Leben aufgebaut und setzen sich seitdem für mehr migrantische Teilhabe ein. Diese Menschen und ihre Geschichten scheinen aber nicht zum Bild der Ostdeutschen zu gehören. „Ich beobachte, dass wir eigentlich noch viel zu wenig darüber wissen, was die ostdeutsche Migrationsgesellschaft ist“, sagte dazu Migrationsforscherin Noa Ha.
Auch Migrant*innen sind Ostdeutsche
Ich habe manchmal das Gefühl, dass migrantische Ostdeutsche und ihre Lebensrealitäten genauso wenig auf dem Schirm sind wie es zu DDR-Zeiten mit Vertragsarbeiter*innen der Fall war. Auf einem Podium erzählte Mai Phuong Kollath, welche Anstrengungen die DDR unternahm, um sie und alle anderen vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen von der Mehrheitsgesellschaft abzuschotten. Sie hatten strenge Kontaktverbote und wurden in eigenen Wohnheimen von der restlichen Bevölkerung isoliert.
Ist das vielleicht ein Grund, warum man sich so wenig mit migrantisch-ostdeutschen Perspektiven beschäftigt? Es wäre zumindest ein Erklärungsansatz, jedoch keine Rechtfertigung. Migrantische Selbstorganisationen und Verbände stehen für ihre Interessen ein. Das bringt aber nichts, wenn sie nicht auch von Politik, Medien und überhaupt der weißen Mehrheitsgesellschaft gesehen werden.
Es ist wichtig, dass wir über die Wende sprechen und wie sie für viele Ostdeutsche Umbruch, Aufbruch, aber auch Verlust bedeutet hat. Die Konversation darf aber nicht bei weißen Ostdeutschen aufhören. Wir müssen über Vietnames*innen reden, die sich für ihren Bleibestatus selbstständig gemacht haben, über Mosambikaner*innen, die bis heute auf ihre Zahlungen warten oder darüber, wie die Wende zu einem erstarkenden Nationalismus und rechtsextremer Gewalt geführt hat, unter der vor allem nicht-weiße Menschen litten und leiden.
Dabei dürfen wir aber nicht zwischen Ostdeutschen und Ausländer*innen trennen. Ein Großteil der ehemaligen Vertragsarbeiter*innen und Einwander*innen sehen sich doch als Deutsche, vielleicht sogar als Ossis. In jedem Fall sind sie Teil der ostdeutschen Gesellschaft. Sie werden nur nicht als solche anerkannt.
Wenn wir also über ostdeutsche Perspektiven sprechen, dann dürfen die Stimmen von ehemaligen Vertragsarbeiter*innen, Migrant*innen oder ganz allgemein ostdeutschen Schwarzen und People of Color nicht fehlen.