In Teilen der CDU breiten sich zunehmend große Ressentiments gegen die Grünen aus, obwohl man in sechs Bundesländern recht harmonisch mit ihnen regiert. Der Vorsitzende Friedrich Merz schürt diese Stimmung mit seiner Krawallrhetorik sogar bewusst selbst – und das in Zeiten, in denen die Brandmauer nach rechts immer weiter bröckelt. Damit nützt er letztlich nur der AfD, für die die Grünen traditionell ein großes Feindbild sind. Zeit für ein publizistisches Brückenbauen zwischen Schwarz und Grün aus liberal-konservativer Sicht – und für eine klare gemeinsame Abgrenzung nach rechts. Auftakt der neuen heimat.kolumne.
Ein Feindbild breitet sich aus in jenen Kreisen der deutschen Christdemokratie, für die der Parteivorsitzende Friedrich Merz trotz oder besser wegen seiner sich häufenden schrillen Äußerungen eine Art Heilsbringer ist. Und dieses Feindbild ist grün. Es ist die Grüne Partei. Merz selbst pflegt und propagiert dieses Feindbild. Immer und immer wieder. Zuletzt Anfang dieses Monats, als er im Bierzelt zu Gillamoos mit wütendem Gesichtsausdruck jedweder Koalition mit „diesen Grünen“ eine Absage erteilte, weil diese insbesondere in der Einwanderungspolitik „die Realität so verweigern“ würden.
Merz, so muss man es leider sagen, steigert sich immer mehr in ein Ressentiment gegenüber den Grünen hinein. So hat er es ausgerechnet nach der Wahl des ersten von der AfD gestellten Landrats Ende Juni im thüringischen Landkreis Sonneberg für opportun erachtet, die Grünen zum „Hauptgegner“ der CDU innerhalb der Bundesregierung zu erklären. Ohne weder damals noch in Gillamoos auch nur mit einem Wort zu erwähnen, dass die CDU derzeit in sechs (!) Bundesländern mit den Grünen koaliert. Und zwar jeweils ziemlich harmonisch und geräuschlos. Gleich in vier Ländern als Duo: in der schwarz-grünen Variante in Hessen, Nordrhein-Westfalen sowie Schleswig-Holstein. In der umgekehrten Fassung in Baden-Württemberg. Unter der Führung der SPD wiederum regiert man jeweils zu dritt als „Kenia“-Koalition in Brandenburg und Sachsen.
Prozentual gesehen machen diese sechs von insgesamt 16 satte 38 Prozent der Bundesländer aus. Und gemessen an der Gesamtbevölkerungszahl Deutschlands von 84,4 Millionen (Stand 31. Dezember 2022) repräsentieren sie sogar 53 Prozent. Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung ist nach Merz‘scher Lesart also einer Verbindung seiner eigenen Partei mit einer Konkurrentin ausgesetzt, die auf Bundesebene für ihn „Hauptgegner“ ist.
Die Wut von Merz auf die Grünen samt harter Abgrenzung von ihnen steht in einem seltsamen Kontrast zu der fehlenden Trittsicherheit, die er im Umgang mit der AfD zeigt. Kurz nachdem er diese als „Hauptgegner“ ausmachte, sagte er im „ZDF-Sommerinterview“, im Falle eines AfD-Bürgermeisters oder -Landrats müsse „nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet“. Nachdem die Empörung groß war, versuchte er reichlich vergeblich, das Ganze wieder einzufangen.
Viel gelernt aus diesem kommunikativen Desaster hat Merz aber augenscheinlich nicht. Als nun die CDU mit Stimmen der AfD im Thüringer Landtag einen Gesetzesentwurf zur Senkung der Grunderwerbssteuer von 6,5 auf 5 Prozent durchsetzte, gab Merz sich trotzig. Man mache sich eben nicht abhängig von anderen Fraktionen. Den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther, der das Ganze kritisierte und wie gesehen selbst mit den Grünen koaliert, watschte er kurzerhand als „Einzelstimme“ in der CDU ab.
Und nun ist selbst der Tabubruch seit Dienstag, dem 19. September 2023, vollzogen. Ausgerechnet Andreas Rödder, Zeithistoriker und Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission, spricht sich nun frank und frei für Minderheitsregierungen der CDU im Osten aus, die sich bei Abstimmungen auch von der AfD tolerieren lassen. Auch parlamentarische Initiativen der AfD sind aus seiner Sicht, wie er im Interview mit dem „stern“ sagte, für die CDU kein Tabu mehr. Rote Linien nach Rechtsaußen sind für ihn nur noch „die Relativierung des Nationalsozialismus oder die Befürwortung des Krieges gegen die Ukraine“. Kein kritisches Wort dazu von Merz. Man fasst sich an den Kopf. Ein neuer Kuschelkurs mit der AfD, während man die Grünen immer stärker angreift.
„Hauptgegner“ und „Volkserziehungsattitüde“ – Merz‘ Krawallrhetorik gegen die Grünen
So ist namentlich Merz‘ verbaler „Hauptgegner“-Aussetzer gegen die Grünen wie bereits angedeutet kein Einzelfall, sondern Teil seines stetig wachsenden Zorns auf die Grünen. Anfang Juni, also noch vor der Landratswahl in Sonneberg, schrieb er in der Ausgabe 152 seiner #MerzMail, einem digitalen Rundbriefformat, sowie später auf Twitter:
„Eine schwache und beständig streitende Regierung löst Gegenreaktionen aus. Mit der AfD können die Bürgerinnen und Bürger heftige Denkzettel verpassen. Diese Denkzettel treffen derzeit vor allem die Grünen, die mittlerweile nur noch das eigene Klientel erreichen, aber außerhalb davon mit ihrer penetrant vorgetragenen Volkserziehungsattitüde auf besonders starken Widerstand stoßen.“
„Volkerziehungsattitüde“ ist ein Begriff, den man sonst eher in rechten Milieus oder bei nach rechts abgedrifteten Konservativen findet. Insbesondere bezichtigt man dort gerne den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der „Volkserziehung“.
Es sind jene Kreise, die die Grünen überdies gerne als „Verbotspartei“ diffamieren, was stets ein bisschen putzig ist, da sie selbst einen strikten Law & Order-Kurs propagieren und am liebsten das Gendern in staatlichen Institutionen und Kultureinrichtungen sowie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbieten möchten. Weniger putzig ist, dass Merz sich sprachlich augenscheinlich von diesem rechten Sprachtouch beeinflussen lässt. Und zwar auch bei anderen Themen. Man denke nur an seine Pauschaldiffamierung arabischstämmiger Schuljungen als „kleine Paschas“ oder an die Unterstellung, ukrainische Flüchtlinge würden einem „Sozialtourismus“ frönen.
Zügellose Angriffe statt Sachkritik – Krawallkonservatismus zahlt auf die AfD ein
Zudem ist es reichlich geschmacklos, statt einer besonnenen Suche nach den Ursachen für das Umfragehoch der AfD – zu denen fraglos die großen Fehler Robert Habecks bei der Genese des Heizungsgesetzes, aber eben auch die mangelnden Gegenentwürfe und damit die Schwäche der CDU als Opposition zählen – de facto fast schon triumphal zu schreiben, mit der AfD würden die Menschen den Grünen nun „heftige Denkzettel“ verpassen können und daran seien die Grünen selbst schuld.
Mit einem besonnenen, respektvollen Konservatismus hat solch krawalliges Vokabular nichts gemein. In Zeiten, in denen die AfD sprachlich wie inhaltlich immer radikaler wird und sich in Hass auf die Grünen regelrecht ergießt, ist so eine Sprache zudem gefährlich, weil sie die Zügellosigkeit von rechts letztlich legitimiert. So erklärte der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla auf dem Bundesparteitag der AfD in Magdeburg die Grünen jüngst zur „gefährlichsten Partei Deutschlands“ und sagte zudem: „Legen wir den grünen Sumpf trocken“. Überdies verstieg er sich zu der wahrheitswidrigen Äußerung, die Grünen wollten „Krieg mit Russland und China“. Andere Redner betrieben hämisch Bodyshaming gegen die Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang oder verlachten boshaft kleine Versprecher von Annalena Baerbock.
Das Ressentiment von Rechten und nach rechts offenen Konservativen speist sich seit Jahren vor allem daraus, dass sie den von den Grünen propagierten Klimaschutz für maßlos überzogen halten und aversiv und meistens sogar regelrecht feindselig auf gesellschaftspolitische Neuerungen wie die Frauenquote (die sogar selbst Merz innerparteilich durchgesetzt hat), die „Ehe für Alle“ und überhaupt LGBTIQ-Themen reagieren. Auch die Haltung zur Migration ist ein Stein des Anstoßes. Politische Gegner werden gezielt verächtlich gemacht, man denke nur an typisches AfD-Sprech wie „Altparteien“. Und die Radikalisierung schreitet, wie bei der dem AfD-Bundesparteitag in Magdeburg nachfolgenden Europawahlversammlung zu sehen, rasant voran. Der Begriff „Remigration“ – eine Chiffre für „Ausländer raus“ – war rauf und runter in den dortigen Bewerbungsreden zu vernehmen, während man sie noch vor ein paar Jahren nur in den radikal-völkischen Zirkeln rund um den Rechtsextremisten Björn Höcke hören konnte. Man kann nur hoffen, dass Merz nicht auch noch diesen Begriff aufgreift.
Nur Besonnenheit wird die AfD kleinkriegen
Gewiss, Friedrich Merz und die CDU stehen vor einem strategischen Dilemma. Einerseits müssen sie versuchen, gen rechts gedriftete konservative Wähler bei der Stange zu halten bzw. vor allem wieder von der AfD zurückzugewinnen. Zugleich muss aber auch die Anschlussfähigkeit in die Mitte und auch zu den links von ihr stehenden Parteien SPD und Grüne gepflegt werden, weil die CDU ohne diese kaum noch regieren kann und Wahlen überdies in der Mitte gewonnen werden. Mit Krawallrhetorik aber wird beides nicht funktionieren. Mittige und Linksliberale werden so abgeschreckt. Und AfD-Wähler fühlen sich ermutigt, das Kreuz beim krawalligen Original zu setzen.
Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf-Korte betonte im ZDF, dass die politische Mitte die Verantwortung dafür trage, angemessen auf die Radikalisierung der Ränder zu reagieren. Neben der Tonalität und dem Vokabular müsse man eigene Lösungen vorschlagen und „Transformationsängste mit Optimismus auflösen“. Und weiter: „Das Bashing der Grünen gehört nicht dazu.“
Wüst, Günther und Rhein haben keine Lust auf ein Grünen-Bashing
Wer anders als Merz als CDU-Ministerpräsident mit den Grünen koaliert, kann mit populistischen Plattitüden ohnehin nichts anfangen. Die Reaktionen nach dem erwähnten „ZDF-Sommerinterview“ von Merz waren bemerkenswert. Demonstrativ gingen der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst und sein hessischer Amtskollege Boris Rhein, die eben beide schwarz-grüne Koalitionen anführen, wenige Tage später gemeinsam wandern. Und zwar ausgerechnet auch durch den sauerländischen Wahlkreis von Friedrich Merz. Mehr Kampfansage durch Bildsprache geht kaum.
Ohne Merz ausdrücklich zu nennen, hatte Rhein zuvor sogar jedwede Zusammenarbeit mit der AfD ausdrücklich ausgeschlossen. Und die Merz’sche Tirade zu Gillamoos lässt er nun an sich abperlen und dürfte gewiss nicht gewillt sein, die aktuelle Koalition mit den Grünen nach der Wahl in Hessen nur wegen Merz aufzugeben. Wüst wiederum hatte – ebenfalls ohne Namensnennung – Merz in Form eines Gastbeitrags mit dem Titel „Das Herz der CDU schlägt in der Mitte“ bereits im Juni die Leviten gelesen. „Wer nur die billigen Punkte macht und den Populisten hinterherrennt, der legt die Axt an die eigenen Wurzeln und stürzt sich selbst ins Chaos“, stand dort etwa. Merz fasste den Text als „Kriegserklärung“ auf. Daniel Günther, Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, hatte den Krawallkonservatismus von Merz, zu dem auch die Aussage gehörte, „mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar Hundert Stimmen mehr zur AfD“, bereits im Juni auf Anfrage der „Süddeutschen Zeitung“ gegeißelt:
„Bei manchen Genderdebatten stellen sich mir auch die Nackenhaare auf, aber wir müssen begreifen: Es bringt uns gar nichts, wenn wir über so einen Mist diskutieren." Das verprelle die Leute nur. "Populistisches Draufhauen" helfe der CDU nicht, "die Leute gehen nahtlos zur AfD". Auf die Frage, was er seiner Partei jetzt empfehle, sagt Günther: "Kurs der Mitte, sprachlich sauber bleiben, keine Debatten über das Gendern und andere Nebensächlichkeiten führen - den Leuten halt keinen Scheiß erzählen.“
Wie Liberalkonservative einen sachlichen Diskurs mit Grünen führen können
Bis zum Aufkommen der AfD gehörte es zu den Grundfesten der deutschen Politik, in politischen Gegnern keine Feinde zu sehen. So entstand ein lebendiger Pluralismus, zu dem selbstverständlich auch leidenschaftliche Debatten und harte Auseinandersetzungen in der Sache zählen. Genau diesen gilt es zu bewahren. Gerade die CDU und die Grünen können hier vorbildlich vorangehen: Trotz gemeinsamen Regierens Trennendes aufzeigen, um die beste Lösung für die großen Fragen der Zeit ringen, insbesondere bei den Themen Klimaschutz, Migration und Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Und so für ihre typische Klientel attraktive Wahlangebote machen, die sich voneinander unterscheiden, aber das jeweils andere nicht verächtlich machen. Gerade auch im Wissen darum, dass Politik meistens auf Kompromisse hinausläuft.
Ja, es gibt in den konservativen Zirkeln der CDU große Vorbehalte, wenn nicht Ängste vor den Grünen. Aber diese werden eben auch von der AfD und leider auch von Leuten wie Merz gezielt bedient und verschärft. Sicher gibt es große Unterschiede in gesellschaftspolitischen Fragen wie dem Selbstbestimmungsrecht, der Abtreibungsdebatte und bei Genderthemen. Aber gerade hier sollte man beiderseits besonnen Argumente austauschen, statt in einen feindseligen Kulturkampf abzudriften.
Zugleich müssen beide Lager begreifen, dass es nicht die CDU oder die Grünen gibt. In ihrer Wut auf alles angeblich „Linksgrüne“ etwa blenden viele konservative CDU-Anhänger aus, dass es in der eigenen Partei auch eine starke liberale Strömung gibt, die Koalitionen mit den Grünen befürwortet. Und ebenso, dass nur ein Teil der Grünen für „Open Borders“ ist, Annalena Baerbock und ihre Anhänger hingegen den jüngsten EU-Asylkompromiss, der das geltende Recht mit dem Ziel der Verringerung der illegalen Migration erheblich verschärft, verteidigt haben. Mit diesem sollen etwa Flüchtlinge aus als relativ sicher geltenden Herkunftsstaaten nach ihrem Grenzübertritt in zentralen Unterkünften untergebracht werden. Zum Feindbild der „naiven Grünen“ oder der Tirade von Friedrich Merz in Gillamoos gegen die angebliche Realitätsverweigerung der Grünen in Sachen Einwanderungspolitik passt dies jedenfalls nicht.
Zeit also, diskursive Brücken zwischen Schwarz und Grün zu bauen, Unterschiede klar und sachlich zu benennen und vor allem gemeinsam eine Grenzlinie gen rechts zu ziehen. Zeit mithin für eine Kolumne aus liberal-konservativer Feder in einem grünen Umfeld.