von Lisa Unger-Fischer und Aleksandra Wróblewska
Deutschland ist ganz eindeutig ein Land der Vielfalt – genauso, wie die Universität Regensburg eine Hochschule der Vielfalt ist. Wie geht aber die Universität mit der Verschiedenheit ihrer Studierenden um? Wie fördert sie ihre Diversität? Sieht sie die vorhandene Vielfalt als Bereicherung?
Dass an der Universität Regensburg auf dem Gebiet des Diversity Managements bereits sehr viel getan wird, steht außer Frage. Gleichzeitig möchte sich aber die Hochschule auf diesem Gebiet ständig weiter entwickeln. „Vielfalt als Chance“ heißt ein deutschlandweites Projekt der CHE Consult, einer Beratungsgesellschaft für Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Wissenschaftsbehörden, die durch strategisch ausgerichtete Projekte ihre Leistungsfähigkeit steigern und sich auf neue Herausforderungen vorbereiten wollen. Die Teilnahme der Universität Regensburg an diesem Projekt, dem sich insgesamt acht deutsche Hochschulen angeschlossen haben, ist ein Beweis für ihr großes Interesse, die Diversity-Thematik weiterzuentwickeln.
Hinter „Vielfalt als Chance“ steht ein Verfahren zur systematischen Einführung und dauerhaften Implementierung von Diversity Management an Hochschulen. Um die Verschiedenheit der Studierenden an den deutschen Hochschulen festzustellen, wurde im Wintersemester 2010/11 an den teilnehmenden Hochschulen eine Befragung aller Studierenden durchgeführt, die derzeit ausgewertet wird. Neben den allgemeinen, an die Studierenden aller acht Hochschulen gestellten Fragen, hat jede Hochschule für sich spezifische Fragen entwickelt, die ihrem Schwerpunkt auf dem Gebiet des Diversity Managements entsprechen. Dadurch ist eine hochschulspezifische Auswertung möglich. Die Ergebnisse der Befragung sollen den teilnehmenden Hochschulen dazu dienen, einen auf ihre Potentiale ausgerichteten Weg im Umgang mit der Diversität ihrer Studierenden einzuschlagen.
Die Universität Regensburg setzt ihren Schwerpunkt im Bereich des Diversity Managements vor allem auf die kulturelle Diversität ihrer Studierenden. Im Fokus stehen neben den ausländischen Studierenden, die an der Universität Regensburg ihr Auslandsstudium absolvieren möchten (Incomings) und den Studierenden der Universität Regensburg, die ein Auslandssemester einlegen möchten (Outgoings) insbesondere StudieninteressentInnen und Studierende mit einem Migrationshintergrund. Diese Zielgruppe wird zum ersten Mal an einer deutschen Universität durch ein auf sie zugeschnittenes Studienprogramm angesprochen, das davon ausgeht, dass Menschen in Deutschland, die mit einem zweiten sprachlichen und kulturellen Hintergrund aufgewachsen sind, durch diese Erfahrung wertvolle „Kulturbrücken“ darstellen.
Programme für Studierende mit Migrationshintergrund
Die Universität Regensburg setzt hier auf eine derzeit oft in Deutschland noch vernachlässigte, jedoch stark zunehmende Zielgruppe. Studierende mit Migrationshintergrund werden von der Universität Regensburg eingeladen, ihre bikulturellen Potentiale auszubauen. Dazu werden zwei Programme für diese Zielgruppe angeboten. Während sich das derzeit noch in der Aufbauphase befindliche Primeros-Programm an die MigrantInnen der ersten Generation richtet, spricht das seit Wintersemester 2009/10 erfolgreich laufende Secondos-Programm die zweite oder eine weitere Generation von Zuwandernden an.
Das Secondos-Programm
Wir haben uns mit ‚Secondos‘ einer Bezeichnung aus der Schweiz bedient, die dort in neutralem Sinn für die in der zweiten Generation befindlichen Kinder von MigrantInnen verwendet wird. Secondos in unserem Verständnis sind in Deutschland aufgewachsen und haben dort auch ihre Schulausbildung durchlaufen. Sie sprechen die deutsche Sprache meist so gut, als wäre sie ihre Muttersprache. Allenfalls ihre Namen lassen den Schluss zu, dass es sich um Menschen mit Migrationshintergrund handeln könnte. Die Muttersprache dieser jungen Menschen ist aber nicht Deutsch, sondern eben die Sprache der Eltern, die Jahre zuvor aus einem anderen Land nach Deutschland gekommen waren. Um ihren Kindern eine möglichst chancenreiche Zukunft bieten zu können, stand bei der Erziehung die deutsche Sprache und Kultur im Vordergrund. Die Muttersprache wurde oftmals nur mündlich weitergegeben.
Secondos haben also einen zweiten sprachlichen und kulturellen Hintergrund – ein für die Bedürfnisse unserer globalisierten Berufswelt äußerst wertvolles Potential. Jedoch können sie darauf oft nur bedingt zugreifen, weil sie aus den genannten Gründen in ihrer Muttersprache nicht ausreichend ausgebildet und mit der Kultur bzw. dem Land ihrer Eltern nur aus Erzählungen oder kurzen Urlaubsaufenthalten vertraut sind.
Studierende Secondos haben in Deutschland kaum Möglichkeiten, ihren zweiten sprachlichen und kulturellen Hintergrund sichtbar und nutzbar zu machen. Unter den derzeitigen Secondos-Teilnehmerinnen gibt es Studierende, die schon in der Schulzeit vergeblich versucht haben, geeignete Sprachkurse in der Sprache ihrer Eltern zu belegen. Da die meisten Secondos, wie erwähnt, die Sprache ihrer Eltern nur mündlich aber nicht schriftlich beherrschen, benötigen sie spezielle Sprachkurse. Secondos wären mit einem klassischen Anfängerkurs unterfordert, weil sie die Sprache ja bereits mündlich beherrschen. Hingegen wäre ein Kurs für Fortgeschrittene eine Überforderung, da keine formalen Kenntnisse zur Grammatik und Verschriftlichung vorliegen. Bei den Erstgesprächen mit Secondos fällt immer wieder auf, dass die Studierenden sich schämen, weil sie in der Sprache ihrer Eltern meist nicht alphabetisiert sind. Große Erleichterung tritt dann ein, wenn diese Studierenden feststellen, dass es allen anderen Secondos genau so geht.
Mit dem Secondos-Programm sprechen wir speziell diejenigen jungen Menschen an, die nach ihrer in Deutschland erworbenen Hochschulreife ein Universitätsstudium beginnen möchten oder bereits studieren. Sie haben bei uns an der Universität Regensburg die bundesweit einmalige Gelegenheit, ihren sprachlichen und kulturellen Hintergrund beruflich und persönlich sichtbar und nutzbar zu machen.
Den Kern des Secondos-Programms bildet das Studienangebot auf Bachelor-Ebene. Es bezieht sich auf alle an der Universität Regensburg angebotenen Bachelor-Fächer. Secondos beginnen ihr Studium demnach im Bachelor-Fach ihrer Wahl und nehmen im ersten Studienjahr an studienbegleitenden Sprach- und Landeskundekursen zum Herkunftsland ihrer Eltern teil. Im zweiten Studienjahr legen sie dann auf der Basis von im Vorfeld vereinbarten learning agreements und transfer credit agreements einen Studienaufenthalt an unserer Partneruniversität im Herkunftsland der Eltern ein. Im dritten Studienjahr kehren sie zurück an die Universität Regensburg, beenden dort ihr Studium und erhalten zusätzlich zum Bachelor-Abschluss der Universität Regensburg nach Möglichkeit den zweiten gleichwertigen Abschluss der ausländischen Partneruniversität.
Secondos, die dieses Studienprogramm durchlaufen, können also ihre Kenntnisse zur Sprache und Kultur der Eltern umfassend ausbauen. Durch ein entsprechendes Zertifikat sowie das zusätzliche Zeugnis der Partneruniversität am Ende ihres Studiums machen sie deutlich, dass sie in beiden Kulturen bestens ausgebildet sind.
Auch außerhalb des Bachelor-Studiums haben Secondos an der Universität Regensburg zahlreiche Möglichkeiten, ihren zweiten sprachlichen und kulturellen Hintergrund auszubauen. So bietet das Secondos-Programm einzeln wählbare Module wie die bereits erwähnten studienbegleitenden Sprachkurse, des Weiteren Semesteraufenthalte, Auslandssprachkurse, Landeskundekurse, landeskundliche Tandems, Praktika und Exkursionen im Herkunftsland der Eltern an.
Aufgrund der seit Jahren durch das Europaeum, das Ost-West-Zentrum der Universität Regensburg auf- und ausgebaute Expertise zu Mittel-, Ost- und Südosteuropa, ist das Secondos-Programm derzeit offen für Studierende mit einem biografischen Hintergrund aus Kroatien, Polen, Rumänien, Russland, der Ukraine und Ungarn. In jedem dieser Länder haben wir mit je einer Partneruniversität entsprechende Secondos-Verträge abgeschlossen. Sämtliche Partneruniversitäten verfügen über ein mit der Universität Regensburg vergleichbares Fächerspektrum. Eine Ausweitung auf die Länder Serbien, Tschechien und die Slowakei ist geplant. Langfristig sollen auch für die türkischen Secondos Angebote geschaffen werden. Bisher gibt es an der Uni Regensburg zur türkischen Sprache und Kultur noch keine Expertise. Derzeit wird zwar ein Sprachkurs für türkische Secondos angeboten, aber noch gibt es weder eine türkische Partneruniversität noch Lehrveranstaltungen, die dieses Land thematisieren. Das größte Hindernis für Kooperationen ist immer die Kompatibilität der Studienfächer.
Derzeit nehmen 50 Studierende am Secondos-Programm der Universität Regensburg teil. Sie sind davon begeistert, denn durch dieses Studienprogramm können sie die oft nur rudimentär vorhandenen Kenntnisse in ihrer Muttersprache ausbauen, das Land ihrer Eltern/Großeltern vertieft kennen lernen und obendrein noch Studienabschlüsse von zwei Universitäten erlangen. In regelmäßigen Secondos-Treffen (einmal im Monat), aber auch in individuellen Beratungsgesprächen wird überprüft, wo Probleme vorliegen, wo es noch Verbesserungsbedarf gibt. Da die Secondos in ihrem jeweiligen Fach studieren, gibt es keine eigenen Lehrveranstaltungen. Allerdings geben die LektorInnen der Secondos-Sprachen eigene Sprachkurse, die auf die besonderen Bedürfnisse der Secondos eingehen. Derzeit studieren Secondos in den Fächern BWL, VWL, Kunsterziehung, Pädagogik, polnische Philologie, Erziehungswissenschaft, Biologie, Physik, Politik, Geschichte, Germanistik, Jura, Theologie.
Wir müssen noch viel mehr Werbung machen, denn Secondos sind sich nicht immer bewusst, dass sie „Secondos“ sind und dass das Programm der Uni Regensburg für sie existiert. Sobald Secondos sich jedoch so identifizieren und von diesem Programm lesen, nehmen sie sofort Kontakt auf. Selbstverständlich sind auch Studierende, die einfach ein besonderes Interesse für diese Länder mitbringen, zur Teilnahme am Secondos-Programm eingeladen, auch wenn sie nicht den durch das Programm anvisierten biografischen Hintergrund besitzen. Die ersten AbsolventInnen des Secondos-Programms werden voraussichtlich 2013 die Uni verlassen.
Das Primeros-Programm
Neben dem laufenden Secondosprogramm ist ein weiteres für „Primeros“ im Entstehen. Das Primeros-Programm ist speziell auf zugewanderte AkademikerInnen ausgerichtet, die einen Studienabschluss in ihrem Heimatland erworben haben, welcher aber in Deutschland nicht anerkannt wird. Durch diese Nichtanerkennung ist es zur Zeit vielen MigrantInnen in der Bundesrepublik nicht möglich, einen Beruf auszuüben, der ihrem Qualifizierungsniveau entspricht. Mit dem Primeros-Programm möchte die Uni Regensburg der sozialen Benachteiligung hochqualifizierter Zuwandernder in der deutschen Gesellschaft entgegenwirken, indem sie ihnen ein Studienprogramm anbietet, welches sie in wenigen Semestern zu einem deutschen Studienabschluss auf ihrem ursprünglichen Fachgebiet führt. Unter Berücksichtigung der im bisherigen Studium erbrachten Leistungen, soll in Zukunft für alle Primeros-KandidatInnen ein individuelles Studienprogramm an der Universität Regensburg zusammengestellt werden.
Das Programm wird aus zwei Säulen bestehen: dem Fachstudium und einem außerfachlichen Zusatzprogramm. Im Fachstudium wird ein integrativer Ansatz verfolgt, indem die Primeros in einem regulären Studium mit regulären Studierenden des jeweiligen Faches alle erforderlichen Lehrveranstaltungen besuchen. Im außerfachlichen Ergänzungsprogramm „Fit für Deutschland“ werden die TeilnehmerInnen auf die deutsche Gesellschaft, Hochschule sowie auf das Berufsleben vorbereitet. Im Rahmen des Zusatzprogramms werden u.a. Seminare zur interkulturellen Kompetenz, sozialen Kompetenz sowie ein Sprachtraining (Deutsch und Englisch) angeboten.
Es ist geplant, das Primeros-Programm zunächst in den Fächern Mathematik und Physik anzubieten. Grundlegend für seine erfolgreiche Etablierung wird unter anderem auch die Schaffung von Finanzierungsmöglichkeiten in Form von Stipendienprogrammen für die Primeros sein. Die Universität Regensburg wird sich in den nächsten Jahren verstärkt der Zielgruppe von Studierenden mit Migrationshintergrund widmen und bundesweit für die beiden Studienprogramme werben.
Februar 2011
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Lisa Unger-Fischer, M.A. leitet das Europaeum der Universität Regensburg und koordiniert das Secondos-Programm. Aleksandra Wróblewska, M.A. koordiniert das Primeros-Programm und betreut das Projekt „Vielfalt als Chance“.