Extrem rechtes Netz

Hintergrund

Extreme Rechte radikalisieren sich zunehmend global vernetzt im Internet. Karolin Schwarz beschreibt, wie sich die Online-Aktivitäten der rechten Szene seit den 1990er Jahren gewandelt haben, auf welchen Plattformen digitale Mobilisierung heute stattfindet und welche Konsequenzen zu ziehen sind.

Schwarze Silhouette einer Person in schwarzer Umgebung steht vor pinker neon Installation

Die internationale Szene extrem rechter Demokratie- und Menschenfeind:innen hat sich seit den Anfangstagen des Internets verändert. Die Angebote und Vernetzungsmöglichkeiten sind vielfältiger geworden. Soziale Medien vereinfachen die Ansprache neuer Zielgruppen ebenso wie neue, geschlossene oder schwerer auffindbare Plattformen und insbesondere Messenger die massenhafte Radikalisierung der Anhänger:innenschaft ermöglichen. Neben der Ausdifferenzierung extrem rechter Ideologien sind vor allem auch Verschwörungserzählungen auf dem Vormarsch.

 

So divers die Szene auch sein mag: Sie alle nutzen das Internet als wichtigstes Kommunikationsmittel zur Verbreitung ihrer Propaganda und immer wieder erfolgt auf digitalen Plattformen der anlassbezogene Schulterschluss. Das zeigten etwa die Proteste in Chemnitz 2018 oder die Protestbewegung der Coronaleugner:innen und -verharmloser:innen im Jahr 2020 und darüber hinaus.

Den ideologischen Unterbau speist man auch aus internationalen Quellen. Beispielsweise traten die Sprachrohre der deutschen, verschwörungsideologischen Szene in den vergangenen Jahren in Podcasts aus den USA auf und umgekehrt werden Videos der Verschwörungsbewegung QAnon ins Deutsche übersetzt und auf den Kanälen ihrer Unterstützer:innen verbreitet.

In der Mitte der digitalen Gesellschaft

Schon in den Kindertagen des Internets versuchten Rechte, im digitalen Raum Fuß zu fassen. Genau genommen waren auch das nicht ihre ersten Versuche, sich weltweit erreichbare digitale Netzwerke zu erschließen. Sie nutzten zuvor bereits Mailboxen und das Usenet für ihre Propaganda. Man ging mit der Zeit: In den 1990er Jahren entstanden zahlreiche Websites der NPD und anderer Gruppierungen sowie von Einzelpersonen. Auch Foren erfreuten und erfreuen sich noch immer großer Beliebtheit. Bei Thiazi, Iron March und Co. spielten Landes- und Wassergrenzen keine Rolle. Die Vernetzung und Radikalisierung konnte bequem aus dem Wohnzimmer heraus erfolgen, solange nur ein geeigneter Internetanschluss vorhanden war.

 

Wenn es auch anfangs Zweifel am Potenzial der weltweiten Vernetzung mangels entsprechender Sprachkennnisse gab, spielt das heute kaum noch eine Rolle. Der rechtsextreme Nachwuchs ist zumindest des Englischen oft mächtig – und sollte das nicht der Fall sein, stehen reihenweise kostenlose Übersetzungstools zur Verfügung. Inzwischen vernetzt man sich zwar auch immer noch über eigene Websites und Foren, nutzt aber auch die Kommunikationsräume, die sich innerhalb der Gesellschaft großer Beliebtheit erfreuen.

Soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook, Videoplattformen wie YouTube und Twitch oder Messenger wie Telegram werden heute ebenso bespielt wie zuvor die mittlerweile in der Versenkung verschwundenen frühen Netzwerke Myspace und StudiVZ. Konnten viele von ihnen anfangs noch einigermaßen unbehelligt Rassismus, Antisemitismus, Frauenhass und demokratiefeindliche Inhalte streuen, wird heute sehr viel stärker über die Rolle der Plattformen als Moderatoren diskutiert.

Insbesondere die großen Plattformen haben ihre Moderationsteams in den vergangenen Jahren erheblich erweitert. Das bedeutet zwar weder, dass alle problematischen oder illegalen Inhalte entfernt werden, noch, dass die Moderation in allen Ländern und Sprachen der Erde in vergleichbarer Weise erfolgt. Vielmehr wird die Löschung von Inhalten und Sperrung von Konten immer häufiger zum Anlass genommen, sich anderen Plattformen zuzuwenden, die weniger moderierend in die Inhalte eingreifen oder sich ganz offen für rechte Ideologien zeigen. Auch wenn alternative Seiten und Tools aus dem sogenannten Alt-Tech-Spektrum gegen Ende der 2010er Jahre deutlich an Bedeutung gewonnen haben, bleiben die Plattformen der gesellschaftlichen Mitte wichtig für fast alle Akteur:innen, um potenzielle neue Anhänger:innen anzusprechen.

 

Die Plattformen des gesellschaftlichen Mainstreams erfüllen dabei verschiedene Funktionen und ergänzen sich gegenseitig. In den wenigsten Fällen sind extrem rechte Akteur:innen und Verschwörungsideolog:innen nur auf einer Plattform aktiv, meist betreiben sie mehrere Kanäle. Allein Facebook erfüllt die Funktion der Kommunikation nach außen über Seiten ebenso wie der eher privaten Vernetzung über geschlossene Facebook-Gruppen und den hauseigenen Messengerdienst.

Auf Instagram werden Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien als Lifestyle inszeniert. Twitter dient ebenso der Kommunikation nach außen, speziell aber als Kampagnenplattform, auf der Themen gesetzt und politische Gegner:innen angegriffen werden. Dort vernetzen sich auch Anhänger:innen der Verschwörungsbewegung QAnon aus zahlreichen Ländern der Welt.

 

Vor allem Videoplattformen erfreuen sich großer Beliebtheit. Auf YouTube senden Influencer:innen regelmäßig, teilweise täglich, Inhalte an ihre Fans. Letztendlich hat man sich dem Boom der Bewegtbildinhalte über die Jahre angepasst und das Portfolio um Inhalte ergänzt, die den Nutzungsgewohnheiten des Publikums entsprechen. Zudem ermöglichen Livestreams von Veranstaltungen, insbesondere von Demonstrationen, das unmittelbare Mittendrin-Statt-Nur-Dabei-Sein auch für Menschen, die beispielsweise weite Anfahrtswege nicht auf sich nehmen oder aus anderen Gründen nicht an den Events der extremen Rechten teilnehmen können.

Pegidas montägliche Demonstrationen wurden schon 2014 live übertragen. Im Jahr 2020 konnten Coronaverharmloser:innen und -leugner:innen die Demonstrationen an verschiedenen Orten der Republik oft gleich aus mehreren Perspektiven verfolgen. Genauso verhielt es sich mit dem gewaltsamen Angriff auf das US-Kapitol im Januar 2021, in dessen Verlauf aus dem Inneren des Kapitols ins Netz übertragen wurde. Videos dienen dem internationalen Ideologietransfer: Insbesondere Anhänger:innen von QAnon übersetzen häufig englischsprachige Videos, die von US-Verschwörungsinfluencer:innen stammen. Man vernetzt sich heute international auch über gemeinsame Livestreams oder Podcasts.

 

Aller Voraussicht nach wird sich die digitale Landschaft in den kommenden Jahren weiter rapide verändern. Neue populäre Plattformen werden das Feld ergänzen oder alte Plattformen ersetzen. Das gilt auch für die Alt-Tech-Plattformen, von denen ein Teil allein deshalb immer wieder vom Netz geht, weil sie teuer im Unterhalt sind oder wegen illegaler und Hass schürender Inhalte von Dienstleistungen von Webhostern oder anderer Anbieter digitaler Infrastruktur ausgeschlossen werden.

Am rechten Rand des Internets

Das digitale Angebot für die extreme Rechte wird komplettiert durch Plattformen, die man sich wegen einer (vermeintlichen) Abwesenheit von Moderation angeeignet oder selbst aufgebaut hat. In der Vergangenheit wurden sogar Spendenplattformen für Akteur:innen aus dem extrem rechten Spektrum aufgebaut, weil ihre Spendenkonten anderswo gesperrt wurden. Galt früher noch das Internet in seiner Gesamtheit als Raum für Kommunikation ohne Sanktion, verlagern sich besonders extreme Inhalte heute immer wieder auf neue Orte im Netz.

 

Auf Imageboards und Telegram werden ständig Gewaltfantasien geäußert, in Fangruppen rechter Terroristen wird zu Nachahmungstaten aufgerufen. Dass es sich dabei nicht nur um reine Fiktion handelt, zeigt die internationale Reihe rechtsterroristischer Anschläge in den 2010er Jahren. Der Terrorist von Halle orientierte sich ideologisch und methodisch an jenen, die auf Imageboards und Telegram wie Helden verehrt werden.

 

Kaum eine Plattform funktioniert heute noch als Ort des Austauschs extrem rechter Akteur:innen aus nur einem einzigen Land. Die Vernetzung erfolgt an allen möglichen Ecken und Enden des Internets gleichzeitig. Über Landesgrenzen hinweg werden Ideologie und Strategie ausgetauscht. Auch wenn konspirative Chats und andere geschlossene, teils verschlüsselte Kommunikationsformen eine Rolle spielen, findet doch ein erheblicher Teil dieses Austauschs ganz offen und einsehbar statt.

 

Die zunehmende digitale Mobilität der extremen Rechten zeichnet sich durch Wanderungsbewegungen zwischen Plattformen, aber auch durch die Umetikettierung und Neuformung von Gruppierungen und die zunehmende Bedeutung von Influencer:innen aus. Daraus ergeben sich neue und sich verändernde Anforderungen an Sicherheitsbehörden ebenso wie ein Bedarf an sinnvollen, anpassungsfähigen und antizipierenden Strategien seitens der Politik, um den Demokratiefeinden den Boden zu entziehen.

Was tun?

Es wird immer leichter für Rechtsextreme aus der ganzen Welt, sich im digitalen Raum zu vernetzen. Dementsprechend wichtig ist es gerade für Sicherheitsbehörden, die Szene hinsichtlich ihrer internationalen Verbindungen abzuklopfen. Die Täter vom Olympia-Einkaufs-Zentrum in München im Jahr 2016 und Halle im Jahr 2019 tauschten sich mit Gleichgesinnten aus anderen Ländern über das Internet aus. Nicht immer sind diese Verbindungen im Rahmen der Ermittlungen hinreichend untersucht worden.

 

Zudem ist seit Jahren klar, dass das Internet ein wichtiger Faktor für rechtsextreme Radikalisierung ist. Dennoch fehlt es noch immer an Forschung, insbesondere mit schwerpunktmäßigem Blick auf Deutschland. In den vergangenen Jahren hat sich das Feld der rechtsextremen Angebote im Netz erheblich ausdifferenziert. Nicht nur immer mehr Plattformen, sondern auch immer mehr Akteur:innen bespielen Social-Media-Plattformen mit Text-, Audio- und Videobeiträgen. All diese Ausspielwege im Blick zu behalten, ist zu einem immensen Aufwand geworden, der sowohl technische Kapazitäten als auch umfangreiche Sachkenntnisse erfordert. Dafür bedarf es eines kontinuierlichen Austauschs mit Expert:innen auf der ganzen Welt.

 

Für den Umgang mit massenhafter gleichzeitiger, aber raum- und zeitunabhängiger Radikalisierung braucht es nachhaltige, anpassbare und skalierbare Konzepte und Förderungen. Das betrifft insbesondere die Forschung, Radikalisierungsprävention und Beratung. Die Jahre 2019 und 2020 haben den Bedarf daran immer wieder offengelegt. Eine solche Strategie kann künftig nur gelingen, wenn Entwicklungen – wie die Verbreitung von QAnon in Deutschland oder die Entwicklung digitaler Terroristenfankanäle, ebenso wie Kampagnen aller Art – früh erkannt oder entsprechend antizipiert werden.