Hier finden Sie eine Leseprobe des Debutromans der Autorin und Bloggerin Rasha Khayat. Zum Interview geht es hier.
»Welcome home. Ahlan wa sahlan.« Omar fährt in eine Hauseinfahrt in einer kurzen Straße. Sofort schlägt mir ein Schwall von Erinnerungen entgegen. Es ist unmöglich zu sagen, welche meine eigenen sind und welche aus den Geschichten stammen, die Barbara uns manchmal erzählt hat. Anekdoten von einem alten Zuhause. Welcome home. Und doch. Ich erkenne das Tor, obwohl es sicher nicht mehr dasselbe ist wie vor zwanzig Jahren. Es öffnet sich, nicht automatisch, wie man bei so einer luxuriösen Auffahrt erwarten würde, sondern langsam, erst ein Flügel, dann der zweite. Ein alter, gebeugter Mann mit tiefschwarzer Haut und schlohweißem Haar schiebt die schweren, schmiedeeisernen Gitter auf, sodass der Lexus durchfahren kann. »Den müsstest du doch noch kennen«, sagt Omar und boxt mir gegen die Schulter. Der Mann in dem grauen Thowb hebt den Kopf, wendet sich unserem Wagen zu und entblößt mit seinem breiten Lächeln eine Reihe großer strahlend weißer Zähne. »Mußa?«, frage ich ungläubig. Omar nickt grinsend. »Abuya hat ihn schon achtzigmal gefeuert und weggeschickt, aber er geht einfach nicht. Er sagt, er wird hier sterben, komme, was wolle. Im Sudan würden nur all seine Ehefrauen auf ihn warten und ihm das letzte Hemd vom Leib reißen.« »Ya Basha, ya Basil«, ruft der Alte und schlurft vor zum Auto, um mir die Tür zu öffnen. Als ich aus dem klimatisierten Wagen steige, schlägt mir die Abendhitze schwer entgegen. »Ahlan, Ahlan, ya Basha. Du hast dich gar nicht verändert, Mabrook, mabrook ya Akh al-Aroosa!« Ich schüttele ihm zitternd die ledrige, faltige Hand und nehme seine Glückwünsche entgegen. Ich will etwas sagen, aber die Worte bleiben irgendwo im Mund hängen. Meine Kehle ist rau und trocken, und das Atmen fällt mir schwer. Mein Arabisch will nicht raus, die Worte wehren sich und ecken an, nur ein ganz leises »Shukran, Allah yesalimak« bringe ich zustande. Der alte Mußa ist schon alt gewesen, als wir noch Kinder waren und in diesem Hof gespielt haben. Seine Stimme und das laute Lachen gurgeln noch genau wie früher. Mit einem Mal spüre ich, wie mich eine unendliche Müdigkeit überkommt. Kaum hat Mußa meine Hand losgelassen, um das Tor hinter uns zu schließen, öffnet sich auch schon die vordere Haustür. Mir fällt nur flüchtig auf, wie sehr sich das Haus verändert hat. Es ist in die Höhe gewachsen, aufgestockt um mehrere Etagen, Anbauten an der Seite, neue Fassaden und Fenster. Licht fällt in den Hof, der viel kleiner ist, als ich ihn in Erinnerung habe. Doch der Geruch von Oleander und abgestandenem Kondenswasser der Klimaanlagen ist noch derselbe. Die Zeit scheint einen Moment lang still zu stehen, und die Welt um mich herum beginnt sich zu drehen. Erinnerungen, zerbrechlich wie kleine Papierkraniche, das Gefühl in der Brust und in den Fingerspitzen, Kribbeln, als müsste etwas in mir implodieren. Dann der Lärm. Aus der Haustür eilt – humpelt – meine Tante Basma, Omars Mutter, mit einer Hand ihr Kopftuch zurechtzupfend, die andere weit ausgestreckt nach mir. »Ya Habibi. Ya Galbi, Hamdilla al salamah, Gott sei Dank bist du sicher angekommen. Mein Gott, schau dich nur an, schau dich nur an.« Ich mache ein paar Schritte auf sie zu und sehe, dass sie Tränen in den Augen hat. Sie ist alt geworden. Und klein. Ob alte Menschen tatsächlich schrumpfen? Immer weniger werden? Oder ob es einem nur so vorkommt, weil man selbst so viel weiter weg ist von ihnen? Sie küsst und umarmt mich. Hinter ihr in der Tür haben sich andere Familienmitglieder versammelt. Ich drücke die alte Frau an meine Brust, und gemeinsam gehen wir zum Haus. Einige Gesichter erkenne ich wieder. Gesichter, die ich seit einer Ewigkeit nicht gesehen habe und die trotzdem tief mit mir verwachsen sind. Im Türrahmen, klein und fast verblasst hinter all den Gestalten, die sich nun auf mich stürzen, mir die Hände schütteln und mir auf die Schulter klopfen, steht Basmas Mann, Omars Vater. Mein Onkel Khaled, der Bruder meines Vaters. Er trägt nur ein weißes Unterhemd und einen grün karierten Futah, den er unterhalb seines ausladenden Bauches umgekrempelt hat. Den Arm um seine Schulter gelegt, ein unbekannt sanftes Lächeln auf den Lippen und ihr Kopftuch nur locker über ihre glänzenden schwarzen Locken drapiert, steht sie. Die Braut.
Rasha Khayat: Weil wir längst woanders sind, 200 Seiten, DuMont Buchverlag Köln, 2016.