Editorial Dossier Öffnung der Hochschule - Chancengleichheit, Diversität, Integration

Die Diskussion um die Zukunft der Hochschulen in Deutschland ist nicht erst seit der Bologna-Reform und der Umstellung auf die gestuften Abschlüsse ein Dauerbrenner. Die Exzellenzinitiative hat die Anreizstrukturen in den Universitäten kräftig durcheinandergewirbelt. Und seit dem Nationalen Bildungsgipfel und dem Konjunkturpaket II der Bundesregierung wird mit neuer Heftigkeit über die Finanzierung innovativer Maßnahmen gestritten.

Sind unsere Hochschulen dadurch ausreichend auf die gesellschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte vorbereitet und können sie der Verantwortung gerecht werden, die sie auch für die soziale und demokratische Entwicklung unserer Gesellschaft tragen? Ob ihnen Letzteres gelingen wird, hängt auch davon ab, ob die Hochschulen in der Lage sind, sich für neue Schichten zu öffnen, um eine breite Teilhabe von jungen Menschen aus bildungsfernen und einkommensschwachen Familien an höherer Bildung zu ermöglichen.

Im internationalen Vergleich ist Deutschland eines der Länder mit der geringsten Studierneigung. Der Zugang zur höheren Bildung wird durch starke soziale Ungleichheit reguliert, die seit dem Wachstum akademischer Schichten in den 1970er Jahren teilweise sogar noch zugenommen hat. Eine Öffnung der Hochschulen für junge Menschen aus sozial benachteiligten Familien, viele auch aus Migrantenfamilien, sowie für beruflich Qualifizierte ohne klassische Hochschulzugangsberechtigung stellt das deutsche Hochschulsystem – seine Auswahlkriterien, seinen Lehrbetrieb, seine Personalrekrutierung – vor grundlegende Herausforderungen. Diese müssen jedoch gemeistert werden, sollen die Bedürfnisse einer zugleich alternden und stetig innovationsbedürftigen Gesellschaft befriedigt werden.


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Vor diesem Hintergrund überrascht, dass sich Deutschland seit vielen Jahren eine verantwortungslose Verschwendung von Bildungsressourcen leistet. Die Hochschulen, und hier besonders die Universitäten, sind nicht nur Stätten der Selbstreproduktion der akademisierten Schichten. Auch das für Deutschland so charakteristische System der Bildungs- und Berufsbildungszertifikate, welches für einen nationalen Qualifikationsmarkt durchaus sinnvoll war, erweist sich vor dem Hintergrund von Einwanderung und Internationalisierung zunehmend als dysfunktional: Davon können alle, die sich in Deutschland um die Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsqualifikationen bemühen, ein Lied singen. Sie scheitern an intransparenten Anerkennungsverfahren, interessengeleiteten Blockaden und Restriktionen. Viele bleiben erwerbslos oder arbeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen deutlich unterhalb ihres vormals erreichten Ausbildungsniveaus.

Ferner erfordert die zunehmende Globalisierung eine stärkere internationale Ausrichtung der Hochschulen auf einem weltweiten Bildungsmarkt sowie mehr Austausch von Studierenden, Graduierten und WissenschaftlerInnen. Die Gewinnung von WissenschaftlerInnen sowie begabten Studierenden aus anderen Ländern, ihre Förderung und Integration tragen zum Erfolg deutscher Hochschulen im internationalen Wettbewerb bei.

Das Dossier analysiert die soziale Öffnung der Hochschulen unter folgenden Aspekten:

Im Abschnitt „Neue Zugänge zur Hochschule“ werden die Selektionsmechanismen und restriktiven Zugangsbedingungen zu den Hochschulen analysiert, die junge Menschen aus bildungsfernen Familien oder einer beruflichen Ausbildung davon abhalten, einen höheren Bildungsabschluss anzustreben.

Im Abschnitt „Diversität in Lehre und Studium“ werden Ansätze und Konzepte zur Förderung der sozialen und kulturellen Diversität in Studium und Lehre vorgestellt, die an verschiedenen Hochschulen erprobt werden und die darauf abzielen, die Bedürfnisse der vielfältigen Studentenschaft und des Hochschulpersonals mit den Anforderungen der akademischen Bildung in Einklang bringen.

Im Abschnitt „Intergration von BildungsinländerInnen und -ausländerInnen“ werden die Zugangs- und Studienbedingungen, aber auch die Chancen, nach dem Studium in Deutschland eine Arbeit aufnehmen zu können, aus der Sicht ausländischer Studierender dargestellt. Ferner wird nach Verbesserungen beim Umgang der deutschen Hochschulen mit der Anerkennung von Bildungsqualifikationen ausländischer WissenschaftlerInnen und potentieller Studierender gefragt.

Die Öffnung der Hochschule wird nur dann erfolgreich sein, wenn sich die Politik unmissverständlich zur Einwanderungsrealität Deutschlands bekennt und durch eine konsistente Einwanderungs- und Integrationspolitik entscheidend dazu beiträgt, dass Deutschland zu einer aufstiegsoffenen attraktiven Gesellschaft wird.

Das Dossier hat Undine Zimmer redigiert.
Verantwortlich Olga Drossou, MID-Redaktion, Heinrich Böll Stiftung