Die AfD und neurechte Ideologie als Motor rechter Gewalt

Analyse

Die Alternative für Deutschland (AfD) verschiebt die Grenzen des Sagbaren immer weiter nach rechts – und bietet damit einen Nährboden für rechte Gewalt. Journalistin Malene Gürgen analysiert die Narrative und Diskursstrategien der AfD und diskutiert sie im Kontext von rechten Gewalttaten wie den Ausschreitungen in Chemnitz 2018, dem Mord an Walter Lübcke und dem Anschlag in Halle im Oktober 2019.

Demo-Schild mit der Aufschrift "Gegen rechte Hetze, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit - Stoppt die Brandstifter - Stoppt die Afd"

Der Tag, an dem der Traum Björn Höckes wahr wird, ist der 1. September 2018. Der Ort, an dem dieser Traum wahr wird, ist Chemnitz, genauer gesagt, die Chemnitzer Theaterstraße. Hier stehen an diesem Samstag mehr als 5.000 Demonstrant:innen. Darunter Menschen, die das Wort „Arier“ auf dem Arm tätowiert haben, eine „88“ auf dem Hals. Manche tragen die Fahne ihrer neonazistischen Kameradschaft, andere den Schal der rechtsextremen Hooligangruppe, zu der sie gehören. Wieder andere einen Anstecker der NPD. Und ganz vorne in dieser Menschenmenge, als ihre Anführer, da stehen die Politiker und Politikerinnen der AfD, in schwarzen Anzügen und mit einer weißen Rose in der Hand, ausgerechnet.

Bildlicher als hier in der Theaterstraße kann ein politischer Schulterschluss nicht verdeutlicht werden. Und genau dieser Schulterschluss zwischen seiner Partei und dem gesamten Spektrum der extremen Rechten in Deutschland ist es, von dem Björn Höcke so lange geträumt hat.

Später an diesem Tag wird Saifullah Z. zusammengeschlagen. Der damals 20-jährige Afghane lebt seit vier Jahren in Chemnitz. Die Innenstadt hat er an diesem Tag gemieden, einkaufen geht er abends, mit einem Freund, in einem Supermarkt in Chemnitz-Markersdorf, einer ruhigen Wohngegend. Als die beiden auf dem Rückweg sind, werden sie von mehreren vermummten Angreifern überfallen, Faustschläge ins Gesicht, Saifullah Z. geht zu Boden, spürt die Tritte. Die Täter fliehen.

Aus Worten und symbolischen Bildern werden Taten in diesem Spätsommer in Chemnitz. Ein knappes Jahr später, am 2. Juni 2019, wird der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke erschossen. Am 9. Oktober versucht ein Bewaffneter einen Anschlag auf die Besucher:innen der Synagoge in Halle zu verüben, als er scheitert, tötet er zwei andere Menschen. Und am 19. Februar 2020 werden in Hanau zehn Menschen aus rassistischen Motiven ermordet. Allein in den acht Bundesländern, für die der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) die Fälle dokumentiert, werden im Jahr 2019 1.347 rechte, rassistische und antisemitische Angriffe gezählt.

Dass das Erstarken der AfD das politische Klima verändert hat, ist unbestritten. Dass diese Veränderung des politischen Klimas für rechte, rassistische und antisemitische Gewalt mitverantwortlich ist, weist die AfD stets weit von sich. Doch einer genaueren Analyse der neurechten Sprache, Narrative und Deutungsrahmen kann diese Behauptung nicht standhalten, wie dieser Text im Folgenden anhand von ausgewählten Beispielen zeigt.

Die Grenzen des Sagbaren verschieben, bis Sagbares machbar wird

Alexander Gauland, seit 2017 Fraktionsvorsitzender der AfD im Bundestag, hat es 2018 in einer Rede auf dem sogenannten Kyffhäuser-Treffen der Rechtsaußen-Parteiströmung „Der Flügel“ selbst gesagt, und seitdem mehrfach in Interviews wiederholt: Der AfD gehe es darum, die „Grenzen des Sagbaren auszuweiten“. Gauland selbst bemüht sich nach Kräften, diese Losung umzusetzen: Während einer Rede in Thüringen rief er 2017 dazu auf, die damalige Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz „in Anatolien [zu] entsorgen“. Bei einem Kongress der Partei-Jugendorganisation Junge Alternative sagte er 2018, „Hitler und die Nazis“ seien „nur ein Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte. 

Die Äußerungen Gaulands sind Beispiele für eine sprachliche und inhaltliche Verrohung, die die AfD und andere neurechte Akteure gezielt vorantreiben. Mal geschieht das vergleichsweise subtil, etwa, wenn Björn Höcke von „welken Blüten“ spricht, die für „mehr Wuchskraft für die Knospen“ abgeschnitten werden müssen. Und mal geschieht es ganz unverhohlen: Wenn wiederum Gauland nach der Bundestagswahl 2017 den berühmt gewordenen Satz „Wir werden sie jagen“ ins Mikrofon spricht und damit Kanzlerin Angela Merkel meint, wenn Höcke im gleichen Jahr das Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnet. 

Ein wichtiges Instrument dieser Verschiebung, das bei der AfD immer wieder zum Einsatz kommt, ist der gezielte und gewollte Tabubruch, gefolgt von einer – meist halbherzigen – Rücknahme, an die die Selbst-Inszenierung als Opfer eines angeblichen Meinungskartells anschließt. Beispielhaft umgesetzt hat dieses Muster die Berliner AfD-Politikerin Beatrix von Storch in dem berühmt gewordenen Fall, als sie ihre Zustimmung zu einem Schusswaffeneinsatz gegen Geflüchtete an der Grenze damit erklärte, sie sei auf der Computermaus „abgerutscht“ und sich anschließend bitterlich beschwerte, absichtlich falsch verstanden worden zu sein. 

Die Strategie, die Räume des Sag- und Machbaren Stück für Stück zu erweitern, ist ein wesentliches Merkmal neurechter Ideologie und somit weit älter als die AfD. Erfolgreich ist sie auch deswegen, weil sich die Äußerungen, so drastisch sie auch sein mögen, in vielen Fällen knapp jenseits einer juristischen Strafbarkeit befinden. Der Ausdruck „Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner“ etwa, den die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel 2018 in einer Rede im Bundestag verwendete, brachte ihr zwar eine Rüge des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble ein. Strafrechtlich relevant aber ist sie nicht, einprägsam und wirkmächtig dafür umso mehr. 

Wohin sprachliche Hetze führen kann, zeigt der Fall Walter Lübcke auf eindrückliche und tragische Weise. Der CDU-Politiker war bereits 2015 zu einer Hassfigur der Rechten geworden, nachdem er auf einer Bürgerversammlung mit Blick auf rechte Zwischenrufer davon gesprochen hatte, wer die Werte Deutschlands nicht teile, dem stünde es frei, das Land zu verlassen. 

Doch der rechte Hass auf Lübcke hält sich nicht von allein über mehrere Jahre – er wird von rechten Meinungsmacher:innen immer wieder gezielt angefacht. Anfang 2019 beginnt eine erneute Welle der Hetze gegen Lübcke, auch auf unzähligen Social-Media-Seiten der AfD. Erika Steinbach, Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, die über eine große Reichweite in den sozialen Medien verfügt, beteiligt sich aktiv mit eigenen Posts. Die diffamierenden Äußerungen Steinbachs zu Lübcke kommentierten Nutzer:innen mit Sätzen wie „Landesverrat. An die Wand mit dem“, mit Bildern von Galgen oder von Schusswaffen. 

Am 1. Juni 2019 wird Walter Lübcke vor seinem Wohnhaus durch einen Schuss aus nächster Nähe getötet. Als dringend tatverdächtig wird zwei Wochen später ein hessischer Rechtsextremist festgenommen, im August 2020 gesteht dieser die Tat im Gerichtssaal. Noch nach der Ermordung Lübckes fanden sich die erwähnten Äußerungen ungelöscht und unkommentiert auf Steinbachs Profilen. 

Der große Austausch: “Eliten und Migration gefährden das Volk”

Eine der zentralsten und wichtigsten Erzählungen der Neuen Rechten, zu denen neben der AfD auch Akteure wie die Identitäre Bewegung, das Institut für Staatspolitik im sächsischen Schnellroda und ein Konglomerat an Blogs und Zeitschriften zählen, ist die Idee vom „großen Austausch“.

Dabei handelt es sich um eine Verschwörungstheorie, die davon ausgeht, es gebe einen geheim gehaltenen Plan der politischen oder auch wirtschaftlichen Eliten, weiße Bevölkerungen gegen nicht-weiße und/oder muslimische Bevölkerungsgruppen auszutauschen. Entwickelt wurde dieses völkische Narrativ, das im Kern auf nationalsozialistische Ideen zurück geht, in Frankreich, insbesondere in den Schriften des rechten Stichwortgebers Renaud Camus. Zur politischen Agitation genutzt wird es aber inzwischen von rechten Gruppen in den verschiedensten Ländern.

„Der große Austausch“ ist auch deswegen ein wichtiger Agitationsschwerpunkt der sogenannten Neuen Rechten, weil er zwei ihrer wichtigsten Feindbilder vereint: die – angeblichen – politischen Eliten sowie muslimische Gläubige, nicht-weiße Menschen und Migrant:innen. Zusätzlich verschafft er Handlungslegitimation für die Anhänger:innen dieser Theorie, indem er sie in die Position einer gefährdeten Minderheit versetzt, die Opfer einer geheimen Verschwörung wird, gegen die sie sich nur selbst zur Wehr setzen kann.

Die rechtsextreme Identitäre Bewegung verwendet die Erzählung vom „großen Austausch“ auch in Deutschland in fast jeder ihrer politischen Kampagnen. Doch auch in der AfD wird dieses Narrativ genutzt: In seiner Eröffnungsrede eines Bundesparteitags 2018 warnt – wieder einmal – Alexander Gauland vor einem angeblichen „Bevölkerungsaustausch“. Vom "Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch" schreibt auch Björn Höcke in seinem 2018 erschienenen Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“.

Und Beatrix von Storch twitterte schon 2016: „Die Pläne für einen Massenaustausch der Bevölkerung sind längst geschrieben.“ Gegen den UN-Migrationspakt, der im Dezember 2018 verabschiedet wurde, liefen AfD-Politiker:innen Sturm, auch hier war der Verweis auf den angeblichen „großen Austausch“ wieder zentral – der AfD-Abgeordnete Petr Bystron etwa bezeichnete den Pakt als „Abkommen zur systematischen Umvolkung“. 

Die Erzählung des angeblichen „Bevölkerungsaustauschs“ ist wirkmächtig – wie wirkmächtig, ließ sich im Jahr 2019 an gleich zwei mörderischen Taten ablesen. Am 15. März 2019 tötete ein australischer Rechtsterrorist bei einem Anschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen, weitere 50 wurden zum Teil schwer verletzt. Ähnlich wie bereits der rechtsextreme Massenmörder Anders Breivik bezog sich auch der Attentäter von Christchurch explizit auf die Theorie des „großen Austauschs“, im Internet veröffentlichte er vor der Tat ein gleichnamiges „Manifest“. 

Am 9. Oktober 2019 versucht ein bewaffneter Rechtsextremist in Halle am jüdischen Feiertag Jom Kippur in die Synagoge einzudringen, um die dort versammelten Gläubigen zu töten. Als ihm das misslingt, tötet er eine Passantin und den Gast des nahegelegenen Kiez-Döner-Imbisses. Seine Taten überträgt er live per Kamera ins Netz. 

Neun Monate später wird dem Attentäter von Halle der Prozess gemacht. Vor Gericht spricht er davon, wie ihn der Terroranschlag in Christchurch fasziniert habe. Zentrales Motiv auch hier: Die Verschwörungstheorie vom „großen Austausch“. Noch im Gerichtsaal faselt er von einem „weißen Genozid“, der von Juden begangen werde; von Muslimen und Geflüchteten, die Deutschland „erobern“ würden. Vor seiner Tat hatte er ebenfalls ein "Manifest" veröffentlicht, in dem er sich zum Teil eines „weißen Kampfs“ gegen den angeblichen Austausch erklärt. Eine Erzählung, für die es keinerlei Beweise gibt, die mörderischen Hass gegen jüdische, muslimische und migrantische Menschen legitimiert – und die von führenden AfD-Politiker:innen immer und immer wieder ins Feld geführt wird. 

Bürgerkrieg und Revolution – die Beschwörung von Tag X

Die schleichende Verschiebung des Sagbaren und der geschickte Einsatz menschenfeindlicher Narrative bereiten den Nährboden nicht nur für Hass und Hetze, sondern auch für physische rechte Gewalt. Ein drittes Element neurechter Ideologie und Strategie trägt dabei entscheidend dazu bei, dass aus Worten tatsächlich Taten werden: die Erzeugung eines vermeintlichen Handlungsdrucks durch die Beschwörung eines nahenden „Tag X“, an dem das Schicksal des „Volks“ entschieden werde. 

In seinem bereits erwähnten Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ entwirft Björn Höcke ein drastisches Untergangsszenario: Die Demokratie befinde sich „im letzten Degenerationsstadium“, der „Volkstod“ stehe unmittelbar bevor. Doch Höcke macht seinen Lesern auch Hoffnung: auf eine „Wendephase“, eine „Renovation“, in der „wohltemperierte Grausamkeit“ notwendig sein werde, um einen „alleinigen Inhaber der Staatsmacht“ an die Macht zu bringen. Kurz: Höcke ruft zu einem gewaltsamen Umsturz auf. Getragen werden soll dieser von drei Gruppen: der AfD, einer „protestierenden Bürgerbasis“ sowie einer „Front aus den frustrierten Teilen des Staats- und Sicherheitsapparates.“

Skizziert ist damit eine Vorstellung, die sich bei unzähligen rechten Akteuren findet, von der rechtsterroristischen Organisation „Revolution Chemnitz“, die den Umsturz schon im Namen trägt, über die sich auf einen nahenden „Tag X“ vorbereitenden rechtsextremen Prepper-Gruppen bis hin zu rechten Netzwerken in den Sicherheitsbehörden. Die Gegenwart wird in den dunkelsten Farben gemalt – der Untergang Deutschlands stehe kurz bevor – und gleichzeitig eine radikale Wende in Aussicht gestellt, in der die „Schutthalden der Moderne“, wie Höcke es gewohnt pathetisch ausdrückt, beseitigt würden.

 Diese Vorstellung erzeugt Handlungsdruck – bald könne es zu spät sein – und schafft Handlungslegitimation: Ähnlich wie schon bei der damit eng verknüpften Vorstellung vom „großen Austausch“ bietet auch das Narrativ vom „Tag X“ die Möglichkeit, sich moralisch auf der richtigen Seite, ja sogar als tapferer Vollstrecker eines übergeordneten, hehren Ziels zu verstehen. Die Annahme, die Geschichte laufe ohnehin und unausweichlich auf einen solchen „Tag X“ zu, lässt Nicht-Handeln unmöglich erscheinen. 

Die Rede davon, den nahenden Untergang der Welt durch die eigene Tat aufzuhalten, ist von Größenwahn gekennzeichnet. Dieser Größenwahn charakterisiert auch die Tat des Attentäters von Hanau. Psychisch krank und gleichzeitig rechtsextrem, waren die ideologischen Vorstellungen dieses Täters von rechten Verschwörungsmythen gekennzeichnet, die bei ihm einen regelrechten Zugzwang erzeugten.

In einem Video ruft der Täter die angeblich Opfer einer Verschwörung gewordene US-amerikanische Bevölkerung auf, „jetzt zu kämpfen“, in einem Dokument wendet er sich mit ähnlichen Vorstellungen an das „deutsche Volk“. Den so erzeugten Handlungsdruck setzt der Attentäter selbst auf die grausamste Weise um: Er erschießt am Abend des 19. Februars neun Menschen aus rassistischen Motiven, ermordet anschließend seine Mutter und tötet sich selbst. 

Wird eine Gewalttat wie der Mord an Walter Lübcke, der Anschlag von Halle oder das Attentat in Hanau begangen, sind führende AfD-Politiker:innen stets geflissentlich darum bemüht, jede Verantwortung von sich zu weisen. Die Denkmuster aber, die sich bei rechten Mördern und Gewalttätern finden, sind die gleichen, die neurechte Ideolog:innen innerhalb und außerhalb dieser Partei mit aller Macht verbreiten und stärken. Sie bilden damit für diese Art von Gewalt nicht nur einen Nährboden, sondern sind selbst treibender Motor einer gesellschaftlichen Entwicklung, die in solche Taten mündet.