Europas Grenzen

Asyl-Flüchtlinge
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Asyl-Flüchtlinge

 

von Bernd Kasparek

Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Libyen, und der damit ausgesetzten Kooperation Libyens mit Italien zu Zwecken der Unterbindung von undokumentierten Überfahrten gen Italien schaut Europa wieder auf das Mittelmeer. Wie jedes Jahr berichten die Medien über überfüllte Boote, in denen sich Flüchtlinge und MigrantInnen auf den Weg machen, in der Hoffnung auf Schutz und ein besseres Leben in Europa. Und wie jedes Jahr wieder berichten die Medien, wie viele dieser Überfahrten mit dem Tod der InsassInnen enden. Im ersten Halbjahr 2011 wurden bereit über 1.400 Tote allein im Dreieck Tunesien, Libyen und Itallien gezählt.

Die kritische öffentliche Auseinandersetzung läuft gerne unter dem Stichwort “Festung Europa”. Europa schotte sich ab, der Zugang zu Asyl und Schutz sei zu oft ein tödliches Unterfangen. Während all dies stimmt, hat die Metapher der “Festung Europa” dennoch eine entscheidende Schwäche. Das Sprechen über die Festung Europa suggeriert eine institutionelle Homogenität, unterstellt schlechthin die Existenz eines geschlossenen politischen Apparats, der gnadenlos die perfekte Abschottung Europas verfolgt.

Eine solche politische Konzeption der europäischen Migrationspolitik kann dann aber lediglich der Anprangerung der vielen Skandale dienen, die die derzeitige Politik tatsächlich produziert. Aber wo kann eine kritische öffentliche Auseinandersetzung ansetzen, um eben nicht lediglich anzuprangern, sondern eine Umwälzung der menschenverachtenden Politik zu bewirken? Es muss also darum gehen, die Grenzziehungsprozesse der Europäischen Union besser zu verstehen, um mit dem Wissen um Konflikte und konkurrierende Konzeptionen Spielräume für eine kritische Intervention zu eröffnen.

Schengen, Außengrenze

Seit den 1980er Jahren kam es vermehrt zu Migrations- und Fluchtbewegungen, die ihren Ursprung außerhalb Europas hatten. Die neuen MigrantInnen fanden jedoch eine zerklüftete legislative Landschaft vor, in der manche Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) irreguläre Einwanderung de facto duldeten, während andere die nationalen Arbeitsmärkte zu schützen suchten und die Asylgesetzgebung starke Unterschiede aufwies. Als Reaktion entwickelte sich eine Tendenz in Europa, undokumentierte Migration als Problem zu betrachten und ihr eine gemeinsame Lösung entgegen setzen zu wollen.

1985 unterzeichneten VertreterInnen Deutschlands, Frankreichs, der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs im luxemburgischen Kurort Schengen das gleichnamige Abkommen. Dessen Inhalt war, auf Personenkontrollen an gemeinsamen Grenzen zu verzichten und im Gegenzug die Außengrenze des neu konstruierten Schengenraums zu schützen. Die Freizügigkeit in diesem Raum sollte also mit einer verstärkten Sicherung der Grenzen zu den so genannten Drittländern, also Ländern außerhalb des Schengener Abkommens, gekoppelt werden.

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Das erste Schengener Abkommen markierte also die Geburt der Europäischen Außengrenze als Institution und sie ging von Anfang an Hand in Hand mit der Abwehr von Flucht- und Migrationsbewegungen. Die praktische Umsetzung dieser Idee sollte jedoch noch ein weiteres Jahrzehnt dauern. Festzuhalten ist hier, dass die lediglich zwischenstaatlichen, also völkerrechtlichen Abkommen von Schengen außerhalb des EG-Rahmens stattgefunden haben und erst mit dem europarechtlichen Vertrag von Amsterdam 1997 in die EU integriert wurden.

1990 wurde Schengen II unterzeichnet, in dem die konkreten Verfahrensabläufe der Umsetzung des Schengener Übereinkommens in gesetzlicher, aber vor allem auch technischer Hinsicht festgelegt wurden. 1991 trat der Vertrag von Maastricht in Kraft, der die Gründung der EU markierte und ein Drei-Säulen-Modell einführte. Mit der Integration der Migrationspolitik in die dritte Säule war diese endgültig auf der europäischen Ebene angekommen, wenngleich auch immer unter dem Vorzeichen der Abwehr und der Bekämpfung von Flucht und Migration und unter Mitsprache der Mitgliedsstaaten. Zeitlich fällt diese Entwicklung zusammen mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Aufkommen von Kriegen auf dem Balkan und einer weiter verstärkten Migration aus Ländern außerhalb Europas. Anfang der 1990er Jahre waren mehrere Millionen Menschen innerhalb und in Richtung Europa unterwegs, und die neu gegründete EU mitsamt ihrer Mitgliedsstaaten war bemüht, ihre Grenzen zu schließen.

In Deutschland führte dies beispielsweise zu dem Asylkompromiss von 1993, der das Konzept der sicheren Drittstaaten und der Exterritorialität einführte. Das Konzept der sicheren Herkunfts- und Drittstaaten schloss nun Menschen aufgrund ihrer Herkunft vom Asylrecht aus: AsylantragstellerInnen aus einem "sicheren Herkunftsstaat" wurde das Asylrecht per se verwehrt. Es wurde aber auch allen anderen Personen, die über einen so genannten "sicheren Drittstaat" nach Deutschland einreisten, verwehrt – ganz gleich wie die Menschenrechtslage dort wirklich aussah. Das Argument, dass ein Asylantrag ebenso in dem sicheren Drittstaat hätte gestellt werden können, wurde zur Grundlage für die sofortige Rückschiebung dieser Person in den Drittstaat. Der Asylkompromiss enthielt damit schon drei wesentliche Elemente der zukünftigen EU-Migrationspolitik: 1. Illegalisierung von Migration, 2. Vorverlagerung und Aufrüstung der Grenze sowie 3. den Gedanken der Exterritorialität, also der Postulierung eines Grenzraums außerhalb des Territoriums der Europäischen Union, in dem zwar Migrationsabwehr betrieben werden darf, aber in dem nationale Gesetze, europäische Verordnungen und völkerrechtliche Vereinbarungen zum Schutz der Menschenrechte nur bedingt gelten.

1995 trat das Abkommen von Schengen, mittlerweile mit weiteren Ländern, faktisch in Kraft. Die Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedsländern fielen 1997, im Gegenzug für die Sicherung eines Abschnitts einer bis dato nicht existenten gemeinsamen Außengrenze, 2000/2001 und 2007 fanden weitere Beitrittsrunden statt, die dazu führten, dass der Schengenraum sich nach und nach dem Territorium der EU annäherte. Erst mit Schengen wurde die EU-Außengrenze eine praktische Realität und ihre Sicherung eine immer bedeutendere Aufgabe, die mehr und mehr von der europäischen Ebene behandelt wird, auch wenn die formale Hoheit weiter bei den Mitgliedsstaaten liegt. Die enorme Bedeutung, die der Sicherung der Außengrenze und damit der europäischen Territorialität zukommt, wird dadurch verdeutlicht, dass die Umsetzung der Schengener Abkommen immer eine der ersten Bedingungen für den Beitritt zur EU war und ist.

Ab 1998 kommt der Prozess der Vorverlagerung der EU-Außengrenze in Fahrt. Mit dem Aktionsplan Irak wird erstmals die Eindämmung von Flüchtlingsströmen in der Herkunftsregion und die Einbindung der Transitländer, durch die MigrantInnen reisen (hier vor allem die Türkei und die Balkanstaaten) in die Abwehr von Flüchtlingen praktiziert. Weitere Aktionspläne folgen (Marokko, Albanien, Somalia, Sri Lanka, Afghanistan). 1999 findet mit der Stationierung von italienischer Polizei, Grenzschutz und Militär in Albanien zur Migrationsverhinderung ein Präzedenzfall der exterritorialen Sicherung der Grenze statt. 1999 tritt der Vertrag von Amsterdam in Kraft, mit dem neben der Überführung der Schengener Abkommen in EU-Recht auch eine stärkere Zusammenarbeit von Polizei, Zoll und Justiz in Migrations- und Asylfragen beginnt. Über die Erstellung eines Fünf-Jahres-Plans für die Harmonisierung von Asylverfahren und Abwehr von Migration wird zusätzlich versucht, politischen Einfluss zu nehmen.

Die Dynamik ab 2000 wird vor allem von der so genannten G5-Gruppe (Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Großbritannien) bestimmt. In ihr vertreten sind die Innenminister der genannten Staaten. Ihr Ziel ist es, durch Vorstöße die Blockade in der EU-Innenpolitik aufzubrechen. Die Staaten der G5-Gruppe werden sich konsequenterweise auch stark in Frontex, der europäischen Grenzschutzagentur, engagieren. 2000 schlagen Deutschland und Italien erstmals den Aufbau einer EU-Grenzschutzpolizei vor, und dieser Vorschlag wird von Spanien vehement befürwortet. 2001 wird beim Treffen des Ministerrats in Laeken der Aufbau eines EU-Grenzschutzes angeregt.

Frontex

Im Jahr 2002 legt die Europäische Kommission das Papier Towards integrated management of the external borders of the member states of the EU  vor, in dem die Idee einer Europäischen Grenzschutzagentur weiter aufgegriffen und präzisiert wird. Zwar lehnen die EU-Mitgliedsstaaten diese Idee ab, doch am 26. Oktober 2004 verabschiedet der Rat der Europäischen Union die Verordnung (EG) 2007/2004 zur Schaffung von Frontex, der Europäischen Grenzschutzagentur. Der martialisch klingende Name bezieht sich auf den französischen Begriff für Außengrenzen, frontières extérieures. Die Agentur nimmt im Jahr 2005 ihre Arbeit auf, und zwar in ihrem Hauptquartier in der polnischen Hauptstadt Warschau. Dort arbeiten die mittlerweile knapp 300 MitarbeiterInnen, die mehrheitlich aus dem Grenzschutzapparat eines der EU-Mitgliedsstaaten kommen. Die Agentur verfügte im Jahr 2010 über rund 90 Millionen EUR, die zu zwei Dritteln für operative Vorgänge ausgegeben werden.

Dank des Rechtsstatus als europäische Agentur handelt Frontex relativ autonom. Das Europäische Parlament verfügt im Wesentlichen nur en bloc über das Budget, die eigentliche Kontrolle wird vom Verwaltungsrat ausgeübt, in dem neben zwei VertreterInnen der Europäischen Kommission jeweils ein/e VertreterIn der EU-Mitgliedsstaaten sowie der Nicht-EU-Mitgliedsstaaten im Schengenvertrag (bspw. Schweiz, Norwegen) sitzen. Damit bewegt sich Frontex auf einer Zwischenebene: als multilaterale Organisation ist sie weder eine durch und durch europäische Institution noch die eines Mitgliedsstaates, sie steht vielmehr für die schrittweise Europäisierung des Grenzregimes in Europa.

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In diesem Sinne ist Frontex selbst kaum involviert in die eigentliche Überwachung und Kontrolle der Grenze, und auf diese Feststellung hebt auch die Öffentlichkeitsarbeit von Frontex besonders ab. Frontex selbst verfügt auch gar nicht über das entsprechende Personal. Die hoheitliche Aufgabe der Grenzsicherung verbleibt bei den Grenzschutzeinheiten der Mitgliedsstaaten. Die Aufgabe, der Frontex vor allem nachkommt, ist die Koordinierung der Zusammenarbeit der Grenzschutzpolizeien der EU-Mitgliedsstaaten, wie auch der lange Name der Agentur andeutet: Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen. Zu diesem Zweck sind die verschiedensten Aufgaben in der Agentur zusammengefasst.

Frontex ist die konsequente Fortsetzung der Erfindung der Europäischen Außengrenze, die es nun auch durchzusetzen und zu regieren gilt. Frontex ist also eine weitere Materialisierung, eine weitere Verfestigung, mittels der die Grenze überhaupt erst als politische Einrichtung entsteht. In der so genannten „Risikoanalyse“ sammelt und bewertet Frontex die Geschehnisse an der Außengrenze, um zum einen neue Entwicklungen im border crossing, also bei der Grenzüberschreitung, aufzuspüren, zum anderen aber auch, um die Entwicklung der irregulären Migration nach Europe zu prognostizieren. Ferner ist Frontex im Forschungsbereich sowie in der Ausbildung von GrenzschützerInnen in Europa tätig. Vor allem letzteres wird in Zukunft verstärkt zu einer Harmonisierung der europäischen Grenzschutzpraxis führen. Zu diesem Zweck entwickelt Frontex Lehrgänge und Curricula, die an nationalen und europäischen Polizeiakademien gelehrt werden.

Die Hauptaktivität von Frontex liegt jedoch unbestritten im operativen Bereich. Zumeist von Frontex initiiert, finden an den verschiedensten Orten der Außengrenze so genannte „Gemeinsame Operationen“ statt, in denen Grenzschutzeinheiten der Mitgliedsstaaten gemeinsam die Grenze patroullieren. Das bekannteste Beispiel ist die „Operation Hera“, die erste und mittlerweile umfangreichste Operation von Frontex. Ihr Ziel ist es, die irreguläre Migration im Westatlantik, ausgehend von Mauretanien und Senegal, zu unterbinden. Die Operation startete auf den Kanarischen Inseln, wo im wesentlichen BefragerInnen eingesetzt wurden, um Migrationsrouten zu identifizieren. Schnell trat jedoch der operative Aspekt in den Vordergrund: Aufgrund bilateraler Abkommen Spaniens war es der Operation möglich, die Küstengewässer der beiden afrikanischen Länder mit eigenen Schiffen zu patroullieren und MigrantInnen abzufangen und an Land zurückzubringen. Dauerte diese Operation anfangs nur wenige Wochen, so findet sie mittlerweile rund ums Jahr statt und hat diese Route effektiv blockiert. Spanische Zeitungen berichten vom massiven Zurückgang der Überfahrten.

Entgegen der oftmals geäußerten Vermutung, Frontex wäre auch für die Praxis der illegalen Rückschiebungen nach Libyen im Mittelmeer verantwortlich, ist dies nicht der Fall. Zwar gab es in exakt diesem Bereich eine Operation von Frontex („Nautilus“), diese war jedoch einerseits wegen der mangelnden Kooperation Libyens und andererseits aufgrund von Streitigkeiten zwischen Malta und Italien, wer die abgefangenen MigrantInnen aufzunehmen habe, nicht erfolgreich. Italien hat im Alleingang das westatlantische Modell von Frontex, die Grenzkontrolle vorzuverlagern, kopiert und angewendet. Grundlage ist hier der sogenannte libysch-italienische Freundschaftsvertrag von 2008, in dem sich Italien für die Verbrechen der Kolonialzeit in Libyen entschuldigt, und der den Weg frei machte für ein libysch-italienisches Kooperationsabkommen bezüglich der Flüchtlingsabwehr. In Folge dessen unterband Libyen die Überfahrt von Flüchtlingen und MigrantInnen von libyschem Territorium und akzeptierte, dass Italien Flüchtlingsschiffe auf hoher See abfing und deren Insassen unverzüglich – insbesondere ohne Prüfung einer Schutzbedürftigkeit – nach Libyen zurückschob.

Zwar wurde diese Praxis allgemein kritisiert, da sie gegen das Refoulement-Verbot der Genfer Flüchtlingskonvention verstößt, also gegen das Verbot der Abschiebung von Schutzsuchenden in ein Land, in dem ihnen Schaden an Leib und Leben droht. Dennoch wurde das Vorgehen Italiens von den anderen EU-Staaten begrüßt oder zumindest stillschweigend geduldet, während die EU-Kommission sich bemühte, ein ähnliches Abkommen für die gesamte EU zu verhandeln. An diesem Punkt zeigt sich, dass die Asylpolitik in der EU nicht von Menschenrechtserwägungen geleitet ist, sondern einem Abschottungsimperativ folgt. Es wird aber auch sichtbar, wie sich postkoloniale Herrschaftsverhältnisse drehen und Staaten der Transitmigration ein neues Pfand für Verhandlungen mit den existierenden Machtblöcken gewonnen haben.

Dublin II, Migrations- und Asylpolitik

Neben dem Strang des Ausbaus des Grenzschutzes sowie der Vorverlagerung der Grenze zieht sich auch das Thema einer europäisch einheitlichen Asyl- und Migrationspolitik durch die Geschichte der EU-Integration. Seit die Kommission mit dem Vertrag von Amsterdam in dem Politikfeld ein gewisses Mitspracherecht erhalten hat, gab es ihrerseits mannigfaltige Initiativen, die jedoch im Großen und Ganzen scheiterten. Allem Anschein nach haben die EU-Mitgliedsstaaten lediglich ein Interesse an einer Kooperation in der Repression. So ist es auch kein Wunder, dass die einzige Regelung hin zu einer europäischen Harmonisierung des Asylrechts sich damit befasst, wann ein EU-Mitgliedsstaat kein Asylverfahren durchführen muss: die so genannte Dublin II-Verordnung. Auch sie ging aus einem Vertrag außerhalb des EU-Rahmens (Vertrag von Dublin) hervor und wurde nachträglich in die EU-Gesetzesordnung eingefügt.

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Die Dublin II-Verordnung greift im Wesentlichen das Argument des sicheren Drittstaats im EU-europäischen Rahmen auf. Sie besagt, dass derjenige EU-Mitgliedsstaat, der die Einreise eines/einer tatsächlichen oder potenziellen Asylantragstellers/-stellerin verursacht hat (Verursacherprinzip), auch für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dabei kann Verursachung beispielsweise die Vergabe eines Visums, aber auch die Nicht-Verhinderung einer undokumentierten Einreise bedeuten. Dublin II hat sich mittlerweile zum bürokratischen Monster entwickelt, auf Grund dessen Flüchtlinge und MigrantInnen, die ihr Heil in einem Asylantrag suchen, quer durch die EU abgeschoben werden. So machen beispielsweise Dublin II-Abschiebungen 40% aller 2009 in Deutschland durchgeführten Abschiebungen aus.

Es liegt auf der Hand, dass die Länder der EU, die einen großen Anteil an der Außengrenze haben, viel mehr Asylanträge durchführen müssen. Gegenwärtig ist vor allem Griechenland, einstmals ein Auswanderungsland, das Ziel der meisten Dublin II-Abschiebungen. Dort findet ein Großteil der irregulären Einreisen in die EU statt. Obwohl Griechenland Teil der EU ist, haben doch die wenigsten Flüchtlinge und MigrantInnen die Absicht, sich dort niederzulassen. Der Wunsch, in die Länder im Zentrum und im Norden der EU weiterzureisen, ist in der migrantischen Bevölkerung Griechenlands quasi omnipräsent. Doch ohne Unionsbürgerschaft und/oder EU-Aufenthaltserlaubnis stellt sich die EU tatsächlich als Europa der Grenzen dar: Zwischen Griechenland und dem Norden liegen viele Grenzen, deren Überquerung keineswegs trivial ist, sondern die viele Gefahren birgt: Einerseits besteht immer die Möglichkeit der Entdeckung und des Aufgriffs, was unweigerlich zur Rückschiebung und teilweise zu (erneuter) Internierung führt, andererseits lauern auch reale Gefahren für Leib und Leben, und dies eben nicht nur an der Außengrenze, sondern auch innerhalb der EU.

Mittlerweile wurde das Ziel einer einheitlichen EU-Migrations- und Asylpolitik wieder nach hinten, diesmal auf das Jahr 2012 verschoben. Eine neu zu schaffende Agentur, das so genannte Asylunterstützungsbüro mit Sitz auf Malta soll dafür den Weg ebnen. Doch viel hat sich bisher, trotz aller Ankündigungen, nicht getan. Es sind derzeit lediglich die Gerichte, die in Frage stellen, ob eine europäische Asylpolitik, die als offensichtlich einziges Ziel die Vermeidung von Asylanträgen verfolgt, im Einklang mit selbsterklärten Menschenrechtsmaximen steht (vgl. auch den Beitrag von Klaudia Dolk im Dossier).

Die Länder an den Außengrenzen fordern seit langem eine neue und gerechtere Gestaltung der Dublin II-Verordnung. Dies wird jedoch vor allem von der deutschen Regierung vehement blockiert.

Fazit

12 Jahre nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam ist die Europäische Union kaum einen Schritt in Richtung einheitlicher Asyl- und Migrationspolitik vorangekommen. Zwar haben drei Richtlinien eine gewisse Angleichung der Verhältnisse in den einzelnen Mitgliedsstaaten herbeigeführt, dennoch unterscheidet sich die Lebensrealität der Flüchtlinge immer noch erheblich. Während Flüchtlinge in Deutschland gegen ihre Unterbringung in Lagern und die Gängelung durch das Asylbewerberleistungsgesetz kämpfen, sind Flüchtlinge in Italien, Griechenland und weiteren Staaten akut der Obdachlosigkeit und absoluten Bedürftigkeit ausgesetzt, oftmals trotz Flüchtlingsanerkennung.

Im Grunde wird die europäische Asyl- und Migrationspolitik von den Mitgliedsstaaten im Norden dominiert, die ihren Fokus auf Verhinderung von Migration legen und weitestmöglich auch Flüchtlingen keine Zuflucht bieten wollen. Eine Politik, die sich dem Wohl der Flüchtlinge, und des Respekts gegenüber MigrantInnen verschreibt, ist in Europa immer noch nicht abzusehen.

 

 

 

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Bernd Kasparek promoviert zur Transformation des europäischen Grenz- und Migrationsregimes. Er ist Mitglied im Netzwerk Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung und Mitherausgeber des Sammelbandes Grenzregime. Diskurse, Praktiken, Institutionen.