In dem Roman "Café Dunya. Ein Tag in Damaskus" beschreibt Suleman Taufiq ein Café in einem traditionellen Stadtviertel von Damaskus und dessen Gäste: Dichter, Händler, Bauern, Intelektuelle, verschrobene Gestalten und weise Männer. Ein junger Mann folgt einer Frau, die er im Bus gesehen hat und von der er glaubt, dass sie ihm ein Zeichen gegeben hat. Dabei stößt er auf das Café Dunya. Mit feiner Beobachtungsgabe und leisem Humor beschwört Suleman Taufiq stimmungsvolle Bilder.
Außerdem stellen wir die vier Gedichte "auf dem marktplatz", "das ist das zeitalter der rebellion", "der andere" und einen Auszug aus "splitter" vor.
Ausgewählte Lyrik von Suleman Taufiq
Aus: Suleman Taufiq: Ich zähme die Hoffnung. Sujet Verlag, Bremen, 2017
"Café Dunya. Ein Tag in Damaskus" - Leseprobe
»Salma kommt!«
Von allen Seiten hörte ich diese Nachricht. Plötzlich hatte
sich Unruhe breit gemacht. Ich schaute zur Treppe, die zur
Moschee hinaufführte, und da sah ich eine große Frau. Eine
elegante Erscheinung überquerte den Platz mit Muße. Sie trug
einen langen Überwurf mit Kopfbedeckung, darunter ein
weißes Kleid und eine weiße Kopfbedeckung. Sie fiel allein
schon deshalb auf, weil sie die einzige Frau war, die in diesem
Alter noch helle Kleidung trug. Sie war wohl Mitte fünfzig,
würdevoll stieg sie die Stufen hinab.
Ganz gewiss war sie früher bildhübsch gewesen. Ihr ovales Gesicht wurde von großen
Augen beherrscht, die mit schwarzem Kohl umrandet
waren. Ihr gemächlicher Gang wurde vom leichten Klirren
silberner Armreifen begleitet, sie musste aus einer wohlhabenden
Familie stammen. Sie wirkte stark und entschieden, ja in
ihren großen schwarzen Augen lag auch ein gewisser Hochmut.
»Welche Geheimnisse waren in diesem Gesicht verborgen,
das eine solche Gelassenheit ausstrahlte?«, dachte ich. Ein
Mensch voller Geheimnisse …
Die Männer wechselten respektvolle Blicke und schauten zur
Seite, nur der alte Mann tat so, als beobachtete er die Frau nicht.
»Wer ist diese Salma? Warum haben die Leute hier alle Ehrfurcht
vor ihr?«, fragte ich ihn.
Er tat so, als ob er meine Frage nicht gehört habe.
Ich hakte nach: »Sie stammt aus einem anderen Land, nicht
wahr?«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich weiß nicht, sie ist irgendwie anders als die anderen
Frauen.«
»Stimmt, sie stammt aus Algerien. Aber mehr will ich jetzt
nicht von ihr erzählen«, sagte der alte Mann entschieden und
drehte sich um, so dass er ihr den Rücken zukehrte.
Der Philosoph sagte: »Was soll denn das? Wieso sprichst du
eigentlich nie über sie? Ich bin sicher, dass du viel mehr über
sie weißt. Du redest ständig über andere, nur nicht über sie. Zu
gerne wüsste ich, warum.«
»Sie ist eine gefährliche Frau, sie kann dir den Kopf verdrehen!
«, warf ein Mann ein.
»Hast du mal ein Techtelmechtel mit ihr gehabt? Vielleicht
schweigst du ja deshalb?«, mischte sich der Dichter ein.
»Ihr seid wirklich unmöglich!«, wehrte der Alte mit bebender
Stimme ab.
»Du kennst die Frau sehr gut, nicht wahr? Sie wohnt hier
im Viertel. Wenn sie donnerstags vorbeikommt, bist du wie
gelähmt. Dann hörst du auf zu reden. Da gibt es bestimmt ein
Geheimnis«, sagte der Philosoph.
»Ich bin schließlich nicht der einzige, der verstummt, wenn
sie kommt. Sie strahlt eben eine gewisse Würde aus.«
Der Dichter lachte und sagte zu mir: »Wenn Sie eine Braut
suchen, dann ist sie die richtige Adresse. Für zehn Lira besorgt
sie Ihnen ein hübsches, nettes Mädchen.«
Aus dem Rekorder ertönte die Stimme von Asmaham mit
»Ich bin verliebt, ich bin verliebt, ja ich.« Der Kellner sang mit
und stöhnte »Ana ahwa ana«, wenn die Sängerin diesen Satz
lasziv wiederholte. Auf dem Weg zu unserem Tisch bewegte er
sich im Rhythmus des Liedes.
Salma trug ein Weihrauchgefäß in der Hand und ging direkt
auf den Kellner zu. Sie stellte sich aufrecht wie eine Palme vor
ihn hin und warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Er lächelte.
Ohne etwas zu sagen, öffnete sie das Gefäß, und der Kellner
füllte glühende Kohle hinein. Aus ihrer Tasche nahm sie eine
Tüte, in der sich weiße Kiesel befanden, die sie über die Kohle
streute. Dann schaute sie sich um und ging auf mich zu. Sie hielt
das Gefäß über meinen Kopf, und schon roch es überall nach
Weihrauch. Sie murmelte einige Sprüche und unverständliche
Worte. Als sie damit fertig war, ging sie weiter zu den anderen
Gästen, dann setzte sie sich auf einen Stuhl ganz vorne. Der
Kellner brachte ihr ungefragt eine Tasse Kaffee und eine Wasserpfeife.
Sie sprach mit niemandem, rauchte ihre Wasserpfeife
in aller Ruhe und nippte ab und an an ihrem Kaffee.
Die Männer schätzten sie und ihre Anwesenheit. Sie war die
einzige Frau im Café.
Ein kleiner Junge hockte im Schneidersitz auf dem Boden,
trommelte auf einem alten Topf und sang dazu schmachtend
ein altes Lied: »Der Schöne sagte zu mir: ›Was möchtest du?‹
Ich sagte: ›Dich möchte ich.‹
sie sagte: ›Ich bringe dir eine andere.‹ Ich sagte: ›Nein, nur dich!‹
Sie sagte: ›Ich bringe dir Gold.‹ Ich sagte: ›Das Gold bist du.‹
Sie versteckten dich vor meinen Augen,
sie quälten mich, sie entrissen dich meinem Herzen
und waren unbarmherzig zu mir.
Sie verhinderten die Vereinigung mit dir. Ich schlief wie ein Waisenkind,
allein mit meinen Tränen. Oh mein Geliebter,
tadle mich nicht, wenn ich soviel weine!
Mein sind die Tränen und mein sind die Augen!«
Nach einer Weile hörte er plötzlich auf zu singen. Salma war
überwältigt vom Gesang des Jungen und vor Glück und Rührung
traten ihr Tränen in die Augen. Dann gab sie sich einen
Ruck, erhob sich und wies den Kellner an: »Schreib es an.«
Würdevoll verließ sie das Café und ging auf das Haus an der
rechten Ecke des Platzes zu.
Als sie weg war, tippte ich dem
alten Mann auf die Schulter und fragte:
»Warum ist sie gegangen?«
Der alte Mann antwortete: »Es ist ihr Lied, sie hat es gesungen,
als sie neu hier war. Und es wurde ein Hit im Radio. Unter
uns, es ist auch mein Lieblingslied. Du müsstest es mal im Original
mit der Stimme von Salma hören! Ich habe zu Hause eine
Kassette mit ihren Liedern, auch dieses Lied ist darunter. Hier
darf man ihre Lieder nicht spielen. Das war ihr Wunsch.«
»Wohnt sie in diesem Viertel?«
»Ja, sie wohnt hier.«
»Wo ist sie hingegangen? Wohnt sie in dem Haus da drüben,
wo sie gerade hingegangen ist?«
»Ja, im zweiten Stock«, sagte der alte Mann und fragte mich
erstaunt: »Wissen Sie denn nicht, was das für ein Haus ist?«
»Nein, woher denn? Ich bin doch zum ersten Mal hier!«
Der alte Mann setzte sich bequem auf seinem Platz zurecht,
trank einen Schluck Wasser und strich sich über seinen
Schnurrbart. Er bemerkte die Verblüffung in meinem Gesicht
und flüsterte mir zu:
»Sie ist eine Mystikerin. Das Haus dort ist die Herberge
eines Sufi Ordens. Jeden Donnerstag treffen sich dort Frauen und
Männer, um gemeinsam die Dhikr-Zeremonie zu begehen, aber
vorher schaut sie immer erst hier vorbei. Ab zwölf Uhr nachts
können Sie, wenn Sie so lange hier bleiben, ihre Musik hören.
Bestimmt wäre das interessant für Sie. Wenn Sie Lust haben,
können Sie vorbei schauen.«
»Gehört Salma auch dem Orden an?«
»Ja, sie ist eine Scheikha.«
»Aber sie sieht aus, als ob sie aus einer wohlhabenden
Familie stammt. Wie kam sie denn aus Algerien hierher? Lebt
sie allein?«
»Sie sind aber neugierig! Sie lassen nicht so schnell locker,
nicht wahr? Ich habe ihre Geschichte bisher noch niemandem
erzählt. Heute werde ich dieses Geheimnis lüften.«
Am Tisch herrschte absolute Stille und alle schauten
gespannt auf den alten Mann.
Aus: Suleman Taufiq: Café Dunya. Ein Tag in Damaskus. Edition Orient, Berlin, S.95- 100.