Nach Correctiv-Recherche: „Wir alle müssen gegen die AfD aufstehen“

heimat.kolumne

Das unabhängige Recherchenetzwerk „Correctiv“ hat vor wenigen Tagen ein geheimes Treffen zwischen AfD-Politiker*innen, Neonazis, Unternehmern und Mitgliedern der Werteunion aufgedeckt. Dabei wurde über Pläne gesprochen, Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland zu vertreiben. Dagegen müssen wir alle aufstehen, schreibt Liane Bednarz in der heimat.kolumne und ordnet das Treffen für uns ein.

Eine Person hält ein großes Schild mit der Aufschrift "NEIN ZUR AFD!" in den Händen.
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Anti-AfD-Kundgebung in Saarbrücken am 14. Januar 2024

Es ist eine Zeitenwende. Dieses Mal eine innenpolitische. Fakt um Fakt liegt nun auf dem Tisch, was Teile der AfD und die Neue Rechte wollen: eine massenhafte Vertreibung und Deportation von deutschen (!) Staatsbürgern mit Migrationshintergrund gen Afrika. „Selbstverharmlosend“ – wie die Neue Rechte das gerne nennt – als „Remigration“ bezeichnet. Und es ist evident, dass viele in der AfD von einem monoethnischen Nationalstaat namens Deutschland träumen, womit man die Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands seit den Anwerbeabkommen in den 1960er Jahren zurückdrehen will und alle Menschen, die seither in Deutschland in unserem Land eine Heimat gefunden haben, mit rassistischen Gedankenspielen bedroht.

Das Recherchenetzwerk „Correctiv“ hat vor wenigen Tagen aufgedeckt, was bei einem geheimen Treffen der Szene im November in der Nähe von Potsdam gesagt wurde. Und das, was unter dem Stichwort „Remigration“ dort geäußert wurde, ist besonders vor dem Hintergrund der „zwölf Jahre“, wie man in AfD- und neurechten Kreisen, darunter der Ehrenvorsitzende der Partei, Alexander Gauland, den Hitler-Terror gegen jüdische, homosexuelle und viele andere deutsche Staatsbürger zwischen 1933 und 1945 gerne verbal maximal verharmlost, mehr als brisant. Gauland nannte diese Zeit bekanntlich sogar einen „Vogelschiss“ innerhalb der deutschen Geschichte.

Nach „Schuldkult“ kommt Vertreibung

Dieses Gerede Gaulands war quasi der Vorakt, der Prolog, zu dem, was nun nachgefolgt ist. Die Taktik ist sichtbar. Man will die Erinnerungskultur abräumen, den Schrecken an das Deportieren von Menschen u.a. gen Auschwitz, um der erneuten Vertreibung und Deportation von Menschen den historischen Kontext zu rauben. Es hatte einen Grund, warum der vom Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang im März 2020 als Rechtsextremist bezeichnete Thüringer AfD-Vorsitzende und inzwischen die Partei prägende Björn Höcke in einer Rede in Dresden anno 2017 eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ forderte. Es überrascht also nicht, dass die Neue Rechte ständig einen „Schuldkult“ herbeifantasiert.

Ist der Schrecken in der Bevölkerung vor dem Grauen und dem Morden des Hitler-Regimes erst einmal als „Schuldkult“ erfolgreich denunziert, kann man losgelöst von der Erinnerung neue Vertreibungen und Deportationen planen. So jedenfalls wirkt der Plan von Teilen der Neuen Rechten und der AfD.

Aber Pech gehabt. Das, was man jenseits der Öffentlichkeit als “Masterplan“ im vermeintlich Verborgenen besprach, als Gift, das man qua Multiplikatoren zunehmend im Sinne eines „Allegro“, also einer immer schneller einsickernden Idee in die Bevölkerung hineintriefen lassen wollte, wurde in einem Meisterstück des investigativen Netzwerks „Correctiv“ „full front“ – wie man auf Englisch sagen würde – enthüllt.

„Nicht assimilierte Staatsbürger“ das größte Problem für die Neue Rechte

„Correctiv“ war selbst und mit Zeugen vor Ort. Und hat das, was sich dort ereignete, als Kammerspiel in Akten und Szenen präzise – hier erneut der Link zur Recherche – geschildert. Einer der Hauptredner war Martin Sellner, der Kopf der vom Verfassungsschutz seit Jahren als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften „Identitären Bewegung“. Ein Österreicher, der Österreichern und Deutschen hysterisch einreden will, ob, so „Correctiv“, „wir als Volk im Abendland noch überleben oder nicht“.  Was für ihn davon abhängt, ob neben „Asylbewerbern, Ausländer mit Bleiberecht“ auch „nicht assimilierte Staatsbürger“ als „Ansiedlung von Ausländern“ rückabgewickelt können. „Bevölkerungsaustausch“ und „Großer Austausch“ lauten die dazugehörenden sektiererischen Hetzbegriffe von Sellner und Co. bereits seit Jahren.

Die „nicht assimilierten Staatsbürger“ sind, so „Correctiv“, für Sellner das größte „Problem“. „Correctiv“ analysiert diese fehlgeleitete Ideenwelt luzide:

„Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Sellner nicht ausreichend „assimiliert“ sind. Auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Es ist gegen die Existenz von Menschen in diesem Land gerichtet.

Das wäre ein Angriff auf das Grundgesetz – auf das Staatsbürgerrecht und auf den Gleichheitsgrundsatz.“

Wer die AfD seit Jahren beobachtet, weiß, dass diese Gedankenspiele nichts Neues sind. Bisher aber wurden sie – zumindest öffentlich bekannt – nicht so drastisch bei einem Treffen gesagt, in dem auch AfD-Vertreter anwesend waren, darunter Roland Hartwig, rechte Hand – wobei man bei dem Begriff „rechte (!) Hand“ ebenfalls Assoziationen bekommt – der Co-Parteichefin und Co-Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Bundestag Alice Weidel. Laut „Correctiv“ „brüstet“ er sich damit, an diesem Tag für den Bundesparteivorstand der AfD zu sprechen.

Alice Weidel wird nervös

A propos: kurzer Exkurs zu Alice Weidel. Bei einem Vortrag vor wenigen Tagen wurde ich wie so oft gefragt, wie Alice Weidel eigentlich mit ihrer lesbischen Partnerschaft in der AfD bestehen kann. Ich sagte, so richtig wisse ich das auch nicht. Vielleicht Feigenblatt und so. Aber sicher nicht wirklich goutiert. Ich wies darauf hin, dass bei der Aufstellungsversammlung zur Europawahl im August in Magdeburg etliche männliche Kandidaten betonten, sie seien verheiratet, und „zwar mit einer Frau“. Ich deutete das als Spitze gegen Weidel vor den Anwesenden. Und, auch interessant: Alice Weidel, die ja habituell auf „Fräulein Rottenmeier“ macht und in ihrer übertriebenen Härte, die wenig zu ihrem eher weichen Gesicht passt, offenbar auch eine Schauspielerin ist. Ihre Partnerin Sarah Bonnard jedenfalls zeichnet auf Instagram eine ganz andere Weidel, etwa mit der Überschrift „#cardancing mit @alice.weidel“, also im Auto tanzend zum Song „In my arms“ von Kylie Minogue, selbst ja, obwohl heterosexuell, ähnlich wie Madonna eine Ikone der  LGBTQ-Community.

Vielleicht spielt Weidel auch nur eine Rolle, nachdem ihre Karriere in der Wirtschaft nicht so ganz grandios verlief, wie sie mit Weidels Top-Qualifikationen eigentlich hätte verlaufen müssen, wie „gründerszene“ und “welt.de“ berichteten. Andererseits äußerte sie sich, wie ebenfalls „welt.de“ aufdeckte, schon vor vielen Jahren radikal rechts.

Wie auch immer. Weidel, die einstige Höcke-Kritikerin, die ihn aus der Partei werfen wollte, sich dann aber im September 2019 – auch das nur taktisch? – mit ihm verbündete, ist nun augenscheinlich angesichts der „Correctiv“-Recherche nervös geworden, hat Roland Hartwig, um zu ihm zurückzukommen, geschasst. Öffentlich – wie man das so macht – als „beiderseitiges Einvernehmen“ verkauft.

Roland Hartwig war bis zur Rente nach eigenen Angaben auf „bundestag.de“ von „1999 bis 2016 Chefsyndikus des Bayer-Konzerns mit weltweiter Verantwortung für die Bereiche Recht, Patente/ Lizenzen, Versicherungen, Compliance (ab 2004) und Datenschutz (ab 2016).“

Besser kann man nicht nachweisen, wie weit die radikale bis extreme Rechte längst in bürgerliche Kreise eingesickert ist. Übrigens ist Hartwig nicht der einzige AfDler, der bei dem Geheimtreffen zugegen war. Außerdem mit dabei war die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy.

Das völkische Sellner-Deutschland: der monoehtnische Nationalstaat

Zurück zur aktuellen „Correctiv-Recherche“. Ich erlebte ein Déjà-Vu, als ich sie las, besonders den folgenden Passus:

„Oder, wie er sagt, „um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Er zählt auf, wen er meint: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und „nicht assimilierte Staatsbürger“. Letztere seien aus seiner Sicht das größte „Problem“. Anders gesagt: Sellner spaltet das Volk auf in diejenigen, die unbehelligt in Deutschland leben sollen und diejenigen, für die dieses Grundrecht nicht gelten soll.“

Als Liberal-Konservative bin ich anders als Linke auch für einen strengen Vollzug des Ausländerrechts. Gegen illegale Zuwanderung und für viel strengere und kompromisslose Abschiebungen sich hier illegal aufhaltender Zuwanderer. Aber diese Haltung basiert auf Recht und Gesetz und nicht auf rassistischen Vorstellungen gegen Menschen, die anders aussehen. All das sind nur Vorstellungen rechtsradikaler und rechtsextremer Menschen.

Das völkische Sellner-Deutschland, den Traum vom monoethnischen Nationalstaat, gilt es zu bekämpfen, gilt es abzuwehren. Sellner will in seinem „Masterplan“ deutsche Staatsbürger in einen „Musterstaat“ nach Afrika verschiffen. Und auch, so „Correctiv“, diejenigen, die sich für Flüchtlinge einsetzen.

Anfang 2019 analysierte ich für die damalige deutsche „Huffington Post“ (nach deren Einstellung hat „focus.de“ meinen Text übernommen) das im rechten Verlag „Manuscriptum“ erschienene Interview-Buch mit Björn Höcke namens „Nie zweimal in denselben Fluss“. Und schrieb, dass es keineswegs nur um die Ausweisung Illegaler Zuwanderer gehe:

„Die brisanteste Thematik in Höckes Buch ist seine ausdrückliche Forderung nach einer “Remigration”, ein Konzept, das weit über die Ausweisung abgelehnter Asylbewerber oder illegal sich in Deutschland aufhaltender Personen hinausgeht.

Ausdrücklich fordert der AfD-Rechtsausleger die “konsequente Verhinderung der drohenden Islamisierung Deutschlands und Europas” und hält insoweit unter anderem die “Rückführung der nichtintegrierbaren Migranten” für erforderlich (S. 195).

Dabei differenziert er nicht zwischen Migranten mit und ohne deutschen Pass und schließt somit mindestens implizit Deutsche mit Migrationshintergrund mit ein. Offen bleibt, wer definieren soll, ob jemand “integrierbar” ist; womit Höcke der Willkür die Türen öffnet.

Kurzum, es läuft, wie bei „Correctiv“ nachzulesen, irgendwie auf die Nürnberger Rassengesetze hinaus, nur ohne Holocaust, also staatlich organisiertem Völkermord, aber auf jeden Fall mit Vertreibung: Das bedeutet de facto, auch wenn es so nicht explizit bei dem „Geheimtreffen“ gesagt wurde, eine Neuauflage der drei deutschen Horrormeilensteine im 20. Jahrhundert: Erst ein (i) Gesetz im Sinne des Rechtspositivismus, dann (ii) eine Prüfungskommission, die bestimmt, wer assimiliert genug ist und dann (iii) Deportation.

Dass mit Simone Baum und Michaela Schneider auch zwei Mitglieder der Werteunion an dem Treffen teilgenommen haben, markiert einen weiteren Tiefpunkt in der Krise des Konservatismus, die Thomas Biebricher in seinem Buch Mitte/Rechts so treffend beschreibt. Es muss alle Mitglieder der CDU alarmieren, die sich glaubhaft für die Verteidigung der liberalen Demokratie einsetzen wollen. Denn dafür braucht es uns alle.

Es reicht!

Wir alle müssen dagegen, gegen die AfD aufstehen, auch wenn es mit Hartwig nun ein Bauernopfer seitens Weidel gibt. Wir dürfen uns das nicht gefallen lassen. Die irren feuchten Träume der extremen Rechten liegen auf dem Tisch. Etwa auch in dem im Sommer erschienenen Buch „Politik von rechts“ von Maximilian Krah, dem Spitzenkandidaten der AfD für die Europawahl, der ausgerechneter als Vertreter eines ansonsten im Lebensstil asketischen Milieus seit Jahren auf „Facebook“ einem ausgesprochenen Hedonismus frönt (hier exemplarisch zu sehen, rechts im Bild: David Bendels).

Krah selbst macht aus seinen eigenen Träumen nämlich auch keinen Hehl. In seinem erwähnten Buch schreibt er:

„bleibt die Frage, was mit den dann im Land befindlichen Menschen mit Migrationshintergrund geschehen soll. Das werden in Deutschland prognostisch über 25 Millionen sein, davon deutlich über 15 Millionen deutsche Staatangehörige. Es wird auch in zehn Jahren nicht ansatzweise eine politische Mehrheit, gar die verfassungsrechtliche  Möglichkeit, ganz zu schweigen von der praktischen Umsetzbarkeit geben, diese Menschen gegen ihren Willen aus dem Land auszuweisen.

Aha, 25 Millionen deutsche Staatsbürger möchte der Hedonist Krah nun aus dem Land herausekeln. Und zudem hat er etwas gegen die universelle Geltung der Menschenrechte, wie ich in meiner letzten Kolumne hier schrieb.

Und, was ich wiederrum 2016 in meiner damaligen Kolumne bei „Tagesspiegel Causa“ in einem Text mit dem Titel „Der neurechte Traum von der Assimilation“ eher im Modus des Sarkasmus äußerte, meinte man nun bei dem „Geheimtreffen“ ernst.  

Ich schrieb in der Kolumne:

„Was heißt „Assimilation“ konkret? Sehr viel. Assimilation bedeutet, dass muslimisches Leben in der Öffentlichkeit verborgen bleiben muss, dass weder Kopftücher noch Moscheen zu sehen sind. Auch in ihrer Muttersprache dürften Zuwanderer sich dann im öffentlichen Raum nicht mehr unterhalten, was einmal mehr zeigt, wie bizarr der noch weiter gehende Vorstoß der CSU war, demzufolge Migranten auch in ihren eigenen vier Wänden Deutsch sprechen sollen. Da Höcke ganz generell von „Einwanderern“ und nicht nur von Muslimen spricht, heißt Assimilation konsequent zu Ende gedacht auch, dass Juden, die z.B. aus Osteuropa eingewandert sind, die Kippa nicht öffentlich tragen dürften, dass Sikhs den Turban ablegen und vermutlich auch das darunter liegende lange Haar abschneiden müssten und dass eine Inderin keinen Sari in einer deutschen Stadt tragen könnte. Assimilation bedeutet in aller Konsequenz überdies, dass nicht nur Döner- und Kebap-Buden, sondern auch griechische, mexikanische und überhaupt alle Restaurants „fremder“ Küche schließen müssten. Man fragt sich an dieser Stelle, ob die Neurechten tatsächlich so konsequent sind und nie zum „Italiener“ gehen.“

Wie gesagt. Ich meinte es sarkastisch, es war so etwas wie eine spielerische Dystopie. Ich dachte nicht, dass diese Leute wirklich so weit gehen würden. Aber nun steht Folgendes bei „Correctiv“ über das Geschehen des Geheimtreffens:

„Im Raum ist auch der AfD-Fraktionsvorsitzende in Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund. Er wird später noch auftreten, um für Geldspenden zu werben. Er ist mächtig in seiner Partei, auch weil sein Landesverband hohe Zustimmungsraten hat. Sein Verkaufsargument, ganz im Sinn des „Masterplans“: Das Straßenbild müsse sich ändern, ausländische Restaurants unter Druck gesetzt werden.“

Es reicht. Final. Wehret den Anfängen, die längst keine solchen mehr sind! Wehret der Fortschreitung der Rechtsradikalisierung und Rechtsextremisierung unseres Landes! Genau das müssen und werden wir erfolgreich tun!

 

Schwarz-weiß Foto einer Demonstration, bei der ein Schild mit der Aufschrift "Hass ist keine Meinung" hochgehalten wird

Die heimat.kolumne ist ein neues Format auf Heimatkunde. Hier mischen sich die Publizistin Liane Bednarz und der Schriftsteller Hakan Akçit regelmäßig in aktuelle Debatten rund um den Kampf gegen rechts und die Verteidigung der offenen, pluralen Gesellschaft ein. Liane Bednarz schreibt aus einer liberal-konservativen Perspektive mit Fokus auf die Abgrenzung von konservativem und neurechtem Denken, Hakan Akçit schreibt aus einer postmigrantischen Perspektive mit einem Fokus auf die Einwanderungsgesellschaft und den Kampf gegen Rassismus.