Wie Einbürgerung systematisch verhindert wird

Kommentar

Dänemarks Staatsbürgerschaftsrecht ist in den letzten Jahren durch immer mehr Regelverschärfungen noch restriktiver geworden und liegt damit im europäischen Trend. "So etwas kommt also dabei heraus, wenn rechtspopulistische Parteien über längere Zeit das Sagen haben", kommentiert Thomas Borchert.

dänische Flagge

„Stellen Sie sich doch mal einen Moment vor, Deutschland oder Österreich hätten Hitler 1945 posthum ausgebürgert.“ Rainer Bauböck aus Wien kommentiert mit dem überraschenden Vergleich die von der Großen Koalition in Berlin im Sommer 2019 eingeführte Möglichkeit, IS-Kämpfer*innen den deutschen Pass zu entziehen. Der Politik-Professor, führende europäische Autorität beim Staatsbürgerschaftsrecht, kontert mit kühler Logik das darin enthaltene Prinzip, Verantwortung einfach einem anderen Staat aufzuladen und fährt fort: „Hitler als ‚bad guy’ aus unserer Mitte anzuerkennen, war wichtig für den Aufbau eines liberalen, demokratischen Konsenses in beiden Ländern.“

Ganz persönliche Probleme mit dem Einbürgerungsrecht hatten mich dazu gebracht, Bauböck um ein Skype-Interview zu bitten. Mich interessierte ein breiter, internationaler Blick, nachdem mir der eigene Antrag auf Einbürgerung in Dänemark (als Doppel-Staatsbürger) nach 35 Jahren im Land erst mal die Sprache verschlagen hat. Nie hätte ich erwartet, auf ein so feindselig abweisendes, allen rechtsstaatlichen Prinzipien Hohn sprechendes und überdies dysfunktionales bürokratisches Monstrum zu treffen.

Das irrsinnige Einbürgerungsverfahren

Im Antrag auf Einbürgerung waren auch zwölf Jahre zurückliegende Wochenend-fahrten zu meiner Mutter in Hannover wie alle anderen Auslandsaufenthalte mit genauem Datum und Besuchszweck aufzulisten. Antragstellende müssen für 50 Jahre zurückliegende Bagatell-Bußgelder Originaldokumente beschaffen. Die es natürlich nicht mehr gibt. Der Ermessensspielraum bei der Bewertung aller Angaben durch einen Parlamentsausschuss ist grenzenlos, der in Zweifelsfällen am Ende per Abstimmung entscheidet. Abgewiesene haben keinen Anspruch auf Begründung und schon gar keine Möglichkeit zu Einspruch oder gerichtlicher Klärung. Am Ende des zwischen zwei und drei Jahren laufenden Verfahrens steht als letzte Hürde der Zwangshändedruck mit einem Staatsrepräsentanten oder einer Staatsrepräsentantin. Wer den ablehnt, wird nicht eingebürgert.

Dieser Irrsinn im Königreich Dänemark ist schnell erklärt. Zwei Jahrzehnte lang haben hier die Rechtspopulist*innen als Mehrheitsbeschaffende für Mitterechts-Regierungen so gut wie freie Hand bekommen, das Einbürgerungsrecht nach und nach in eine immer uneinnehmbarere Festung zu verwandeln.

Wer ferngehalten werden soll, hat Marie Krarup von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, Vorsitzende des allmächtigen Einbürgerungsausschusses im Parlament, ohne Umschweife dargelegt: „Es gibt jede Menge guter Gründe für den Stopp von Staatsbürgerschaften an Muslime.“

Dänischer und deutscher Pass

Unendliche viele Fallgruben sollen die Unerwünschten aussieben

Das mit diesem Ziel errichtete Regel-Bollwerk trifft auch die eigentlich erwünschten Zugewanderten mit bleicher Haut, „westlichen Werten“ sowie am liebsten Luther im kulturellen Gepäck. Noch wird das nicht ausdrücklich abgefragt, aber es gibt

ernstzunehmende parlamentarische Initiativen für die Einführung von Pflichtinterviews zur Gesinnungskontrolle: Die „Loyalität gegenüber der Demokratie“ wollen Mitglieder des Einbürgerungsausschusses höchstpersönlich abfragen können. So ließen sich alle aussieben, die „mit Nazismus, Kommunismus oder Islamismus die Demokratie untergraben“.

Sogar mit Luther könnte ich dienen, dennoch muss ich aus allerlei bizarren Gründen genauso mit der Verweigerung der Einbürgerung und damit des Wahlrechts nach dreieinhalb Jahrzehnten als Steuerzahler rechnen wie die Unerwünschten. Es gibt so unendlich viele Fallgruben. Als Fundament für dieses System dient eine unverändert geltende Verfassungsbestimmung aus dem Jahr 1849, die jede einzelne Einbürgerung als Akt der Gesetzgebung einstuft. Seltsam lebendig geblieben ist auch das völkisch-nationalistische Rüstzeug aus dieser, dachte ich jedenfalls, längst versunkenen Zeit.  

Als ich das in einem viel zu langen, aber dank der grotesken Beispiele unfreiwillig unterhaltsamen Beitrag  für die Kopenhagener Zeitung „Politiken“ als lächerlich und empörend zugleich dargelegt habe, kam Fan-Post ausgerechnet von einem Spitzenmann der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei namens Morten Messerschmidt: „Danke für den ausgezeichneten Beitrag.“ Ich hätte vollkommen recht, dem bizarren Einbürgerungszirkus seien auch europäische Freunde von ihm ausgesetzt, aber der Ausweg sei klar: „Vernünftig wäre ein Regelsatz für Leute aus westlichen und einer für die aus islamischen Ländern.“ Noch gebe es leider im „heiligen Namen des Internationalismus“ keinen Unterschied zwischen dem „marokkanischen Ziegenhirten und dem amerikanischen Ingenieur.“ Im Klartext will er sein Land aus internationalen Konventionen ausklinken, die z.B. Diskriminierung wegen Herkunft und Religion verbieten.

Eine neue Form der Klassengesellschaft?

Die immer neuen Regelverschärfungen der letzten Jahre haben auch so schon einen scharfen Selektions-Effekt mit sinkenden Einbürgerungszahlen und veränderter Zusammensetzung der Eingebürgerten. „Gut so“ kommentierte bei Bekanntwerden der Zahlen die (inzwischen abgelöste) Ministerin für Ausländer und Integration. Besonders gefiel ihr, dass der Anteil von Eingebürgerten aus „nicht-westlichen Ländern“, in Dänemarks offizieller Statistik das Synonym für die islamische Welt, von 70 Prozent im Jahr 2015 auf 21 Prozent gefallen ist. Die kräftig hochgeschraubten Anforderungen z.B. bei den Sprach- und Wissenstests funktionieren prima zum Auseinandersortieren von Erwünschten und Unerwünschten.

Damit ist Dänemark gut unterwegs auf dem Weg in eine neue Form von Klassengesellschaft mit immer mehr dauerhaft hier lebenden Menschen ohne Wahlrecht. Das Recht, das auch für mich der entscheidende Grund gewesen ist, meinen Antrag einzureichen: Nichts bringt die Integration und Vollwertigkeit als Bürger*in in einer Gesellschaft so klar und kraftvoll zum Ausdruck wie das uneingeschränkte Wahlrecht.

Vermutlich so gut wie alle, deren Antrag abgewiesen wird und in immer größerer Zahl diejenigen, die es gar nicht erst versuchen, bleiben ja im Land. Ihr Anteil an der dänischen Bevölkerung ist in den letzten Jahren stetig gestiegen und hat 2020 die Zehn-Prozent-Marke unter den 5,8 Millionen Bürger*innen erreicht. Gilt nicht hohe Wahlbeteiligung als immer mit allen Kräften anzustrebende Grundvoraussetzung für das Funktionieren von Demokratie?

Bei der Staatsbürgerschaft schwingen Rechtpopulisten den Taktstock

Die Einblicke in das dänische Einbürgerungssystem, erst als Antragsteller und dann mit journalistischem Blick durch die Lupe, sind für mich ein Lehrstück: So etwas kommt also dabei heraus, wenn rechtspopulistische Parteien über längere Zeit das Sagen haben. Mit einem vordemokratischen Staatsverständnis aus dem 19. Jahrhundert und dem Aushebeln der im 20. Jahrhundert durchgesetzten Menschenrechte wird auf das unveränderbare Faktum von Migration im globalisierten 21. Jahrhundert reagiert. Chaotisch Widersinniges gibt es als Zugabe obendrauf.

Auch für andere Länder sieht der Politologe Bauböck einen Trend zu verschärften Einbürgerungsregeln: „Dahinter stehen nicht nur die rechtpopulistischen, sondern auch die Zentrumsparteien, die aus Angst vor rechts die Reformagenda selbst übernehmen.“ Zu dieser Agenda gehört in immer mehr Ländern auch der Entzug von Staatsbürgerschaften für IS-Kämpfer*innen, der bei der Wählerschaft gut ankommt.

Dänemarks Wählerschaft hat im Juni 2019 mit einer krachenden Niederlage für die populistische Volkspartei (von 21,1 auf 8,7 Prozent) der immer maximal schlagzeilenträchtig daherkommenden Zuwanderungspolitik nach dem Motto „Hauptsache gegen die Muslime“ überraschend klar die Basis entzogen. Infolgedessen sind von der neuen sozialdemokratischen Regierung ein paar groteske Punkte aus dem Antragsformular für Einbürgerungen entschärft worden. Nur hatten die Sozialdemokraten ja auch versprochen, an der so ausgeprägt harten dänischen „Ausländerpolitik“ insgesamt unter allen Umständen festzuhalten. So nennen alle im Land ganz selbstverständlich die Migrationspolitik einschließlich Einbürgerung.

Warum also nicht noch eins draufsetzen, dachte man wohl in Kopenhagen, als im letzten Sommer aus Berlin die Nachricht kam, dass auch deutschen „Foreign Fighters“ für den IS in Syrien und Irak künftig der Pass entzogen werden kann. Das Parlament in Kopenhagen hat beschlossen, dass Kinder dänischer IS-Kämpfer*innen das bisher automatische Recht auf die Staatsbürgerschaft der Eltern verlieren, wenn sie in so einem Kampfgebiet zur Welt gekommen sind. Auch dann, wenn die dänischen Pässe von Mutter und/oder Vater noch gelten.

Dänemark nimmt Neugeborene in Sippenhaft für Taten ihrer Eltern, stößt sie mit dem Staatsbürgerrecht aus und nimmt ihnen den Schutz des Staates. Das Groteske wird weitergetrieben bis zur Grausamkeit.