Leseprobe von Suleman Taufiq

In dem Roman "Café Dunya. Ein Tag in Damaskus" beschreibt Suleman Taufiq ein Café in einem traditionellen Stadtviertel von Damaskus und dessen Gäste: Dichter, Händler, Bauern, Intelektuelle, verschrobene Gestalten und weise Männer. Ein junger Mann folgt einer Frau, die er im Bus gesehen hat und von der er glaubt, dass sie ihm ein Zeichen gegeben hat. Dabei stößt er auf das Café Dunya. Mit feiner Beobachtungsgabe und leisem Humor beschwört Suleman Taufiq stimmungsvolle Bilder.

Außerdem stellen wir die vier Gedichte "auf dem marktplatz", "das ist das zeitalter der rebellion", "der andere" und einen Auszug aus "splitter" vor.

Suleman Taufiq
Teaser Bild Untertitel
Suleman Taufiq

Ausgewählte Lyrik von Suleman Taufiq

 

auf dem marktplatz

neben der karlsstatue
setzte ich mich auf den boden.
nicht weit von mir
verweilten menschen
ohne bleibe.
eine frau kam näher,
ich verstand,
dass sie mitleid mit den fremden hatte.
schöne frau mit den schönen klaren augen,
setz dich zu mir,
du verstehst die fremden
und ich verstehe dich.
auf den marktplatz
neben der karlsstatue
kam eine sumerische frau,
nackt
trug sie in der hand
ein gewand.
die tochter von anu und enlil
blieb stehen
und schaute mich an,
warf mir das gewand zu
und sagte:
leb wohl,
schütze dich damit vor dieser welt.

das ist das zeitalter der rebellion

ich reiste in städte,
die keine zeit kennen,
die sich nicht sofort entschleiern,
die kein interesse am abschied zeigen.
der weg war kurz,
ich reiste allein,
die tage begleiten mich,
die sonnen folgen mir,
die regenschauer kommen mir zuvor.
ich sehe städte,
ich sehe,
wie die welt ihre sprache ermordet.
auf der terrasse der stadt
sammle ich auf
die reste des alphabets
und gehe sehr weit
dem horizont entgegen.

der andere

der fremde in der fremde
ist nackt,
er bedeckt sich
mit seiner alltäglichen verwunderung,
trägt vergessene tage mit sich.

der fremde in der fremde
sucht wenige wörter,
um die worte zu verdichten,
er sucht seinen namen,
der sich täglich verändert.

nicht die fremde,
auch nicht
die heimat
für den fremden
ist eine heimat.
heimat ist
erinnerung,
fremde ist
leben.

 

splitter (Auszug)

11
das gedicht
ist ein gebet
als dank
für liebe und schönheit.

 


Gedichte aus:  Suleman Taufiq: Ich zähme die Hoffnung. Sujet Verlag, Bremen, 2017

Aus: Suleman Taufiq: Ich zähme die Hoffnung. Sujet Verlag, Bremen, 2017

"Café Dunya. Ein Tag in Damaskus" - Leseprobe

»Salma kommt!«

Von allen Seiten hörte ich diese Nachricht. Plötzlich hatte

sich Unruhe breit gemacht. Ich schaute zur Treppe, die zur

Moschee hinaufführte, und da sah ich eine große Frau. Eine

elegante Erscheinung überquerte den Platz mit Muße. Sie trug

einen langen Überwurf mit Kopfbedeckung, darunter ein

weißes Kleid und eine weiße Kopfbedeckung. Sie fiel allein

schon deshalb auf, weil sie die einzige Frau war, die in diesem

Alter noch helle Kleidung trug. Sie war wohl Mitte fünfzig,

würdevoll stieg sie die Stufen hinab.

Ganz gewiss war sie früher bildhübsch gewesen. Ihr ovales Gesicht wurde von großen

Augen beherrscht, die mit schwarzem Kohl umrandet

waren. Ihr gemächlicher Gang wurde vom leichten Klirren

silberner Armreifen begleitet, sie musste aus einer wohlhabenden

Familie stammen. Sie wirkte stark und entschieden, ja in

ihren großen schwarzen Augen lag auch ein gewisser Hochmut.

»Welche Geheimnisse waren in diesem Gesicht verborgen,

das eine solche Gelassenheit ausstrahlte?«, dachte ich. Ein

Mensch voller Geheimnisse …

Die Männer wechselten respektvolle Blicke und schauten zur

Seite, nur der alte Mann tat so, als beobachtete er die Frau nicht.

»Wer ist diese Salma? Warum haben die Leute hier alle Ehrfurcht

vor ihr?«, fragte ich ihn.

Er tat so, als ob er meine Frage nicht gehört habe.

Ich hakte nach: »Sie stammt aus einem anderen Land, nicht

wahr?«

»Woher wissen Sie das?«

»Ich weiß nicht, sie ist irgendwie anders als die anderen

Frauen.«

»Stimmt, sie stammt aus Algerien. Aber mehr will ich jetzt

nicht von ihr erzählen«, sagte der alte Mann entschieden und

drehte sich um, so dass er ihr den Rücken zukehrte.

Der Philosoph sagte: »Was soll denn das? Wieso sprichst du

eigentlich nie über sie? Ich bin sicher, dass du viel mehr über

sie weißt. Du redest ständig über andere, nur nicht über sie. Zu

gerne wüsste ich, warum.«

»Sie ist eine gefährliche Frau, sie kann dir den Kopf verdrehen!

«, warf ein Mann ein.

»Hast du mal ein Techtelmechtel mit ihr gehabt? Vielleicht

schweigst du ja deshalb?«, mischte sich der Dichter ein.

»Ihr seid wirklich unmöglich!«, wehrte der Alte mit bebender

Stimme ab.

»Du kennst die Frau sehr gut, nicht wahr? Sie wohnt hier

im Viertel. Wenn sie donnerstags vorbeikommt, bist du wie

gelähmt. Dann hörst du auf zu reden. Da gibt es bestimmt ein

Geheimnis«, sagte der Philosoph.

»Ich bin schließlich nicht der einzige, der verstummt, wenn

sie kommt. Sie strahlt eben eine gewisse Würde aus.«

Der Dichter lachte und sagte zu mir: »Wenn Sie eine Braut

suchen, dann ist sie die richtige Adresse. Für zehn Lira besorgt

sie Ihnen ein hübsches, nettes Mädchen.«

Aus dem Rekorder ertönte die Stimme von Asmaham mit

»Ich bin verliebt, ich bin verliebt, ja ich.« Der Kellner sang mit

und stöhnte »Ana ahwa ana«, wenn die Sängerin diesen Satz

lasziv wiederholte. Auf dem Weg zu unserem Tisch bewegte er

sich im Rhythmus des Liedes.

 

Buchcover Roman "Café Dunya" Suleman Taufiq

Salma trug ein Weihrauchgefäß in der Hand und ging direkt

auf den Kellner zu. Sie stellte sich aufrecht wie eine Palme vor

ihn hin und warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Er lächelte.

Ohne etwas zu sagen, öffnete sie das Gefäß, und der Kellner

füllte glühende Kohle hinein. Aus ihrer Tasche nahm sie eine

Tüte, in der sich weiße Kiesel befanden, die sie über die Kohle

streute. Dann schaute sie sich um und ging auf mich zu. Sie hielt

das Gefäß über meinen Kopf, und schon roch es überall nach

Weihrauch. Sie murmelte einige Sprüche und unverständliche

Worte. Als sie damit fertig war, ging sie weiter zu den anderen

Gästen, dann setzte sie sich auf einen Stuhl ganz vorne. Der

Kellner brachte ihr ungefragt eine Tasse Kaffee und eine Wasserpfeife.

Sie sprach mit niemandem, rauchte ihre Wasserpfeife

in aller Ruhe und nippte ab und an an ihrem Kaffee.

Die Männer schätzten sie und ihre Anwesenheit. Sie war die

einzige Frau im Café.

Ein kleiner Junge hockte im Schneidersitz auf dem Boden,

trommelte auf einem alten Topf und sang dazu schmachtend

ein altes Lied: »Der Schöne sagte zu mir: ›Was möchtest du?‹

Ich sagte: ›Dich möchte ich.‹

sie sagte: ›Ich bringe dir eine andere.‹ Ich sagte: ›Nein, nur dich!‹

Sie sagte: ›Ich bringe dir Gold.‹ Ich sagte: ›Das Gold bist du.‹

Sie versteckten dich vor meinen Augen,

sie quälten mich, sie entrissen dich meinem Herzen

und waren unbarmherzig zu mir.

Sie verhinderten die Vereinigung mit dir. Ich schlief wie ein Waisenkind,

allein mit meinen Tränen. Oh mein Geliebter,

tadle mich nicht, wenn ich soviel weine!

Mein sind die Tränen und mein sind die Augen!«

Nach einer Weile hörte er plötzlich auf zu singen. Salma war

überwältigt vom Gesang des Jungen und vor Glück und Rührung

traten ihr Tränen in die Augen. Dann gab sie sich einen

Ruck, erhob sich und wies den Kellner an: »Schreib es an.«

Würdevoll verließ sie das Café und ging auf das Haus an der

rechten Ecke des Platzes zu.

Als sie weg war, tippte ich dem

alten Mann auf die Schulter und fragte:

»Warum ist sie gegangen?«

Der alte Mann antwortete: »Es ist ihr Lied, sie hat es gesungen,

als sie neu hier war. Und es wurde ein Hit im Radio. Unter

uns, es ist auch mein Lieblingslied. Du müsstest es mal im Original

mit der Stimme von Salma hören! Ich habe zu Hause eine

Kassette mit ihren Liedern, auch dieses Lied ist darunter. Hier

darf man ihre Lieder nicht spielen. Das war ihr Wunsch.«

»Wohnt sie in diesem Viertel?«

»Ja, sie wohnt hier.«

»Wo ist sie hingegangen? Wohnt sie in dem Haus da drüben,

wo sie gerade hingegangen ist?«

»Ja, im zweiten Stock«, sagte der alte Mann und fragte mich

erstaunt: »Wissen Sie denn nicht, was das für ein Haus ist?«

»Nein, woher denn? Ich bin doch zum ersten Mal hier!«

Der alte Mann setzte sich bequem auf seinem Platz zurecht,

trank einen Schluck Wasser und strich sich über seinen

Schnurrbart. Er bemerkte die Verblüffung in meinem Gesicht

und flüsterte mir zu:

»Sie ist eine Mystikerin. Das Haus dort ist die Herberge

eines Sufi Ordens. Jeden Donnerstag treffen sich dort Frauen und

Männer, um gemeinsam die Dhikr-Zeremonie zu begehen, aber

vorher schaut sie immer erst hier vorbei. Ab zwölf Uhr nachts

können Sie, wenn Sie so lange hier bleiben, ihre Musik hören.

Bestimmt wäre das interessant für Sie. Wenn Sie Lust haben,

können Sie vorbei schauen.«

»Gehört Salma auch dem Orden an?«

»Ja, sie ist eine Scheikha.«

»Aber sie sieht aus, als ob sie aus einer wohlhabenden

Familie stammt. Wie kam sie denn aus Algerien hierher? Lebt

sie allein?«

»Sie sind aber neugierig! Sie lassen nicht so schnell locker,

nicht wahr? Ich habe ihre Geschichte bisher noch niemandem

erzählt. Heute werde ich dieses Geheimnis lüften.«

Am Tisch herrschte absolute Stille und alle schauten

gespannt auf den alten Mann.

Aus:  Suleman Taufiq: Café Dunya. Ein Tag in Damaskus. Edition Orient, Berlin, S.95- 100.