von Theodora Leite Stampfli
Schülerinnen mit Migrationshintergrund sind bei der Berufswahl in doppelter Hinsicht von Chancenungleichheit betroffen: Wegen ihrer Herkunft und wegen ihres Geschlechts. Zahlen aus dem Jahr 2000 zeigen, dass junge Migrantinnen in der Schweiz dreimal so häufig wie Schweizerinnen ohne Berufsausbildung bleiben. Auch im Vergleich zu Schülern mit Migrationshintergrund stehen die Mädchen schlechter da. Diese Erkenntnisse werden durch neue Ergebnisse des Nationalfondsprojekts 43 zu Bildung und Beschäftigung bestätigt: Bei vergleichbaren Leistungspotentialen sind die Lehrstellenchancen der ausländischen Mädchen am schlechtesten1 . Das Projekt „wisniña“ setzt sich für diese Zielgruppe ein, sensibilisiert Lehrerinnen und Lehrer und stellt durch den Empowerment-Ansatz Bedürfnisse und Ressourcen der Schülerinnen ins Zentrum.
Angebotsinhalt
„wisniña - Junge Migrantinnen zwischen Schule und Beruf“ ist ein Empowerment-Angebot des Christlichen Friedensdiensts (cfd). Es ermutigt junge Migrantinnen, selbstbewusst den eigenen beruflichen Weg zu suchen und anzupacken. Das Projekt verfolgt das Ziel, die Ausbildungschancen der Migrantinnen zu erhöhen. Dies geschieht erstens durch die Ausbildung von jungen Migrantinnen zu Multiplikatorinnen („wisniñas“). Die „wisniñas“ haben den Übergang von Schule zu Beruf erfolgreich realisiert, absolvieren in der Schweiz eine Berufsausbildung oder haben diese bereits abgeschlossen. Die „wisniñas“ erfahren in der Projektausbildung eigenes Empowerment und erlangen Kenntnisse und Fähigkeiten, um fundierte Informationen vermitteln zu können. Der zweite Projektteil beinhaltet die Organisation und Vermittlung von Auftrittsmöglichkeiten dieser Multiplikatorinnen („flying wisniñas“) in Schulen und weiteren Bildungsinstitutionen. Die „flying wisniñas“ gestalten in den Schulen eine Doppellektion zum Thema „Migrantinnen und Berufsausbildung“. Sie erzählen über ihre Erfahrungen bei der Berufswahl, der Lehrstellensuche und der Ausbildung. Anhand der angetroffenen Hürden zeigen sie die Wirkung struktureller Barrieren in ihrem eigenen Leben auf und skizzieren in der Rolle eines Vorbilds, wie sie erfolgreich den Übergang von Schule und Beruf gemeistert haben.
Migrantinnen werden im Alltag immer wieder mit defizitären Bildern beschrieben und Schwächen mit Bezug auf die Herkunft erklärt - die persönlichen Stärken geraten in Vergessenheit. Jede Migrantin hat jedoch spezifische Ressourcen und Strategien, um bei der Berufswahl Fragen zu beantworten und Schwierigkeiten zu meistern. Das Projekt unterstützt sie mittels Empowerment-Ansatz, diese Ressourcen und Strategien zu erkennen und einzusetzen.
Anhand der eigenen Biografie zeigen die Multiplikatorinnen anschaulich, dass es sich lohnt, sich beharrlich für eine Ausbildung einzusetzen. Durch den biografischen Zugang werden sie von den Schülerinnen als besonders glaubhaft erfahren. Die „flying wisniñas“ leisten eine wichtige Arbeit, indem sie mit ihren Auftritten kulturalisierend Bilder hinterfragen, sie durchbrechen und die ressourcenorientierte Selbstzuschreibung fördern. Die „flying wisniñas“ stellen stereotypen Denkmustern ihre biografischen Erfahrungen sowohl im Umgang mit strukturellen Barrieren als auch im Entwerfen persönlicher Strategien entgegen.
Aktivitäten von Wisniña
Seit Projektbeginn 1998 hat sich „wisniña - Junge Migrantinnen zwischen Schule und Beruf" im lokalen Migrationskontext etabliert. Eine regelmässige Nachfrage besteht sowohl von Seiten der Migrantinnen wie auch der Bildungsinstitutionen. Zudem konnte Projekt-Know-How in ähnlich gelagerte Projekte im Wallis, in Basel und Zürich fliessen. Rund um den cfd und das Projekt „wisniña“ ist ein breites Netzwerk entstanden. Zudem ist bei den „flying wisniñas“ und dem cfd durch die Auftritte und die Weiterbildungen viel Wissen zusammen gekommen. Die „wisniñas“ selber haben sich viel Wissen angeeignet und ihre eigenen Ressourcen erkannt und verstärkt. Die Gruppe aktiver „flying wisniñas“ besteht momentan aus einer Gruppe von sechs jungen Frauen.
Die Lehrerinnen und Lehrer setzen „flying wisniñas“ ein, sobald in den 7., 8., oder 9. Schuljahren die Berufswahl aktuell wird. In den letzten Jahren traten die „flying wisniñas“ bis zu 14 Mal pro Jahr an Berner Schulen auf, um im Kontext der Berufsorientierung migrantinnenspezifische Realitäten zu thematisieren. Die „flying wisniñas“ haben sich bei den Lehrkräften Respekt verschafft, und ihre Arbeit wird als Unterstützung anerkannt. Eine zentrale Rolle kommt den Gesprächen zu, die mit den Lehrkräften jeweils nach den Auftritten der „flying wisniñas“ stattfinden. Da die Lehrer/innen oft wenig wissen über die konkreten Ausbildungschancen und Ausgrenzungsmechanismen, denen die Migrantinnen auf ihrer Lehrstellensuche begegnen, werden sie durch die Auftritte der „wisniñas“ bei ihren Berufswahllektionen entlastet und profitieren vom Wissen und den Erfahrungen der Migrantinnen sowie der Projektverantwortlichen.
Neben den Auftritten in den Schulen bestreiten die „flying wisniñas“ halbjährliche Informationsveranstaltungen im Berufsinformationszentrum in Bern (BIZ), dazu kommen jährliche Auftritte in Quartiertreffs der Stadt Bern. Ebenso bestehen eine Zusammenarbeit mit Jugend- und Bildungsinstitutionen in der Stadt Bern sowie in- und ausserhalb des Kantons Bern (Jugendzentrum Bern, Institut für Pädagogik, Geographisches Institut der Universität Bern u. a.).
Anmerkung
1 vgl. Urs Haeberlin, Christian Imdorf und Winfried Kronig, „Chancenungleichheit bei der Lehrstellensuche. Der Einfluss von Schule, Herkunft und Geschlecht“, Bern 2004
Februar 2008
Theodora Stampfli ist verantwortlich für das Wisniña Angebot und Co-Leiterin des Projekts Mentoring mit Migrantinnen des cdf, einer feministischen Friedensorganisation in Bern. (www.cfd-ch.org)