„Wer sich jetzt nicht positioniert, stärkt die Feinde der Demokratie“

Interview

Seit Wochen gehen Hunderttausende im ganzen Land gegen Rechtsextremismus und Deportationspläne der AfD auf die Straße. Für Samstag plant das neue Bündnis „Hand in Hand“ eine Menschenkette in Berlin. Was jede und jeder gegen die extreme Rechte tun kann und welche Erwartungen sie an die demokratischen Parteien haben, erklärt Mit-Organisator Tareq Alaows.

Teaser Bild Untertitel
Demonstration "Demokratie verteidigen" vom Bündnis #ZusammenGegenRechts am 21. Januar in Berlin.

Heinrich-Böll-Stiftung: Seit mehr als zwei Wochen protestieren hunderttausende Menschen im Land, in Ost und West, in Städten und Dörfern, gegen Rechtsextremismus, Rassismus und für eine offene Gesellschaft. Hat dich das Ausmaß der Demonstrationen überrascht?

Tareq Alaows: Die große Zahl der Menschen hat mich massiv gefreut. Zu sehen, dass an einem Wochenende tatsächlich über eine Million auf der Straße waren, das gibt mir eine größere Sicherheit. Was mich als von Rassismus betroffene Person überhaupt nicht überrascht hat, waren die Ergebnisse der Correctiv-Recherche. Dass Rechtsextreme diese Deportationsfantasien haben, ist an sich nichts Neues. Ich finde aber die Reaktion der Zivilgesellschaft sehr stark. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen jetzt langsam begreifen, dass Rechtsextremismus nicht nur uns betroffene Personen gefährdet, sondern die gesamte Demokratie im Land.

Genau jetzt, wo Rechtsextreme ihre Menschenverachtung immer offener zeigen, indem sie planen, systematisch Menschenrechte abzuschaffen, Menschen zu deportieren, auch deutsche Staatsangehörige – genau jetzt müssen wir alle Position beziehen und uns unserer Verantwortung als Demokratinnen und Demokraten bewusstwerden. Es gibt in dieser Zeit keine Grauzone. Es gibt entweder Demokrat*innen oder Demokratiefeinde. Und diejenigen, die sich jetzt nicht positionieren, tragen dazu bei, dass die Demokratiefeinde noch stärker werden.

Du bist Teil des neuen Bündnisses „Hand in Hand“, das für den 3. Februar eine Menschenkette als Brandmauer zum Schutz des Bundestags plant. Kannst du erklären, wie es zu diesem Bündnis kam? Habt ihr das schon länger geplant oder ist die Idee nach der Correctiv-Recherche entstanden?

Tareq Alaows ist flüchtlingspolitischer Sprecher und Referent für Kampagnen-, Bündnis- und Netzwerkarbeit bei PRO ASYL. Er ist im Jahr 2015 aus seinem Heimatland Syrien vor politischer Verfolgung nach Deutschland geflohen. In Deutschland ist er seit vielen Jahren in diversen Organisationen für die Rechte von Geflüchteten aktiv.

Wir von PRO ASYL haben dieses Netzwerk vor ein paar Monaten zusammen mit anderen Organisationen und Initiativen gegründet. Wir wollten damit ein Zeichen setzen, gegen den Rechtsruck im Land und für echte Antworten auf die Krisen unserer Zeit: die soziale Krise, die Inflation, die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und der Pandemie. Die Politik gibt auf diese Krisen keine zufriedenstellenden Antworten. Zu sagen, geflüchtete Menschen sind daran schuld, dass wir zu wenige Wohnungen haben, ist falsch. Stattdessen brauchen wir mehr sozialen Wohnungsbau, mehr Unterstützung der Kommunen, auch für den Aufbau von Infrastrukturen.

Dann kam die Correctiv-Recherche, die dazu geführt hat, dass viele Menschen jetzt auf die Straße gehen und wir sehen es als unsere Aufgabe als organisierte Zivilgesellschaft, diese Proteste zu unterstützen, lokale Initiativen zu vernetzen. Wir brauchen in diesem Superwahljahr einen langen Atem zum Schutz unserer Demokratie. Das wird ein langer Prozess, der manchmal auch schmerzhaft und schwer sein wird. Aber wir haben keine Alternative. Die einzige Möglichkeit, die AfD zu besiegen, ist, als Zivilgesellschaft zusammenzustehen. Die Menschenkette in Berlin ist für uns erst der Anfang.

Wer gehört zu eurem Netzwerk? Ist es vergleichbar mit dem unteilbar-Bündnis, das sich 2022 aufgelöst hat?

Dem Netzwerk „Hand in Hand“ haben sich mittlerweile über 1.400 Organisationen aus unterschiedlichen Ecken der zivilgesellschaftlichen Arbeit angeschlossen. Unseren Aufruf haben Initiativen aus kleinen Kommunen unterzeichnet, die Evangelische Kirche Deutschland, die Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften. Auch Menschenrechtsorganisationen, Organisationen aus dem sozialen Bereich und Bewegungen wie Fridays for Future. Die Zusammenarbeit so vieler Organisationen zu koordinieren, ist nicht einfach. Es ist aber eine Aufgabe, der wir uns gewidmet haben.

Das Motto für die Demonstration an diesem Samstag in Berlin ist „Wir sind die Brandmauer“. Was wollt ihr damit sagen? Dass die Zivilgesellschaft die Abgrenzung nach Rechts, den Schutz der Demokratie selbst in die Hand nehmen muss?

Wir sehen in letzter Zeit, dass die Brandmauer in vielen demokratischen und bürgerlichen Parteien bröckelt, dass rechtspopulistische Sprache von bürgerlichen Parteien übernommen und dadurch salonfähiger gemacht wird. Wir sehen, dass Gesetze beschlossen werden, die 2016/17 noch Forderungen der AfD waren. Das alles trägt dazu bei, dass der Diskurs im gesamten Land sich nach rechts verschiebt. Und deshalb sagen wir als Zivilgesellschaft jetzt: Wir sind die Brandmauer zum Schutz unserer Demokratie. Und wir freuen uns auf jeden, der sich unserer Brandmauer anschließt.

Was erwartet ihr als Reaktion von der Politik?

Wir brauchen einen neuen Diskurs. Ernsthafte Debatten über die großen Krisen und Probleme, die Menschen in unserer Gesellschaft bewegen. Und wir erwarten Antworten auf diese Krisen, ohne hetzerische und spalterische Debatten. Wir sind alle von irgendwelchen Krisen betroffen, aber nach rechts zu rücken, wird keine Probleme lösen, sondern weitere verursachen und unsere Demokratie gefährden.

Wenn die anderen Parteien auch nach rechts rücken, dann hilft das der AfD.

Oft heißt es, die Demos richteten sich “gegen Rechts”, so schreibt ihr es auch auf eurer Website. Nun gibt es ja aber einen Unterschied zwischen politisch “rechts” und “rechtsextrem”. Die Union befindet sich im politischen Spektrum rechts, ist eine konservative Partei, aber eine demokratische. Müsste man da nicht differenzieren?

Wir sehen, dass der Rechtsextremismus gerade die größte Gefahr ist, auf jeden Fall. Wir sehen aber auch, dass eine Diskursverschiebung nach rechts dem Rechtsextremismus in die Hände spielt. Dass man jetzt im großen Stil abschieben möchte oder die Zahnarztdebatte von Friedrich Merz – das ist nicht zu vergleichen mit diesen Deportationsfantasien, die die AfD hat. Aber wenn die anderen Parteien auch nach rechts rücken, dann hilft das der AfD.

Stattdessen müssen wir an den Menschenrechten festhalten. Und dafür brauchen wir eine mutige Politik. Deswegen adressieren wir auch die bürgerliche Mitte und sagen: Nach rechts rücken ist keine Lösung. Das heißt nicht, dass wir gegen sie sind. Sondern, dass wir mit ihnen zusammen an einem anderen Diskurs arbeiten wollen, der konstruktiv ist und Verantwortung nicht verschiebt.

Es gibt Berichte, dass Unionspolitiker*innen auf den Demonstrationen nicht erwünscht seien. Doch ohne CDU/CSU wird der Kampf um die Demokratie nicht zu gewinnen sein, gerade im Osten ist sie vielerorts die Partei, die gegen die AfD derzeit überhaupt noch gewinnen kann. Sollten konservative Politiker*innen also nicht gerade willkommen sein, weil es auf sie ankommt?

Diese Debatte haben wir im Netzwerk bisher nicht geführt, aber ich persönlich kann dazu sagen: Jeder ist willkommen, der sich dem Rechtsextremismus entgegenstellen und unsere Demokratie schützen möchte. Und jeder ist dann aufgefordert, diesen Worten Taten folgen zu lassen, das gilt auch für Politikerinnen und Politiker, die auf die Demos kommen.

Unser Ziel ist es, lokale Initiativen zu unterstützen.

Auch im Osten gehen die Menschen auf die Straße, teilweise an Orten, an denen dieses Engagement gefährlich werden kann. Wie sind da eure Erfahrungen, was hört ihr von dort?

Wir sind natürlich im Austausch mit lokalen Initiativen in Ostdeutschland, einige haben auch unseren Aufruf unterzeichnet. Unser Ziel ist, sie zu unterstützen. Ich finde es viel mutiger, in Zwickau mit 4000 Menschen zu demonstrieren als in Berlin mit 100.000 Menschen auf die Straße zu gehen. In Berlin weißt du, du kannst danach nach Hause gehen und alles ist gut, in Orten wie Zwickau kann man sich dadurch ernsthaft in Gefahr bringen. Und trotzdem gehen dort Menschen auf die Straße, weil sie keine Alternative zum Schutz der Demokratie sehen.

Diese Menschen verdienen unsere Unterstützung und ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit ihnen. Ich glaube, das ist jetzt die wichtigste Aufgabe für uns alle: Dass wir kommunizieren, uns verbinden, vernetzen und schauen, wie wir die Menschen auf lokaler Ebene unterstützen können.

Habt ihr schon weitere Pläne für dieses Superwahljahr, in dem Kommunal- und Landtagswahlen im Osten anstehen und im Juni die Wahl des Europaparlaments?

Wir haben ein Commitment, dass wir in diesem Jahr weiter zusammenarbeiten wollen. Die Brandmauer ist keine einzelne Aktion, sondern wir müssen dranbleiben und brauchen einen langen Atem. Was genau danach kommt, wird alles noch diskutiert und geplant und das nicht nur innerhalb unseres Netzwerks, sondern auch mit den Menschen vor Ort. Es erreichen uns Anfragen von lokalen Initiativen, die „Hand in Hand“ in ihrem Bundesland gründen wollen. Das sehe ich als wichtige Aufgabe: Dass wir uns nicht auf Berlin zentrieren, sondern in die breite Fläche gehen.

Wie kann man bei euch mitmachen oder euch unterstützen?

Man kann natürlich den Aufruf zur Demo unterzeichnen und an der Aktion von „Hand in Hand“ am 3. Februar in Berlin teilnehmen. Oder man kann sich aus anderen Teilen Deutschlands mit uns vernetzen, um mit unserer Unterstützung ähnliche Aktionen vor Ort zu organisieren.

Einige Menschen fragen sich, was sie noch tun können, außer auf die Straße zu gehen. Hast du da Ideen?

Jeder und jede kann etwas ändern. Unsere Gesellschaft besteht aus vielen einzelnen Menschen. Und deswegen hat jeder auch die Verantwortung, am Abendbrottisch zu Hause über Rechtsextremismus zu sprechen. Gerade auch dann, wenn es innerhalb der Familie oder im Bekanntenkreis nicht so einfach ist. Trotzdem muss man versuchen, Menschen, davon zu überzeugen, dass es keine Lösung ist, rechts zu wählen.

Außerdem: Wir sind als zivilgesellschaftliche Initiativen auf Spenden angewiesen. Wer kann, kann also Geld spenden. Und man kann schauen, welche lokalen Initiativen gibt es bei mir in der Stadt, was brauchen sie, wie kann ich sie unterstützen? So können wir alle gemeinsam zum Schutz unserer Demokratie beitragen.


Das Interview führte Laura Endt.