Geht doch! - Ehrenamtliche Initiativen in der Flüchtlingsarbeit

Eindrücke von der Hilfsaktion vor dem Lageso, Schild auf dem steht "Spenden Abgeben"
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Eindrücke von der Hilfsaktion vor dem Lageso

Mit "Yalla Connect", "Tun.Starthilfe" und "Menschen begegnen Menschen" stellt Stephan Dünnwald drei auf ganz unterschiedliche Weise erfolgreiche Initiativen der Flüchtlingsarbeit vor.

Zwei Eigenschaften bestimmen die meisten Initiativen, die sich für Flüchtlinge engagieren: Sie sind lokal und sie sind sozial, nicht politisch. Beides ist Stärke und Schwäche zugleich. Die lokale Orientierung gründet in der Sorge um Flüchtlinge vor Ort. Die meisten Initiativen gründen sich, sobald bekannt wird, dass eine Unterkunft für Flüchtlinge errichtet werden soll. Oft werden die Nachbarn aber von den Behörden vor vollendete Tatsachen gestellt. Aus einer bunt zusammengewürfelten Menge Interessierter bildet sich schnell eine mehr oder minder organisierte Gruppe, die Angebote für Flüchtlinge macht. Je nach Neigungen und Fähigkeiten, auch nach der Größe der Initiativen variieren diese Angebote: Teestuben, Nähkurse, Deutschunterricht, Vermittlung in Wohnen, Arbeit und Ausbildung, Nachhilfe für Schüler/innen, Sport oder verschiedene Patenschaftsmodelle – die Angebote sind vielfältig, aber überschaubar. Wird die Unterkunft aufgelöst, so überlebt auch die Initiative nicht.

Paternalismus überwinden

Fremde rufen Ambivalenz und Unsicherheit hervor. Für die einen sind Flüchtlinge eine Bedrohung, für die anderen sind sie bedürftig. Schnell werden Flüchtlinge in eine Schablone gedrückt, davon sind auch Initiativen nicht frei, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Wer Flüchtlinge pauschal als hilfsbedürftig ansieht, etabliert ein asymmetrisches Verhältnis. Für dargebotene Hilfen wird als Gegenleistung Dankbarkeit und Wohlverhalten erwartet. Ehrenamtliche, die sich für Flüchtlinge einsetzen, sind aber gegenüber denen, die Flüchtlinge als Feinde sehen, entscheidend im Vorteil: Der direkte Kontakt zu Flüchtlingen erlaubt es, Erfahrungen zu machen, manch ein Frust, manch ein gutes Erlebnis zwingt dazu, die eigenen Vorurteile auf den Prüfstand zu stellen.

Eisenberg und darüber hinaus: Yalla Connect

Das Café International in Eisenberg, Thüringen, ist so eine Initiative. In der Nachbarschaft der schäbigen Erstaufnahmestelle Thüringens hat das Bildungswerk Blitz e.V. mit dem Café International einen Treffpunkt für Flüchtlinge und Mitbürger/innen aus der Umgebung geschaffen. Hier nahmen auch Studierende aus Jena erstmals Kontakt mit den neu ankommenden Flüchtlingen auf. Sie waren erstaunt, was die Flüchtlinge zu erzählen hatten, hörten zu und fanden, diese Geschichten müssten eine breitere Öffentlichkeit erreichen. Dementsprechend positioniert sich die Gruppe:

„Hierbei stand die Idee im Fokus, nicht einfach ein fertiges Projekt vorzustellen, sondern die Menschen selbst entscheiden zu lassen, was sie machen möchten. Das Anliegen auf herkunftsdeutscher Seite war dabei, die Brücke zu Strukturen zu sein, zu denen Refugees aufgrund ihrer strukturellen Benachteiligung in der Gesellschaft sonst keinen Zugang haben. Dementsprechend offen haben wir ein erstes Treffen in Eisenberg organisiert, um das Projekt von sich aus entstehen zu lassen. Ein konkretes Bedürfnis, das sich auch als eines der Ziele der Gruppe herausstellte, war es, die miserablen Zustände im Camp in Eisenberg zu thematisieren. Und zwar aus der Perspektive der Menschen, die das betrifft."

Die Fluktuation ist hoch. Eisenberg ist eine Erstaufnahmeeinrichtung. Hier bleiben Flüchtlinge meist nicht länger als drei Monate, dann werden sie umverteilt. Entsprechend fokussiert ist die Arbeit:

„Um unsere Projektidee zu realisieren, haben wir ein gemeinsames Wochenende verbracht. Wir konnten uns besser kennenlernen und in drei Arbeitsgruppen "Text, Film, Audio" haben die Flüchtlinge thematisiert, was für sie wichtig ist. So ergaben sich verschiedene Schwerpunkte, wie zum Beispiel die Situation im Camp in Eisenberg, der Weg nach und die Ankunft in Deutschland, das Asylverfahren und vieles mehr. Dieses Material wurde daraufhin in drei verschiedene Sprachen übersetzt (Arabisch, Englisch, Deutsch) und auf der Website, die wir auch miteinander aufgebaut haben, veröffentlicht.“

Die Website ist die Plattform des Projekts, wo eigene Geschichten und Anliegen der Flüchtlinge dokumentiert werden können. Flüchtlinge und ihre Sichtweisen auf die Situation in Deutschland werden im öffentlichen Diskurs kaum wahrgenommen. Der Wunsch von Yalla Connect ist es, „dass sich die Perspektive auf Refugees in der Mehrheitsgesellschaft verändert, wenn sie nicht mehr nur Objekt eines Diskurses sind, sondern auch als selbst sprechende, aktive Individuen agieren und wahrgenommen werden und nicht primär als passive Opfer“.

Local Heroes

Die Qualität des Lokalen ist wichtig: Initiativen arbeiten mit Flüchtlingen und zugleich mit den Nachbarn und lokalen Behörden. Ihre Existenz und Haltung hält Rassist/innen ab, allzu laut ihre Einwände vorzubringen, vermittelt auch in die Nachbarschaft hinein. Schnell werden Kompetenzen aufgebaut, Erfahrungen gemacht, Praktiken geübt. Wenn dies alles aber nur lokal besteht, bleibt überschreitender Erfahrungsaustausch aus. Gute Erfahrungen bleiben lokal, Informationen von anderen Initiativen werden nicht aufgegriffen. Manchen Initiativen gelingt es, die lokalen Ressourcen gut zu verknüpfen und die eigenen Ideen zu verbreiten und andere aufzunehmen.

Eichstätt: Tun.Starthilfe

Die Stadt Eichstätt in Bayern geht mit Flüchtlingen achtsam um. Integrationsangebote werden jedoch auch in Eichstätt vor allem von Ehrenamtlichen vorangetrieben. Eine Vielfalt verschiedener Akteure macht Eichstätt dennoch zu einem beispielhaften Ort für die Unterstützung von Flüchtlingen. Wichtig dafür ist die Grundhaltung, Flüchtlinge als Neubürger/innen in vielseitige Angebote einzubeziehen. An allen Wohneinrichtungen für Flüchtlinge haben sich ehrenamtliche Helferkreise gebildet, um sie in Alltagsdingen zu unterstützen. Zahlreiche Wohlfahrtsverbände engagieren sich für Flüchtlinge und bieten Beratung, Kinderbetreuung und Hilfen. Sämtliche Eichstätter Vereine bieten Flüchtlingen kostenlos die Mitgliedschaft an. Das Engagement kommt also vor allem aus der Zivilgesellschaft.

Von zentraler Bedeutung für diese Arbeit ist der Verein tun.starthilfe. Er geht auf eine Initiative des Vereins Live for Life e.V. zurück und wird zugleich ganz wesentlich von Studierenden des Fachbereichs Soziale Arbeit der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt getragen. Das wäre so nicht vorstellbar ohne Rückendeckung der Uni. Die Hochschule ermuntert die Studierenden, sich in Praxismodulen und Projekten für Flüchtlinge zu engagieren und vergibt dafür Credits – der Erwerb von Studienleistungen und die Unterstützung von Flüchtlingen geht hier Hand in Hand. Sommerschulen, Deutschkurse, Feste und zahlreiche Beratungsangebote werden so konzipiert. Die Uni hat früh erkannt, dass eine Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements der Studierenden verstärkt werden kann – zugunsten von Flüchtlingen und der Ausbildung. Die Leute von tun.starthilfe lernen, sich selbst zu organisieren, reflektieren ihre Arbeit, bauen und ergänzen Konzepte und Handbücher, stellen ihre Arbeit auch über Eichstätt hinaus vor. Die Kombination von Ehrenamtlichen und Studierenden stellt eine engmaschige Unterstützung für Flüchtlinge bereit und wirkt weit in die Stadtgesellschaft hinein.

Sozial – oder politisch?

Initiativen sind nicht nur meist lokal, sondern im Kern auch sozial, nicht politisch im engen Sinne. Sie leisten Unterstützung für Flüchtlinge, bieten ihnen Andockstationen an die Gesellschaft und schaffen Verständnis für Flüchtlinge in der Nachbarschaft. Damit sind Initiativen – ganz gleich, wie unpolitisch sie ihrem Selbstverständnis nach agieren – in gewisser Weise eben doch politisch: Grundsätzlich wird erst einmal jeder Flüchtling bei der Integration unterstützt, egal, wie die Behörden über die Bleibeberechtigung entscheiden. Je länger ein Flüchtling dann vor Ort ist und je besser er sich eingelebt hat, desto deutlicher und vehementer wird auch das Bleibeinteresse von Initiativen geteilt und gegenüber den Behörden zur Geltung gebracht. Bei allem Engagement für „unsere“ Flüchtlinge im Dorf oder Viertel sind die Meinungen innerhalb von Initiativen, wie denn mit der Fluchtzuwanderung insgesamt umzugehen sei, so breit gefächert wie die politischen Selbstverortungen der Mitglieder. Der Einsatz für Flüchtlinge entfaltet so auch eine große integrative Dynamik in der Bevölkerung.

Das „Babenhausener Modell“: Menschen begegnen Menschen

Der Verein „Menschen begegnen Menschen“ unterstützt Flüchtlinge in der Verwaltungsgemeinschaft Babenhausen im Unterallgäu. Stadt und Umlandgemeinden haben zusammen etwa 11.000 Einwohner/innen. Von den circa 200 Asylsuchenden leben um die 70 in Babenhausen. Die Initiative ist seit fast zwei Jahren ein Verein, knapp 60 Mitglieder zählt sie in Stadt und Umland.

Die Standardunterbringung ist die sogenannte Beherbergung: Eigentümer/innen bieten eine Immobilie an und bekommen pro Flüchtling und Tag eine Pauschale von 12 bis 15 Euro. Genau wie auch der Landkreis haben sie ein Interesse an einer möglichst dichten Belegung und so sind drei oder vier Quadratmeter, manchmal sogar weniger, keine Seltenheit.

Die Initiative unterstützt Flüchtlinge durch Fahrten zu Ärzt/innen oder in Form von Begleitung bei Behördengängen, durch Kleiderausgabe, Hausaufgabenbetreuung und vieles mehr. Dabei hat die Gruppe zwei deutliche Schwerpunkte: den Sprachunterricht und die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit. Deutsch wird in zahlreichen unterschiedlichen Modulen und Kursen angeboten. Allein sieben professionelle Lehrkräfte und acht weitere Mitglieder bieten Kurse auf verschiedenem Niveau an. Neben Deutsch wird vor allem auch Mathematik unterrichtet.

Adi Hösle, Künstler und tragende Säule des Vereins in Babenhausen, erklärt das Empowerment von Flüchtlingen zur zentralen Aufgabe. „Flüchtlinge werden bei uns nicht gepampert. Natürlich müssen sie auch motiviert werden, aber wir unterstützen und erwarten viel Eigeninitiative.“

Initiative braucht es vor allem bei der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Babenhausen liegt in einer Gegend, die geprägt ist durch kleine und mittelständische Unternehmen. Mit einigen dieser Unternehmen hat „Menschen begegnen Menschen“ einen Deal ausgehandelt: Sie bieten Flüchtlingen nun ein Schnupperpraktikum, dann eine bezahlte Praktikumsstelle, eine Ausbildung oder gleich eine Anstellung. Eine ganze Reihe von Flüchtlingen konnten so schon in Arbeit und Ausbildung vermittelt werden.

Unterlaufen wurde dieses erfolgreiche Modell durch einen Erlass des Bayerischen Innenministeriums: Ende März 2015 wurde verfügt, dass Flüchtlinge aus sogenannten „Sicheren Herkunftsstaaten“ weder Ausbildung noch Arbeit genehmigt bekommen. Die Babenhausener Initiative wurde zu einer der ersten in Bayern, die sich aktiv gegen diese Verbote zur Wehr setzte. Ein Protestbrief wurde entworfen, Unterschriften gesammelt, im Falle eines Senegalesen wurde eine Klage gegen das Arbeitsverbot eingereicht. Wie will man das Engagement nicht nur für, sondern auch von Flüchtlingen stärken, wenn der Staat sie entmündigt? Adi Hösle: „Durch die Unterbringung und Arbeitsverbote wird Eigeninitiative von Flüchtlingen kaputt gemacht, wir steuern dagegen, wo wir können.“

Dieser Artikel erschien in unserem Dossier „Zivilgesellschaftliches Engagement“ aus der Reihe „Welcome to Germany“.