Kritik an CORRECTIV-Recherche: Grenze zum völkischen Denken nicht verstanden

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Die Anfang des Jahres publizierte CORRECTIV-Recherche hat aufgezeigt, wo die Grenze zwischen Konservatismus und völkischem Denken verläuft. Nun wird das Recherchenetzwerk immer härter angegriffen – aus unerwarteten Kreisen.

Auf einer Demo im Sommer 2024 wird ein Schild mit der Aufschrift "Aufstehen gegen Rechtspopulismus und seine Steigbügelhalter" hochgehalten.
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Demonstration unter dem Motto „Keine Propaganda für Remigration“ in Marburg, Juli 2024

Es ist, mal wieder, an der Zeit, innezuhalten, und sich zu fragen, wie weit die Verrohung und vielleicht auch die Gleichgültigkeit in diesem Land inzwischen vorangeschritten sind. Es ist inzwischen so weit gekommen, dass konservative Kreise in eine Art Verdammungswettbewerb gegen die grüne Partei eingetreten sind, zugleich aber de facto den völkischen Rechtsradikalen Martin Sellner verteidigen, in dem sie das Medienhaus „CORRECTIV“ wegen dessen Recherche zum Geheimtreffen in Potsdam und dem dortigen Fokus auf eine „Remigration“ flagrant und grotesk angreifen. 

„CORRECTIV“ hat im Januar dieses Jahres in seiner Recherche zum Geheimtreffen in Potsdam auch für die bürgerliche Mitte präzise aufgezeigt, wo die Grenze zwischen einem harten Law & Order-Konservatismus und völkischem Denken verläuft. Bereits in meiner letzten Kolumne war die Rede davon. „Remigration“ ist der Chamäleonbegriff der Neuen Rechte, in dem die Dämonen der völkischen Ideologie wohnen. Nun aber wird „CORRECTIV“ immer härter für die Recherche angegriffen. Und es ist sehr erstaunlich, wer sich plötzlich auf den medialen Reiter aufschwingt, um sich aus welchen wahren Motiven auch immer über die Recherche aufzuregen.

Deshalb ist es an der Zeit, zu rekapitulieren, was mittlerweile passiert ist. Die zentralen Passagen in der Recherche sind diese:

„Mörig kommt schnell zu dem Punkt, um den es hier heute gehen soll: die ‚Remigration‘.

Dabei verleiht der Organisator einleitend Sellners These besonderes Gewicht: Alles andere – die Haltung zu Corona-Maßnahmen und Impfungen, die Lage in der Ukraine und Israel – all das seien Streitpunkte in der Rechten. Die einzige Frage, die sie zusammenführe, sei eben die Frage der Remigration: ‚ob wir als Volk im Abendland noch überleben oder nicht‘. […] 

Sellner ergreift das Wort. Er erklärt das Konzept im Verlauf des Vortrages so: Es gebe drei Zielgruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollten. Oder, wie er sagt, ‚um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln‘. Er zählt auf, wen er meint: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und ‚nicht assimilierte Staatsbürger‘. Letztere seien aus seiner Sicht das größte ‚Problem‘. […]

Es geht nun um die praktischen Details, die nächsten Schritte: Mörig, der sich später auf Fragen der Redaktion hin als ‚alleiniger Veranstalter‘ bezeichnet, spricht von einem Expertengremium, das diesen Plan – die Vertreibung der Menschen mit Migrationshintergrund, auch deutscher Staatsbürger – ausarbeiten soll. Und zwar unter ‚ethischen, juristischen und logistischen Gesichtspunkten‘ – ein rassistischer Plan in legalem Gewand.“

Wer sich mit der Neuen Rechten auskennt, weiß, dass dort schon lange so gedacht wird. Björn Höcke schrieb bereits 2018 in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ von der „Rückführung der nichtintegrierbaren Migranten“ –  ohne dabei zwischen Migranten mit und ohne deutschen Pass zu unterscheiden. 

Insofern hat die „CORRECTIV“-Recherche einem breiten Publikum gezeigt, dass es im völkischen Denken eben nicht um die bloße Durchsetzung von Ausweisungen von Migranten ohne Aufenthaltsrecht, sondern auch und gerade darum geht, Menschen loszuwerden, die deutsche Staatsbürger sind und den völkischen Kreisen als „nicht integrierbar“ (Höcke) oder nicht assimiliert genug (Sellner) gelten. Sellner forderte „maßgeschneiderte Gesetze“ dafür. Das entspricht dem Phantasma der völkischen Ideologie. Sie geht von der Idealisierung des „Eigenen“ aus.

Mit einer willkürlichen Definitionsmacht wird in der Neuen Rechte „das Fremde“ ausgemacht, das je nach Enthemmung auszumerzen oder zu verdrängen ist, um den ersehnten Idealzustand „des Eigenen“ wiederherzustellen. Die Vordenker der Neuen Rechten wie Sellner kleiden dieses völkische Phantasma in harmlos klingende Begriffe wie „Ethnopluralismus“, „ethnokulturelle Identität“ oder eben „Remigration“, in denen allen aber die Menschenfeindlichkeit weiter zu Hause ist. Und dies zeigte die CORRECTIV-Recherche. Das ist ihr Verdienst.
Und es passiert nun das, was man im Grunde nicht verstehen kann. „CORRECTIV“ wird für die Recherche angegriffen. Von Leuten, die sich für konservativ halten, neuerdings auch von linksliberaler Seite, darunter auch von jemandem mit einer verblüffenden Schlagseite gen rechts. Aber der Reihe nach.

Kritik aus unerwarteten Kreisen

Sehr früh durchschaut hat diese merkwürdigen Reaktionen Peter Huth, ein Liberal-Konservativer, der die Grenze zum völkischen Denken ganz genau kennt. In einem Text mit dem Titel „Konservativ ist nichts rechts“ schrieb er in der „WELT“: 

„Weitere Beispiele? Die Recherche von ‚correctiv‘, in der über das konspirative Treffen führender Rechtsextremisten und dessen Inhalte berichtet wurde, wird von rechten Konservativen als ein vom Staat bezahlter und gelenkter Angriff auf die Meinungsfreiheit dargestellt. Dabei wird so getan, als habe dort ein Arbeitskreis von besorgten Bürgern getagt. Unsinn: Dort trafen sich Neonazis mit Rechtsextremisten.“

Und exakt so war es. Aber nun gesellt sich zu diesen rechtskonservativen Angreifern auf die Recherche, die nach wie vor steht und nur in einem winzigen Randpunkt erfolgreich juristisch angegriffen wurde, in den zentralen Themen aber nicht (das haben die Anwälte der jeweiligen Gegenseiten noch nicht einmal versucht), ausgerechnet das eher linksliberale Portal „Übermedien“ mitsamt seines Co-Chefredakteurs Stefan Niggemeier. Er wirft der Recherche vor, nachdem sie einen renommierten Preis erhielt, „CORRECTIV“ habe ja nur „drei Satzfetzchen“ von Sellner zitiert und nicht nachgewiesen, dass aus eben denen die angestrebte Vertreibung deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund abzuleiten ist. Der renommierte Medienrechtler Thomas Stadler nannte den Übermedien Text einen „durchsichtigen Versuch“, „CORRECTIV“ zu „diskreditieren“.

Und so wie „Übermedien“ kann man wohl nur daherreden, wenn man den Unterscheid zwischen „de lege lata“ und „de lege ferenda“ nicht kennt, auf den ebenfalls Thomas Stadler hinweist.

„Wenn dann noch Aussagen von Teilnehmern zitiert werden, die darauf verweisen, dass man keine gesetzeswidrigen Ausweisungen wolle, stellt sich dem Juristen natürlich schnell die Frage, ob das de lege lata oder doch de lege ferenda gemeint ist. Denn die hierfür ‚maßgeschneiderten Gesetze‘ sollen wohl ja gerade dafür sorgen, dass die Ausweisungen dann nicht mehr gesetzwidrig sind.“

Auf dem Potsdamer Treffen wurde in der Tat nicht gefordert, auf Basis des geltenden Rechts – in der juristischen Fachsprache „de lege lata“ genannt – deutsche Staatsbürger illegal loszuwerden. Sehr wohl aber, in der Zukunft „maßgeschneiderte Gesetze“ – in der juristischen Fachsprache „de lege ferenda“ genannt – zu schaffen, die genau das dann legal zulassen.

Erstaunlich, dass „Übermedien“ das nicht versteht. Und mehr als die „drei Satzfetzchen“ braucht man – siehe Höckes frühere Aussagen – auch nun einmal nicht, um bei Sellner den Unterschied zwischen Law & Order und völkischem Ressentiment zu verstehen. Niggemeiers Motive sind unklar, man kann ja nicht in seinen Kopf sehen. Auffällig aber ist, dass sein Portal immer wieder das Medienhaus „CORRECTIV“ angreift. Der bereits zitierte Medienanwalt Thomas Stadler postete dazu auf „X“:

„Hierbei sollte man berücksichtigen, dass sich @uebermedien durchaus in einem Konkurrenzverhältnis zu @correctiv_org befindet und deshalb nicht von einer unvoreingenommenen Bewertung ausgegangen werden kann.“

Leider verstehen auch andere das nicht. So hat mit der FAZ ausgerechnet die Hüterin des seriösen liberalen Konservatismus, in Gestalt des Medienjournalisten Michael Hanfeld, die Recherche nun ebenfalls angegriffen und sich der Sache nach der grotesken Kritik von „Übermedien“ angeschlossen. Ebenfalls in Unkenntnis über den Grenzverlauf zwischen konservativ und rechts. 

Grenze zwischen konservativ und völkischem Denken nicht verstanden

Tja, und alles kann immer noch negativ getoppt werden. Nämlich ausgerechnet von Mathias Brodkorb, einst Gründer des linkslastigen Blogs „Endstation rechts“. Brodkorb galt, wie einem Text aus 2011 des neurechten Autors Martin Lichtsmesz auf dem Blog „sezession.de“ zu entnehmen ist, innerhalb der Neuen Rechten zwar als kluger, sachlich argumentierender Kopf in der Auseinandersetzung mit ihr, der ihre Denkmuster profund durchblickte. Zugleich aber führte Lichtsmesz aus, er „glaube keine Sekunde, dass Brodkorb, der auch bei wohlwollendster Betrachtung eine unheilbar linke Socke“ sei, „seine kritischen Texte“ über andere Kritiker der Neuen Rechten, die ihm, also Brodkorb vor allem wegen des Drangs zur „Entlarvung“ zu weit gingen, schreibe, „weil er so nett zu uns Rechten und Konservativen sein will.“

Führt man sich diese Vergangenheit Brodkorbs vor Augen, so kann man konstatieren, dass er mittlerweile eine, sagen wir: erstaunliche Entwicklung hingelegt hat. Er schreibt nun statt auf „Endstation rechts“ regelmäßig Kommentare für den „CICERO“, ein Blatt, das sowohl die „taz“ als auch ich schon 2016 Jahren für eine rechtsdrallige Tendenz kritisiert haben. In einem zornigen „CICERO“-Text bezichtigte Brodkorb das Recherchenetzwerk „CORRECTIV“ im August der „Manipulation“ und, das macht es besonders traurig-lustig, versteht ausgerechnet er offenbar ebenfalls nicht, dass die von „Übermedien“ als „Satzfetzchen“ bezeichneten harten Fakten von „CORRECTIV“ die Grenze zwischen konservativ und rechts bzw. völkischem Denken aufzeigen. Gemeint ist, um es nochmals zu wiederholen, die „Remigration“ „nicht assimilierter Staatsbürger“ durch „maßgenschneiderte Gesetze“ und „Anpassungsdruck“.

„CORRECTIV“ übersetzt Sellners Worte mit „Vertreibung“. Das ist nicht manipulativ. Und schon gar nicht ist die Recherche, wie Brodkorb fast schon verschwörungstheoretisch raunt, „ein Vorgang der politisch motivierten Manipulation der Öffentlichkeit“. In einem ersten Text aus dem Januar kurz nach dem Erscheinen der Recherche klang Brodkorb noch vorsichtiger. So erwähnte er dort zwar, dass Sellner im Dezember 2023 in einer Reihe von Videos beim rechtsextremistischen „Compact Magazin“ immer betont habe, er wolle nur Remigrationsmaßnahmen im Rahmen des Grundgesetzes. Zugleich aber schrieb er, man „könnte“ auch „annehmen“, dass Sellner „im Interesse der Unangreifbarkeit und daher bloß aus taktischen Gründen auf das Grundgesetz Bezug nimmt“. Das sei aber nur eine „Mutmaßung“, die als solche zu kennzeichnen sei. Allerdings übersieht Brodkorb, dass Sellner auch in der Videoreihe auf „Compact“ den Begriff der „Remigration“ auf „nicht assimilierte Staatsbürger“ anwendet und dafür „maßgeschneiderte Gesetze“ vorschlägt. Das Oberverwaltungsgericht Münster bezeichnete im Mai 2024 eine „politische Zielsetzung“, die mit einem „ethnisch-kulturellen Volksbegriff” verknüpft ist, als „verfassungswidrig” und „mit der Menschenwürde unvereinbar“, wenn diese die „rechtliche Gleichstellung aller Staatsangehörigen in Frage stellt.”

Aber es wird noch krasser. Ausgerechnet Brodkorb agitiert nun gegen den Verfassungsschutz und zwar in einem Buch namens „Gesinnungspolizei im Rechtsstaat?: Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik. Sechs Fallstudien“. Und nun wird es wirklich brisant. Wie die FAZ in einem Verriss beschrieb, beruft Brodkorb sich dort auf Dietrich Murswiek, einen, nun ja: wegen AfD-Nähe sehr umstrittenen Staatsrechtler, der bereits 2017 beim „Extremismuskongress“ der AfD in Berlin auftrat. Die FAZ schreibt:

„Zur Fundierung seiner Thesen zieht Brodkorb ein 470 Seiten umfassendes Gutachten des Staatsrechtlers Dietrich Murswiek heran. Die AfD hatte es in Auftrag gegeben, aber nie vollständig veröffentlicht. Brodkorb liegt es vor. Der Autor meint, Murswiek entlarve die Herangehensweise des Verfassungsschutzes umfassend. An einigen Beispielen macht er das plausibel. Um sich aber ein abschließendes Urteil zu bilden, sind die abgedruckten Belege zu fragmentarisch.“

So schließen sich Kreise. Der CICERO, für den Brodkorb nun schreibt, war damals noch etwas vernünftiger als heute und löschte 2016 nach harter publizistischer Kritik einen Text des damaligen Kulturressortleiters Alexander Kissler, in dem stand:

„Und damit beginnen anno 2016 die Verwirrungen. Wurde das Volk hinreichend gefragt, ob es der Exekutive unter Merkel das Mandat geben will für die ‚Umstrukturierung der Bevölkerung Deutschlands‘?“

Sodann schrieb Kissler, bis vor Kurzem Redakteur des rechtsdralligen deutschen NZZ-Ablegers und nun bei Julian Reichelts krawalligem und noch rechtslastigerem Portal „NIUS“ eingestiegen, in eben jenem Text, laut Murswiek werde gerade „aus der nach Sprache, Kultur und Geschichte deutschen Mehrheitsbevölkerung eine multikulturelle Gesellschaft ohne einheitliche Sprache und Tradition“. Dazu aber, so Kissler, müsste Murswiek zufolge eine „verfassunggebende Volksentscheidung“ ihr Placet geben. 

Es verwundert folglich nicht, dass auch Kissler in seiner nun alten medialen Heimat „NZZ“ zum publizistischen Angriff auf die „CORRECTIV“-Recherche blies und die Vorgänge in Potsdam nach einem Besuch vor Ort verharmloste. Allerdings gab es dabei eine Merkwürdigkeit um ein Foto herum, das Kissler und die NZZ ignorierten, was dazu führte, dass der Kissler begleitende Fotograf die Zusammenarbeit mit der „NZZ“ beendete

Auch die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder (CDU) ist in einem „WELT"-Kommentar nun auf das „CORRECTIV“-Bashing“ eingestiegen und zeigt, obwohl betont konservativ, sich aber zugleich aber in der krawalligen „Denkfabrik21“ von Andreas Rödder tummelnd, nicht die geringste Kenntnis vom völkischen Denken. 

Über die Motive einiger Kritiker kann man, wie gesagt nur mutmaßen, aber erschütternd ist es schon, wie wenig sie die Grenze zwischen konservativem und völkischem Denken verstanden haben.

Schwarz-weiß Foto einer Demonstration, bei der ein Schild mit der Aufschrift "Hass ist keine Meinung" hochgehalten wird

Die heimat.kolumne ist ein neues Format auf Heimatkunde. Hier mischen sich die Publizistin Liane Bednarz und der Schriftsteller Hakan Akçit regelmäßig in aktuelle Debatten rund um den Kampf gegen rechts und die Verteidigung der offenen, pluralen Gesellschaft ein. Liane Bednarz schreibt aus einer liberal-konservativen Perspektive mit Fokus auf die Abgrenzung von konservativem und neurechtem Denken, Hakan Akçit schreibt aus einer postmigrantischen Perspektive mit einem Fokus auf die Einwanderungsgesellschaft und den Kampf gegen Rassismus.