Kim Ch'ang-sŏn im Zeitzeugengespräch mit You Jae Lee
Ich wurde 1947 in der Provinz Chŏllanam-do Gohŭng auf einer Insel geboren, die früher Gŭmsan hieß, jetzt heißt sie Gŏgŭm-do. Mein Vater war Polizist, deshalb hatten wir nach der Befreiung [von der japanischen Kolonialherrschaft 1945] als Polizistenfamilie ein recht gutes Leben. Aber dann brach [1950] der Koreakrieg aus, als ich gerade drei Jahre alt war. Mein Vater ist in den Krieg gezogen und meine Mutter, meine Großmutter und ich waren oft auf der Flucht. Dann kam der Waffenstillstand, und mein Vater hat gleich danach seinen Entlassungsgesuch eingereicht und in der Fremde ein ausschweifendes Leben begonnen. Ab dieser Zeit fing unsere Mühsal an.
Ich habe damals auch die Schule besucht, aber ehrlich gesagt war das ziemlich schwer. Selbst wenn man noch zur Grundschule ging, musste ich meiner Familie bei der Landwirtschaft helfen. Aber meine Mutter wollte uns Kindern die schulische Bildung ermöglichen und schickte uns auf die Mittel- und später auch auf die Oberschule. Aber um ehrlich zu sein, konnte ich die Oberschule nicht abschließen. Ich habe abgebrochen und ging nach Seoul.
Alle meine Freunde waren schon beim Militär gewesen, aber ich hatte noch keinen Bescheid bekommen. Das war seltsam, in unserer Zeit musste doch jeder zum Militär. Weil es mir seltsam vorkam, bin ich zur Kreisverwaltung von Gohŭng gegangen und habe herausgefunden, dass es von uns kein Familienregister gab. Die Eintragungen zu meinen Brüdern und Schwestern fehlten. Ich fand heraus, dass die Polizeistation in Brand gesetzt worden war und Unterlagen von Polizistenfamilien dabei vernichtet wurden. Und da mein Vater ein ausschweifendes Leben führte, hat er sich nicht im Geringsten um unser Familienregister gekümmert. Ebenso fehlten die Heiratsurkunden meiner Großeltern und Eltern. Daraufhin habe ich die Registrierung der Heiratsurkunden meiner Großeltern und meiner Eltern sowie unserer Geburtsurkunden an einem Tag vorgenommen. Ich musste das alles aufs Amtsgericht bringen und eine Genehmigung einholen. Da alles an einem Tag geschehen war, haben wir alle dasselbe Datum in den Urkunden.
„Wenn ich sterbe, dann sterbe ich eben“
Damals haben Freunde von mir, die als Militärangehörige aus Vietnam zurückgekehrt sind,[i] in der Heimat mit viel Geld viel Land gekauft. An die 20 Leute aus unserem Dorf sind in Vietnam gewesen. Aus einem Dorf mit etwa 140 Bewohnern. Man sagte zwar, dass dort Krieg herrschte, aber keiner dieser Leute kam verletzt zurück. Daher habe ich gedacht: „Ich muss auch zum Militär. Und wenn ich im Militär bin, dann muss ich auch nach Vietnam.“ Mit diesem Gedanken bin ich dann zum Militär gegangen. Das war 1971.
Mein Militärdienst in Korea war ziemlich bequem. Daher nahm ich an, dass ich in Vietnam in der Ehrengarde oder in einer ähnlichen Einheit dienen würde. Ich hatte – ehrlich gesagt – nicht gedacht, dass ich in eine bewaffnete Einheit kommen würde. Aber ich wurde einer kämpfenden Einheit zugeteilt. „Wenn ich sterbe, dann sterbe ich eben“, dachte ich. Ich landete nicht an der vordersten Front, sondern im Hinterland. Im März 1972, nach der Ankunft in Vietnam, holte uns ein Militärwagen ab, und so begann mein Leben in Vietnam. Als wir nach der Einteilung in die Einheit kamen, haben sich die älteren Soldaten sehr über unser Kommen gefreut. Zunächst wusste ich nicht warum. Es stellte sich heraus, dass die körperlich gut Gebauten immer der Vorhut eingeteilt wurden. Ganz vorn. So sollte ich, kaum einen Monat dort, bereits in den Kampf ziehen.
Beim Kampfeinsatz krochen wir im Wald herum, eine Woche lang. Aber wenn wir keinen Erfolg hatten – zum Beispiel einige Feinde töteten und einige Waffen erbeuteten – dann wurde die Dauer um eine Woche verlängert. Es sind eine Woche, dann zwei Wochen vergangen. Bis es Erfolge gab, musste man im Wald herum kriechen. Dann entstand das Problem, dass das Wasser und die Nahrungsmittel knapp wurden. Wenn das Wasser aufgebraucht war, war es das schlimmste Problem. Ein Land wie Vietnam hat zwar hohe Berge, aber in vielen Höhenlagen gab es kein Wasser. Also musste man ins Tal gehen, wo es Wasser gab. Deshalb haben wir uns zusammen abgemüht Wasser zu schöpfen, wenn wir im Tal vorbeikamen. Nahrung gab es auch nicht. Eigentlich sollten US-amerikanische Helikopter uns mit Nahrung versorgen. Wir haben eine Rauchbombe gezündet, und sie sollten dann die Lebensmittel abwerfen. Wenn in der Nähe eine versteckte Vietcong-Truppe[ii] auf den Helikopter schoss, haben die US-Amerikaner Angst bekommen und sind einfach wieder verschwunden – ohne es abzuwerfen. Dann haben wir sehr geflucht: „Diese verfluchten Großnasen“. Wir mussten dann hungern. Bis Nachschub kam, haben wir von Bananen gelebt. Wenn nicht, dann haben wir ein Vietcong-Dorf angegriffen. Die Bewohner dort haben schon gewusst, dass wir kommen würden und haben die Hühner und Schweine frei gelassen. So wird es schwerer, viele zu schlachten. Aber das hinderte uns natürlich nicht daran. Wir haben auf die Tiere geschossen, aber weil Schweine zu schwer waren, konnten wir die nicht mitnehmen. Hühner konnte man hingegen pro Person gleich mehrere mitnehmen. Das taten wir, um wenigstens etwas zum Essen zu haben und zu überleben
Ein Hauptgefreiter hat damals 57 Dollar [als Sold in Vietnam] bekommen. Aber davon musste man 80 Prozent zwangsweise an die Seoul Exchange Bank überweisen. Das waren Ersparnisse. Diese bekam man vollständig zurück, wenn man heimkehrte. Jedem von uns zahlte man also etwa 20 Prozent aus. Sie sagten, das sei unser Taschengeld. Trotzdem haben wir nichts ausgegeben, weil wir in der Militärbasis lebten und Angst hatten, uns außerhalb des Camps zu amüsieren.
Wir haben gekämpft und ich war erleichtert, wenn meine Kameraden neben mir nicht von einer Kugel getroffen und getötet wurden. Wenn ich jetzt daran denke, war es ein so großes Glück, keinen toten Kameraden gesehen zu haben. Es gab aber Verletzte. So war mein Leben in Vietnam. Nach ungefähr einem Jahr bin ich nach Hause zurückgekehrt. Das war im März 1973. Nach der Rückkehr wurde ich der „Weißes-Pferd-Einheit“ in Ilsan zugeteilt. Von dort wurde ich aus dem Militärdienst entlassen.
„Es gab viele Koreaner, die krank wurden“
Während meiner Militärzeit in Ilsan erhielt ich von Freunden, die als Bergarbeiter nach Deutschland gegangen waren den Ratschlag: „Beeile dich und komm auch nach Deutschland.“ Daher haben alle damit gerechnet, dass ich, sobald vom Militär entlassen, nach Deutschland gehen würde. Ich bin im März 1977 gekommen. Eigentlich waren wir 50 Männer in unserer Gruppe, aber drei sind bei der Musterung durchgefallen und mussten wieder nach Korea zurück, also waren wir noch 47. Im Oktober jenen Jahres war es das letzte Mal, dass [südkoreanische] Bergarbeiter nach Deutschland gekommen sind. Es herrschte damals eine sehr harte Konkurrenz unter denen, die nach Deutschland wollten. Damals war es kaum vorstellbar, dass einer, der überhaupt keine Beziehungen hatte, ins Ausland gehen konnte.
Am Anfang war ich in Nordrhein-Westfalen im Münsterland in einer Stadt namens Ahlen. Das Bergwerk hieß Eschweiler EBV. Aber das Bergwerk gehörte keiner deutschen Firma, sondern einem luxemburgischen Stahlkonzern. Im Vergleich zu koreanischen Bergwerken waren die Einrichtungen hier sehr gut. Daher dachte ich: „Wenn ich müsste, würde ich hier arbeiten, bis ich sterbe, bis ich alt werde und sterbe.“ So angenehm kam es mir vor. Selbst als ich 1.000 Meter unter der Erde war, dachte ich, dass die Luft nicht sonderlich schlecht war. Aber dass es viel Staub gab, stimmt, denn dort wurde Steinkohle abgebaut.
Wir hatten öfters Nachtschicht. Manchmal explodierte das Gas. Deshalb führten wir Tests durch. Also haben wir erst die Maschine an die Wand angelegt, gebohrt und dort getestet, wie viel Gas wohl herauskommt. Zusätzlich haben wir, damit die Wand nicht einbricht, mit Chemikalien getestet. Die Chemikalien haben wir in die Maschinen eingefüllt und zwischen die Wand gebracht. Das hat dann wie ein Kleber gewirkt. Dann hat die nächste Schicht einen Stollen herausgeschlagen. Ich habe dabei nur zugesehen. Das war sehr erstaunlich, weil in der Höhle eine Walze etwa drei oder vier Meter weit gebohrt hat. Für uns war das kaum gefährlich, weil wir es nicht machen mussten.
Leute, die gute Arbeit leisteten, die im Jahr nicht mehr als 30 Tage lang krank gemeldet waren, konnten ihre Arbeitszeit verlängern. Weil meine Arbeitszeit verlängert wurde, habe ich noch ein Jahr, also insgesamt vier Jahre lang dort gearbeitet. Es gab viele Koreaner, die krank wurden. Die Leute, die körperliche Arbeit schon aus Korea kannten, hielten die anstrengende Arbeit aus. Aber das Problem war, dass auch viele kamen, die in Korea in guten Verhältnissen gelebt hatten.
Damals, als es den Bergwerken noch gut ging, haben wir auch Entschädigung bekommen, wenn es einen Unfall gab. Außerdem haben sie uns auch Zuschläge fürs Baden und Zuschläge für Nachtschicht gegeben. Bevor meine Frau nach Deutschland kam, habe ich das ganze Geld nach Korea geschickt. 100 Prozent habe ich überwiesen. Mein Taschengeld war das Geld, das ich in der Landwirtschaft verdiente – ich habe außerhalb des Bergwerks in der Landwirtschaft gearbeitet. Von meiner Gruppe haben alle das Geld überwiesen, um die Schulgebühren ihrer Geschwister bezahlen zu können. Ich habe auch jüngere Geschwister und ich weiß nicht, wie es gewesen wäre, wenn ich in Korea geblieben wäre, aber ich bin hergekommen und konnte sie bis hin zur Universität finanzieren und auch die Lebenshaltungskosten meiner Eltern bezahlen. Wir in unserer Generation hatten es besonders schwer. Trotzdem habe ich mir für meine Eltern und meine Geschwister so viel Mühe gegeben wie möglich, dass ich mich dafür nicht schämen muss.
„Wir haben uns für die Firma viel Mühe gegeben“
Nach Ablauf des Vertrages sind aus unserer Gruppe zwei nach Kanada gegangen. Aber es gab kaum Männer, die nach drei Jahren nach Korea zurückkehrten. Sechs oder sieben Leute hat es gegeben, die mittendrin die Arbeit nicht mehr machen konnten und aufgehört haben. Der Rest hat ungefähr drei Jahre lang gearbeitet. Es gab viele, die ihre Arbeitszeit auf vier Jahre verlängern konnten, weil sie gute Arbeitsergebnisse erzielten. Ich bin auch nicht nach Korea zurückgekehrt. Meine Frau und meine Kinder sind aus Korea hergekommen und mein jüngstes Kind wurde in Deutschland geboren. Weil es in den Kindergarten ging und hier lebte, war es nicht so einfach nach Korea zurückzugehen.
Als der Vertrag im Bergwerk nach vier Jahren auslief, ging ich nach Hamburg und arbeitete dort etwa sechs Monate lang in einer deutschen Firma. 1982 gab es dann die „Europäische Krise“, und weil die Firma geschlossen wurde, konnte ich dort nicht bleiben. Anfangs wollte ich wieder im Bergwerk arbeiten, aber dann dachte ich, das würde nicht gehen. Ich bin nach Düsseldorf umgezogen, und brachte meine Kinder jeden Samstag in die koreanische [Wochenend-]Schule. Dort habe ich andere koreanische Eltern getroffen. Besonders mit einem Firmengesandten aus Korea hatte ich mich angefreundet. Dieser war damals der Leiter der Europafiliale der Firma Goldstar [seit 1995 in LG umbenannt]. Als ich in einem Artikel in der Kyopo-Zeitung [koreanische Community-Zeitung] las, dass Goldstar eine Fabrik in Worms errichtete, habe ich ihn bei einem gelegentlichen Treffen in einem Restaurant gefragt: „Filialleiter Sŏng, stimmt es, dass Goldstar in Worms eine Fabrik baut?“ Und er hat geantwortet: „Ja das ist richtig. Wegen dieser Angelegenheit bin ich hergekommen.“ „Ah, das ist gut. Kann ich dort arbeiten?“ „Oh, wenn Sie kommen, werde ich auch für ihre Frau eine Arbeitserlaubnis besorgen können.“ Ein paar Tage später bin ich mit dem Auto nach Worms gefahren und habe mir einen Termin für ein Bewerbungsgespräch geben lassen. „Filialleiter Sŏng, ich bin gekommen.“ Da sagte er: „Herzlich willkommen und arbeiten Sie vorbildlich in unserer Firma“. Er hat gesagt, er würde mir ausreichend Geld zum Leben geben. So bin ich mit meiner Familie nach Worms umgezogen, und meiner Frau wurde nach fast zehn Jahren eine Arbeitserlaubnis ausgestellt. Beim Arbeitsamt reichte bereits die Unterschrift des Firmenchefs. Acht Jahre lang habe ich dann für Goldstar gearbeitet. Auch meine Frau hat dort gearbeitet. Weil die Firma aus meinem Land war, war ich beim Arbeiten alles andere als faul, wirklich! Ich habe das Lager übernommen. Weil in der kleinen Stadt ungefähr 500 Deutsche eingestellt wurden, bekamen die Koreaner eine gute Behandlung.
Aus Korea wurden zig junge Frauen aus der Produktionsabteilung geholt, um die deutschen Männer einzuarbeiten. Wir hatten damals eine Vier-Zimmer-Wohnung. Ich sagte, meine beiden Jungs sollten in einem Zimmer schlafen. Danach sind wir ohne Wohnzimmer mit zwei Zimmern ausgekommen und haben koreanische Kollegen bei uns übernachten lassen. Oft waren bis zu zehn Koreaner bei uns. Wir sind später in ein größeres Haus mit neun Zimmern umgezogen. Meine Frau hatte es sehr schwer. Morgens ist meine Frau, die selbst berufstätig war, früh aufgestanden und hat ihnen Frühstück gemacht. Und dann sind die Koreaner auch noch spät von der Arbeit nach Hause gekommen. Normalerweise sind sie gegen 22 Uhr bei uns angekommen. Statt gleich schlafen zu gehen, haben sie erst noch Karten gespielt und sind erst spät ins Bett gegangen. Meine Frau hat für sie alle gekocht und sie zur Arbeit begleitet und nach Hause abgeholt. Wir haben jeden Tag mehrere Taxis gerufen, weil in meinem Auto nicht genug Platz war, um alle zur Arbeit zu fahren. An Samstagen und Sonntagen habe ich mit unseren Gästen Ausflüge unternommen. Keiner von ihnen hatte zuvor die Möglichkeit gehabt, das Ausland zu besichtigen. Bei dieser Gelegenheit wollte jeder einmal auf Reisen gehen. Wir haben uns für die Firma viel Mühe gegeben.
1996 hat mein Chef gesagt: „Herr Lagervorsteher Kim, die Firma kann es zwar noch nicht offiziell sagen, aber wegen der Personalkosten sieht es so aus, als ob wir umziehen müssten. Denken Sie besser darüber nach aufzuhören.“ Mein Chef hat mir gesagt, um Abfindungsgeld einzustreichen, wäre es besser, wenn ich selbst kündigen würde. Ich habe darüber nachgedacht und dann entschieden „Ja, das ist wohl richtig.“ Er wollte mich sicher nicht falsch informieren. Wie erwartet hat LG das Unternehmen nach ungefähr drei Monaten geschlossen und ist nach England umgezogen. Aber dort hatten sie erneut Schwierigkeiten und sind dann nach Polen gegangen.
„Da bekam ich richtig Angst, weil wir keine Ahnung vom Kochen hatten“
Nach der Kündigung habe ich versucht ein Restaurant zu eröffnen. Weil ich ohnehin in Worms lebte und nicht umziehen wollte – die Kinder hatten auch ihre Schulfreunde – habe ich, im näheren Umkreis gesucht – bis Mannheim. Aber nichts hat mir gefallen. Ich bin dann nach Frankfurt gegangen und habe bei einem Pastor, den ich kannte, eine Weile übernachtet und mir in der Nähe 40 Restaurants angesehen. Schließlich habe ich ein Restaurant in Frankfurt gefunden. Am Anfang habe ich in einem anderen Restaurant eine Woche lang Kochen gelernt, da ich keine Erfahrung in der Küche hatte. Es war nicht leicht, in einem fremden Restaurant zu lernen. Ich habe die Rezepte aufgeschrieben, alles beobachtet und dann habe ich zusammen mit meiner Frau das Restaurant eröffnet. Anfangs haben wir zusätzlich eine Koreanerin aus der Mandschurei beschäftigt, aber die Leute standen zehn Meter Schlange. Da bekam ich richtig Angst, weil wir keine Ahnung vom Kochen hatten. Das Essen, das wir verkauften, war normalerweise chinesisches Essen. Es gab kein koreanisches Gericht. Wenn Koreaner kamen und koreanisches Essen verlangten, hat meine Frau für sie koreanisch gekocht. Wenn ich heute Leute von damals auf der Straße treffe, sagen sie: „Willst du deinen Imbiss nicht wieder aufmachen? Bei dir hat es immer am besten geschmeckt.“ Ich weiß nicht, ob sie das nur aus Höflichkeit sagen, aber viele haben das zu mir gesagt.
Ich hatte vor das Restaurant zu betreiben, bis ich in Rente gehe. Als ich aufhörte, war meine Frau etwas älter als 55 Jahre, und sie war krank. Auch meine Angestellten musste ich kündigen. Wie Sie wissen, ist es in Deutschland wegen der Steuergesetze schwer ein Unternehmen zu führen. Für einen normalen Menschen ist es nicht einfach, da durchzuschauen. So habe ich, als ich 2006 aufgehörte, 30 Jahre lang gearbeitet. Als Andenken an mein Leben habe ich alle Lohnkarten, die ich damals im Bergwerk bekommen hatte, aufbewahrt. Mein Leben im Bergwerk liegt 30 Jahre zurück, oder sind es 35 Jahre?
Ich bereue nichts. Wenn ich jetzt zurückblicke, hat es sich gelohnt. Dass ich damals nach Vietnam und dann nach Deutschland gegangen bin, war aus persönlichen Gründen. Natürlich, damit ich leben konnte. Aber wenn ich jetzt zurückblicke, war alles nicht nur für mich, sondern auch für meine Heimat. Deshalb finde ich, dass es sich gelohnt hat. Denken Sie mal an uns alle, an alle Kyopos [Auslandskoreaner], die nach Deutschland gekommen sind, die Geld nach Korea geschickt haben, denken Sie mal wie viel das wohl war? Das ging alles an die Heimat zurück.
Wenn ich jetzt daran denke, wie sich unser Land entwickelt hat, auch wenn es nur ein kleines ist, ist es doch groß geworden, und das war die Mühe wert. Damals, als wir gekommen sind, war es schwer koreanische Produkte zu finden. Manchmal gab es nur wenig aus Korea exportierte Produkte wie Perücken oder Socken und Handtücher – solche Dinge konnte man in Läden wie C&A finden. Früher haben meine Mitmenschen nichts von Korea gewusst. Wenn ich jetzt zum Beispiel in den Media Markt gehe, bin ich sehr aufgeregt. Jetzt sind, egal wo man hinschaut, überall koreanische Produkte. Wir benutzen bei elektronischen Geräten nur koreanische Produkte. Als ich damals in Worms bei Goldstar gearbeitet habe, kam zum ersten Mal ein Auto von Hyundai heraus. Alle sagen zwar oft, deutsche Autos wären gut, und ich habe mir auch überlegt ein deutsches Auto zu kaufen, aber weil ich in einer koreanischen Firma arbeitete, habe ich am Ende doch den Hyundai Sonata gekauft. Wir haben – wenn es auch nur ein bisschen war – zu der Entwicklung Koreas beigetragen. Das ist eine schöne Sache.
Wenn ich mein Leben bis heute betrachte, habe ich viele Schwierigkeiten gehabt, aber davon bereue ich nichts. Worauf ich stolz bin, ist: Ich habe Anderen keinen Schaden zugefügt, das kann ich mit Gewissheit sagen. Bis heute. Meine beiden Söhne sind gut aufgewachsen und haben kaum Sorgen. Von jetzt an werde ich, auch wenn es spät ist, studieren. Egal wie andere darüber denken. Wenn ich ein Buch über mein Leben schreibe, wird es den jungen Menschen nicht schaden, sondern eher hilfreich sein. Ich habe vor, wenn ich Rente bekomme, in Korea an die Universität zu gehen, um dort Literatur zu studieren. Weil es ein Spätstudium ist, glaube ich, dass es schwer sein wird, vier Jahre lang an die Universität zu gehen – ich habe mich selbst darüber im Internet informiert – aber ich werde mir Mühe geben.
Übersetzt von You Jae Lee und Janna Wörner.
Kim Ch'ang-sŏn kam 1977 nach Deutschland. Nach Beendigung der Vertragslaufzeit als Bergmann arbeitete er bei der koreanischen Elektrofirma LG. Als die Firma den Firmensitz ins Ausland verlegte, eröffnete er ein Restaurant. Heute lebt er in Frankfurt als Rentner.
[i] Südkorea schickte unter der Militärdiktatur von Park Chung-hee als Verbündeter der USA während des Vietnamkrieges eigene Truppen zur Unterstützung des südvietnamesischen Regimes.
[ii] Die „Nationale Front für die Befreiung Südvietnams“ wurde alltagssprachlich „Vietcong“ genannt. Der Vietcong – die Kurzform von „Việt Nam Cộng-sản“ [vietnamesischer Kommunist] – war eine kommunistisch dominierte Guerillaorganisation während des Vietnamkrieges in Südvietnam.