Anschläge in Deutschland: Doppelstandards und Instrumentalisierung

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In den vergangenen Monaten wurde Deutschland durch unterschiedliche Anschläge erschüttert, die oftmals populistische Debatten ausgelöst haben. Was auffällt: Ist ein Täter mutmaßlich rechtsextrem, schwindet das mediale Interesse schnell. Das zeigt die Tat von Mannheim – aber auch der Brandanschlag in Solingen im März 2024.

Blumen und Grabkerzen an der Gedenkstelle für die Opfer des Anschlags von Mannheim
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Gedenkstelle für die Opfer des Anschlags in Mannheim am Paradeplatz. © IMAGO / Bihlmayerfotografie, alle Rechte vorbehalten.

Der schreckliche Mordanschlag von Mannheim, der sich am 3. März 2025 ereignete und dem zwei Menschen zum Opfer fielen und bei dem 14 Menschen teilweise schwer verletzt wurden, löste in mir reflexartig die gleichen Gedanken aus, die mittlerweile nach jedem Anschlag in meinem Kopf schwirren und sich letztendlich in einem Satz manifestieren: hoffentlich waren die Täter keine Migranten. Nicht aus falscher Solidarität, weil ich möglicherweise dem gleichen Glauben bzw. der gleichen Nationalität angehöre, wie die Attentäter. Der Grund für diese Gedankengänge sind die politischen und medialen Diskurse, die solchen Taten immer folgen, und im Falle von migrantisierten Tätern geprägt sind von Vorurteilen und Diskriminierungen. Nichts ist ermüdender, als die immer wiederkehrenden Diskussionen in der Innenpolitik, den Talkshows und den sozialen Medien über einen möglichen Zusammenhang von Migration und Kriminalität oder Islam und Terrorismus. Nichts ist widerwärtiger, als die Instrumentalisierung solcher Mordanschläge, um daraus politisches Kapital zu generieren. Eine Methode, der sich Rechtspopulisten und rechtsextremistische Parteien wie die AfD sehr oft erfolgreich bedienen, um die Hoheit in diesen Debatten zu übernehmen und mit ihrem offen gelebten Rassismus die übrigen Parteien und Medien vor sich herzutreiben. 

Doppelstandards bei Tatmotiven

Bereits wenige Stunden nach einer solchen Tat wird in den sozialen Medien über den Namen, die Herkunft, Haut- und Haarfarbe oder Religionszugehörigkeit spekuliert. Und wenn der Täter zu einem Zeitpunkt „Allahu Akbar“ gerufen hat, ist die Sachlage klar: es muss sich um einen islamistischen Terroranschlag handeln. In den sozialen Medien brechen dann alle digitalen Dämme und die Kommentarspalten werden von rassistischer Hetze überflutet. Rechtsextremisten und Neonazis organisieren Blitzkundgebungen und die AfD zelebriert medienwirksam Trauermärsche. In den Medien wird das Thema Migration und Islam negativ konnotiert bis ins kleinste Detail diskutiert, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen folgt eine Liveschaltung der nächsten und in den abendlichen Talkshows wird sehr schnell deutlich, wie salonfähig die Islamfeindlichkeit bereits in der Mitte der Gesellschaft ist. Und wenn sich das Land kurz vor irgendeiner Wahl befindet, werden sehr schnell politische Forderungen nach konsequenterer Abschiebung und stärkeren Grenzkontrollen laut. Dabei sollte nach solchen Anschlägen der eigentliche Fokus auf den Opfern liegen und nicht auf der Nationalität oder dem Glauben der Täter. Das zumindest gebietet die Menschlichkeit und Empathie. Davon sind wir in den Debatten in Deutschland aber Lichtjahre entfernt. Und das ist bedrückend.

Dabei sollte nach solchen Anschlägen der eigentliche Fokus auf den Opfern liegen und nicht auf der Nationalität oder dem Glauben der Täter. Das zumindest gebietet die Menschlichkeit und Empathie.

Der Attentäter von Mannheim war ein Deutscher. Kein "Papierdeutscher" oder ein "Ein Esel im Pferdestall wird nicht zum Pferd"-Deutscher, sondern "Biodeutscher", also jemand, der ohne Probleme einen „Ariernachweis“ liefern könnte, wenn denn je wieder nach einem verlangt werden würde. Und der Attentäter von Mannheim war nicht nur deutsch, sondern darüber hinaus auch noch rechtsextrem und Mitglied einer Neonazi-Gruppierung, der in den sozialen Medien Bilder von Adolf Hitler gerne mit „Sieg Heil from Germany“ kommentierte. Nun sollte man doch eigentlich annehmen, dass der Fall klar auf der Hand liegt oder die ermittelnden Sicherheitsbehörden zumindest ein weiteres mögliches Motiv für den Mordanschlag hätten. Doch stattdessen wurde die Öffentlichkeit seitens der Ermittlungsbehörden sehr schnell darüber informiert, dass es keine Anhaltspunkte für ein politisches oder extremistisches Motiv gäbe. Und weil der Täter Alexander hieß und allem Anschein nach kein muslimischer Migrant war, blieb die Hetze in den sozialen Medien aus, keine fahnenschwenkenden Rechtextremisten, traurig marschierenden AfD-Politiker, keine Rufe nach Remigration oder Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft, keine Sondersendungen oder mit AfD-Politiker*innen besetzte Talkshows. 

Brandanschlag in Solingen 2024

Ähnlich verhielt es mit dem Brandanschlag im März 2024 in Solingen, bei dem eine vierköpfige türkisch-bulgarische Familie getötet wurde. Kurz nach der Brandstiftung erklärte die Staatsanwaltschaft von Wuppertal: „Anhaltspunkte, die auf ein fremdenfeindliches Motiv deuten, liegen nicht vor.“ Dabei sollte gerade das Thema Brandanschlag in Solingen die Öffentlichkeit sensibilisiert haben und die Tatsache, dass in dem Haus überwiegend Migrant*innen wohnen, hellhörig machen. Und auch jetzt, wo sich der Verdacht eines rechtsextremistischen Motivs erhärtet, wird in den Medien kaum darüber berichtet, so als wolle man, aus welchen Gründen auch immer, eine mögliche Assoziation mit dem Brandanschlag von 1993 in Solingen vermeiden. Wie kann es also sein, dass die Mordanschläge, die von Deutschen verübt wurden, sowohl in der Politik als auch in den Medien wenig Beachtung finden und von der Öffentlichkeit weitgehend ausgeblendet werden? Diesen Eindruck bestätigt eine aktuelle Recherche, die aufzeigt, dass über die Taten in Magdeburg und München doppelt so viel berichtet wurde wie über die Tat in Mannheim. 

Vielleicht ist es ein Anflug von Lethargie oder Borniertheit, die die Politik und Medienlandschaft befällt, wenn ein mögliches rechtsextremistisches Tatmotiv vorliegt. Vielleicht aber ist es auch einfach nur unbequem, sich mit rechtsextremistisch motivierten Morden zu beschäftigen, insbesondere seit den letzten Wahlerfolgen der AfD und dem Erstarken der rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Denn dies wäre gleichzeitig auch ein Eingeständnis, dass wir in Deutschland ein Problem mit dem Rechtsextremismus haben und dieses Problem lässt sich nicht mit ein paar markigen Wahlsprüchen oder populistischen Forderungen beheben. Zuzugeben, dass eine reale Gefahr für die Demokratie in Deutschland ausgehend von rechtsextremen Netzwerken existiert, wäre gleichzeitig auch ein Eingeständnis, dass man insgesamt als Gesellschaft viel zu wenig gegen eine solche Bedrohung unternommen hat und der Slogan Nie wieder ist Jetzt! schon längst nicht mehr das Papier wert ist, auf dem er steht. 

Nichts gelernt?

Wir haben als Gesellschaft aus der jüngsten Vergangenheit nicht gelernt. Die unglückliche Rolle der Sicherheitsbehörden und der Medien bei den NSU-Morden ist schon längst kein Thema mehr, vergessen die zögerliche Ermittlungsarbeit nach dem rechtsextremistischen Anschlag 2016 in München, der erst 2018 vom Bundesamt für Justiz als rechtsextremistische Tat eingestuft und ein Jahr später auch im Abschlussbericht des bayrischen Landeskriminalamts als solche bewertet wurde. Dabei ist es aktuell wichtiger denn je, sich als demokratische Gesellschaft einzig und alleine mit den Fakten zu beschäftigen und sich nicht stark emotionalisierten Debatten hinzugeben, die von der AfD und anderen Rechtspopulisten forciert werden. Das gilt auch für die Politik und die Medien. Eine objektive Herangehensweise ist nicht nur eine Frage des Berufsethos, es festigt auch das Vertrauen von Migrant*innen und Menschen mit Migrationsgeschichte in die Medien und den Rechtsstaat und fördert den gesellschaftlichen Frieden. Sonst läuft man Gefahr, den Glauben mehrerer Generationen von Migrant*innen in die Politik und den Rechtsstaat zu verspielen und das kann sich keine Gesellschaft erlauben. Wir alle stehen in der Pflicht, wachsam zu sein und für den Erhalt der Demokratie einzustehen. Alle Bürger*innen Deutschlands, ganz gleich ob mit oder ohne Migrationshintergrund, werden hierfür benötigt. Denn wie schnell sich eine gefestigte Demokratie selbst zersetzen kann, wenn die Falschen gewählt werden und rechtsextremistische Tendenzen nicht rechtzeitig unterbunden werden, kann man aktuell am Beispiel der USA sehen.