Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter

Analyse

Die Ankunft ukrainischer Geflüchteter stellt die deutsche Arbeitsmarktpolitik vor neue Herausforderungen. Welche Lehren lassen sich aus der Vergangenheit ziehen? Dr. Tanja Fendel und Dr. Yuliya Kosyakova vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geben Impulse für eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration, die insbesondere die Bedürfnisse des großen Anteils von Müttern unter den Geflüchteten berücksichtigt.

In einem Großraumbuero sitzen zwei Frauen dicht nebeneinander mit dem Ruecken zur Kamera

Bis Ende April 2022 sind laut Schätzungen des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) rund 5,3 Millionen Menschen vor der verheerenden Gewalt in der Ukraine geflohen. Der größte Teil der Geflüchteten sucht Schutz in Nachbarländern. So hat Polen mit über 2,9 Millionen Menschen derzeit mehr als die Hälfte aufgenommen. Da ukrainische Staatsbürger:innen ohne Visum in die Europäische Union (EU) einreisen und sich im Schengen-Raum frei bewegen können, lässt sich die Zahl der in Deutschland befindlichen Flüchtlinge noch nicht genau beziffern. Nach Angaben des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat (BMI) wurden bis Ende April etwa 610 000 Geflüchtete aus der Ukraine registriert.

Zunächst kommen grundlegenden Aufgaben im Zusammenhang mit der Gewährung humanitären Schutzes, der Unterbringung und Versorgung, eine zentrale Rolle zu. Mittel- bis langfristig wird dann aber die Integration in Arbeitsmarkt und Bildung die politisch größte Herausforderung darstellen. Aus Problemen der Vergangenheit lassen sich hier einerseits Lehren ziehen, andererseits fordert die derzeitige demografische Struktur der Geflüchteten neue Integrationsstrategien. In diesem Bericht werden demzufolge die zentralen Herausforderungen für die Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter diskutiert.

Vielfältige Integrationsbarrieren für den großen Anteil an Frauen mit kleinen Kindern

Mit Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar hat die ukrainische Regierung Männern im wehrpflichtigen Alter eine Ausreise untersagt. So sind es zunächst überwiegend Frauen, von denen ein großer Anteil mit Kindern nach Deutschland kommen. Auch Ältere sind unter den ukrainischen Geflüchteten laut einer Befragung im Auftrag des BMI im März 2022 häufiger als unter in früheren Zeiten nach Deutschland gekommenen Geflüchtetengruppen vertreten, wobei repräsentative Angaben zu Anteilen hier noch nicht existieren.

Auf Basis der IAB-BAMF-SOEP Befragung der seit 2013 nach Deutschland Geflüchteten zeigen Kosyakova und Koautoren, dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen mitunter aufgrund der unterschiedlichen Familienstruktur auch mehrere Jahre nach Ankunft hinter der der Männer zurückbleibt. Dabei war für geflüchtete Frauen mit jungen Kindern nicht nur die Partizipation an Erwerbsarbeit deutlich niedriger als für diejenigen ohne junge Kinder, sondern auch die Teilnahme an Integrationsmaßnahmen. Zwar kann durch Geburt und Betreuung von Kindern eine Teilnahme nicht dauerhaft umgangen, aber zeitlich verschoben werden. Daher wird der Erfolg der Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten zentral von der Integration von Kindern und Jugendlichen in das Bildungssystem abhängen und Betreuungsangeboten für junge Kinder eine wichtige Rolle zukommen.

In diesem Zusammenhang kann erwartet werden, dass der Deutschspracherwerb, als eine der wichtigsten Determinanten einer erfolgreichen Arbeitsmarktintegration, gerade für den großen Teil der ukrainischen Mütter eine große Herausforderung darstellt. Zumal Geflüchtete, die meist unfreiwillig und ungeplant ihr Herkunftsland verlassen mussten, im Durchschnitt besonders selten über gute Sprachkenntnisse des Ziellandes verfügen. Analysen auf Basis der IAB-SOEP Migrationsstichprobe und des Sozioökonomischen Panels (SOEP) zeigen jedoch, dass das Niveau der Deutschsprachkenntnisse der in früheren Jahren aus der Ukraine Zugezogenen recht schnell angestiegen ist – wahrscheinlich auch aufgrund eines überdurchschnittlich hohen Bildungsniveaus. Das Bildungsniveau der in Deutschland lebenden Ukrainer und insbesondere der Ukrainerinnen ist vergleichsweise hoch, auch wenn die Zahlen aufgrund unterschiedlicher Bildungssysteme nicht direkt vergleichbar sind. Viele deutsche Ausbildungsberufe werden in der Ukraine an Hochschulen und vergleichbaren Einrichtungen erworben. Durch Unterschiede in den Bildungssystemen nimmt der Transfer von ausländischem Humankapital eine lange Zeit in Anspruch bzw. ist mitunter nicht vollständig möglich [vi], sodass die Gefahr besteht, dass hohe Anteile der Geflüchteten langfristig unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt sind. Schließlich darf bei einer Diskussion zu Herausforderungen der Arbeitsmarktintegration nicht unberücksichtigt bleiben, dass viele Geflüchtete aus der Ukraine noch lange Zeit unter den traumatischen Erfahrungen, dem Auseinanderbrechen der Familie oder womöglich dem Verlust des Partners oder anderer Familienangehöriger leiden werden.

Langfristige Bleibeperspektive und frühzeitiger Kontakt zum Jobcenter

Eines der größten Probleme der großen Fluchtbewegung nach Deutschland von vor sechs Jahren war die zu Beginn starke Überlastungen von Registrierungsstellen und Behörden sowie langwierige Asylverfahren, die den Übergang in die Integrationsmaßnahmen und den Berufseinstieg verzögert haben. Die Anfang März 2022 von den Innenministern der EU-Staaten einstimmig beschlossene Aktivierung der sog. Massenzustrom-Richtlinie impliziert eine deutlich unbürokratischere Schutzgewährung. Die Richtlinie sieht einen temporären Schutz ohne das Erfordernis individueller Verfahren vor sowie das Recht auf Arbeit, Unterbringung, Bildung, Sozialleistungen und medizinische Versorgung. Der vorübergehende Schutz kann in Abstimmung der Mitgliedsstaaten für maximal drei Jahre gewährt werden und eine hinreichende Dauer sollte sich für die Integration als sehr förderlich herausstellen. In der Vergangenheit hat eine langfristige Bleibeperspektive die Motivation der Geflüchteten Deutsch zu lernen und sich über Maßnahmen oder Bildung für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren deutlich erhöht und für Unternehmen, die Geflüchtete einstellen wollten, Planungssicherheit gegeben. In Deutschland wurde die Richtline über §24 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in nationales Recht umgewandelt. Demnach kann eine Beschäftigung über §4a Absatz 2 AufenthG erlaubt und eine selbstständige Tätigkeit nicht ausgeschlossen werden. Zudem werden die Geflüchteten ab Juni 2022 in die Grundsicherung nach dem SGB II integriert und bekommen damit Zugang zur Arbeitsvermittlung. Ein frühzeitiger Kontakt zum Jobcenter hat sich in der Vergangenheit für Geflüchtete als wichtige Unterstützung für den Arbeitsmarkteintritt erwiesen.

Regionale Verteilung der Geflüchteten

Auf EU-Ebene wurde bisher keine Debatte zur Verteilung der Geflüchteten auf die Mitgliedsstaaten geführt, sodass sie im Rahmen der Visumsfreiheit im Schengenraum das Zielland bislang frei wählen können. Innerhalb Deutschlands sieht §24 AufenthG die Möglichkeit der Verteilung auf die Länder nach dem Königsteiner Schlüssel (also auf Basis der Bevölkerungszahl und dem Steueraufkommen) sowie auf die Kommunen durch die Länder vor. 2015 und 2016 war für die kommunale Verteilung vor allem die Verfügbarkeit von Wohnraum entscheidend, sodass Geflüchtete zu großen Teilen auf strukturschwache Regionen verteilt wurden, in denen ihre Integrationschancen gering waren. Um hohe soziale und wirtschaftliche Folgekosten für die Betroffenen wie auch die Gesellschaft zu vermeiden, empfehlen Forscherinnen und Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der jetzigen Verteilung neben der regionalen Arbeitsmarktlage die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsangeboten, Ortspräferenzen aufgrund von Netzwerken und den regionalen Wohnungsmarkt zu berücksichtigen. Zu befürworten ist die Entscheidung der Innenminister, Geflüchteten nur dann staatliche Vorgaben der Wohnortwahl zu machen, wenn sie nicht privat in Familien oder bei Bekannten untergebracht und versorgt werden können.

Frühzeitige Weichenstellungen

Während sich bereits abzeichnet, dass der Krieg in der Ukraine zu einem außergewöhnlich hohen Niveau der Fluchtmigration führt, ist noch völlig offen, wie viele der bereits nach Deutschland geflohenen und noch ankommenden Geflüchteten längerfristig bleiben werden. Umso wichtiger ist es, möglichst frühzeitig wichtige Weichen für eine erfolgreiche Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft zu stellen, um Gefahren, die aus Planungsunsicherheiten resultieren können, entgegenzuwirken. Eine unsichere Bleibeperspektive in Verbindung mit hohen institutionellen Hürden führte für in früheren Zeiten nach Deutschland gekommenen Geflüchtetengruppen in der Anfangszeit nicht selten zu großen Versäumnissen. Die Einbindung der Geflüchteten aus der Ukraine in den Rechtskreis der Grundsicherung ermöglicht einen frühzeitigen Kontakt zu den Jobcentern, der zu einer intensiven Kontaktdichte ausgebaut werden sollte. Von hoher Bedeutung ist hier die Unterstützung bei der Zuteilung bzw. dem frühzeitigen Besuch von Sprachkursen sowie bei der Arbeitssuche und -vermittlung. Die Beratung zur Anerkennung beruflicher Abschlüsse sowie umfassende Bildungs- und Weiterbildungsangebote können des Weiteren die Transferierbarkeit ausländischen Humankapitals, eine qualifikationsadäquate Beschäftigung sowie die langfristige Aufwärtsmobilität der Geflüchteten fördern. Zudem ist das Angebot psychologischer Betreuungsmöglichkeiten von hoher Relevanz. Aufgrund der spezifischen demografischen Struktur der derzeit ankommenden Geflüchteten wäre des Weiteren ein gezieltes Angebot an Sprach- und Integrationsprogrammen speziell für Frauen sowie an relevanten berufsspezifischen Kurse hilfreich, möglichst in Verbindung mit einem breiten Angebot an Betreuungsmöglichkeiten für Mütter während ihrer Kursteilnahme. In vergangenen nach Deutschland gekommenen Geflüchtetengruppen zeigten geflüchtete Frauen hohe Erwerbsabsichten. Das vergleichsweise hohe Bildungsniveau   sollte ihnen gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt einräumen, sofern sie wichtige Vorkehrungen treffen und dafür durch eine Integration der Kinder in die Schulen, Kindergärten und Kindertagesstätten möglichst frühzeitig entlastet werden.