Antimuslimischer Rassismus und Empowerment: wenn Humor befreit

Lisa-Marie Rüther hat in ihrer Masterarbeit untersucht, inwieweit sich antimuslimisch-rassistische Diskurse durch humoristische Darstellungen dekonstruieren lassen. Dafür hat sie mit dem Comedian Usama Elyas gesprochen, der als „Ususmango“ mit der deutschen Stand-Up-Comedy-Gruppe RebellComedy auftritt. Ihr Beitrag reflektiert, was geschieht, wenn betroffene Menschen Rassismuserfahrungen humorvoll auf der Bühne präsentieren.

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Usama Elyas steht mit der deutschen Stand-Up-Comedy-Gruppe RebellComedy auf der Bühne

Antimuslimischer Rassismus und seine aktuelle Brisanz

Eigentlich ist das Thema Antimuslimischer Rassismus gar nicht lustig und viel zu ernst, um darüber lachen zu können. Dass weit verbreitete muslimfeindliche Einstellungen in der deutschen Bevölkerung bis zur Konfliktträchtigkeit angestiegen sind, hat die „Mitte-Studie“ bereits 2016 nachgewiesen. Im vergangenen Jahr 2017 gab es in Deutschland mindestens 950 Angriffe auf Muslim*innen und muslimische Einrichtungen wie Moscheen.

Gewalttätige Übergriffe sind aber nur die Spitze des Eisberges antimuslimisch-rassistischer Diskurse und Bilder. So zeichnet sich in den deutschen Medien ein Bild von Muslim*innen, das sie überwiegend im Zusammenhang von Terrorismus, Rückständigkeit und Gewalt zeigt. Diese rassistischen Bilder konstruieren somit ein Feindbild. Doch wie lassen sich diese einseitigen Diskurse und Bilder verändern? Und kann Humor ein Mittel zur Dekonstruktion von Antimuslimischen Rassismus sein?

RebellComedy

Gegründet 2005 von Usama Elyas (Ususmango) und Babak Ghassim in Aachen, ist die RebellComedy das erste Ensemble, welches das in den USA etablierte Genre der Stand-Up-Comedy nach Deutschland holte. Insgesamt acht Comedians stellen in Live-Performances humoristische Geschichten aus dem eigenen Leben dar. Dabei lassen sie ihre marokkanischen, iranischen, türkischen oder auch schweizerischen Wurzeln zum Thema werden, ohne dabei „in eine klischeebehaftete Schiene" zu rutschen. In Verbindung mit der Thematisierung der eigenen Wurzeln und humoristischen Darstellungen von Erlebnissen aus dem Alltag zeigen sich Schnittstellen, die antimuslimischen Rassismus offenlegen.

 

Usus über Freunde, Alkohol und dickes, fettes Schwein | RebellComedy [Stand Up] - RebellComedy

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Ususmango berichtet auf der Bühne zum Beispiel von seiner Sorge, sich vor anderen als Muslim zu „outen“. Denn meistens erfährt er in Reaktion darauf Fragen über Kopftücher, Bartträger und den 11. September, die ihn in das rassistische Bild des „ewigen Anderen“ oder „terroristischen Muslim“ zwängen. Er erzählt in seiner Performance von Ausweichstrategien, mit denen er sich diesem Outing entzieht. So schildert er die Situation bei einer Einladung, Wein und Schweinefleisch angeboten zu bekommen. Der Gastgeber fragt Ususmango: „Usus, warum isst du kein Schweinefleisch?“

Ususmango antwortet gelassen: „Ich esse kein Schweinefleisch, weil,“ und hier lässt er eine Pause, „ich bin Jude.“ Dann wartet der Comedian einen kleinen Augenblick und fügt mit hochgezogener Augenbraue hinzu „Was dagegen?“. Das Publikum schweigt erst kurz, dann folgt lautes Gelächter. Ususmango hat wohl einen deutsch-historischen Nerv getroffen. Denn es ist eine scharfe sarkastische Pointe, die eine Realität aufblicken lässt. Deutlich wird, dass es im Grunde nicht um den religiös motivierten Verzicht auf Schweinefleisch geht, sondern um die gesellschaftliche Position als Jude oder Jüdin beziehungsweise als Muslim oder Muslimin“.

Wenn Humor empowert ...

In einem kleinen Café in Aachen treffe ich Ususmango. Der Mitbegründer des Comedy-Ensembles erzählt mir die Entstehungsgeschichte.

„Die Idee dafür hatten Babak und ich ungefähr 2004. Wir wussten, wir haben so einen bestimmten Humor, den wir auch in unserem Freundeskreis sehen, aber nicht im Fernsehen. Ich habe Grafikdesign studiert und Babak hatte selber eine Filmproduktionsfirma. Ich habe immer sehr viel geschrieben und irgendwann hatte ich die Diplomarbeit vor mir. Anfangs ging es eigentlich nur um diese Inhalte. Wir haben das erste Mal über das Kanaken-Sein und den Unterschied zwischen einem Deutschen, der hier aufgewachsen ist und einem Ausländer, der hier aufwächst gesprochen. Wir haben eigentlich nur diese Themen besprochen, die uns interessiert haben, und das hat unglaublich viel Spaß gemacht.“

In den folgenden Jahren wuchs das Comedy-Ensemble. Es besteht heute aus acht Comedians verschiedener Herkunft. Anfangs spielten sie vor kleinem Publikum in einer Shisha-Bar in Aachen. Später traten sie auf größeren Bühnen in Düsseldorf und Köln auf und heute tourt die Gruppe mit ihren Shows quer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.

Die Themen der RebellComedy erweiterten sich im Laufe der Zeit, weshalb sich das Comedy-Ensemble nicht ausschließlich auf das „Migrationsthema“ reduziert sehen will. Ususmango erklärt mir, dass es in der Stand-up Comedy natürlich erstmal um Unterhaltung gehe. Er greift in seinen Performances alltägliche Erlebnisse ebenso auf wie gesellschaftskritische Themen.

„Ich weiß schon, welche Reaktion kommt, wenn ich über bestimmte Themen rede, die in der Gesellschaft nicht so ehrlich behandelt werden. Und ich nutze das, um darauf hinzuweisen, dass viele Dinge nicht klargehen, dass Alltagsrassismus nicht klargeht, dass man als Mensch zweiter Klasse behandelt wird. Und ich weise darauf hin, dass ich das nicht mit mir machen lasse und dass ich das nicht für meine Tochter will.“

Ich will mehr wissen und frage ihn, was er sich davon verspricht, in seinen Performances Rassismus zu thematisieren.

"Erstmal will ich immer lustig sein. Zweitens ist der Werkzeugkoffer, in den ich greife, mein Schädel. Das, was ich erlebt habe, hole ich heraus und baue damit etwas. Gerade die ersten Sachen, die ich geschrieben habe, waren immer Inhalte über mich, die mich schon mein Leben lang berührt haben. Dann kommt das irgendwie raus. Nachdem es raus ist, gibt es natürlich eine Reaktion beim Publikum. Vielleicht macht es was mit deren Gedanken. Aber es ist nicht meine Intention, bei dir etwas zu bewirken. Die Intention ist, aus diesem Ding etwas Lustiges zu machen und erstmal als Tüftler daran zu gehen."

Genau darin kann ein empowerndes Moment des Humors liegen, finde ich in meiner Forschungsarbeit heraus. Der Comedian nutzt eine Diskriminierungserfahrung, die ihm in der machtvollen Logik des Rassismus eine deprivilegierte Position zuweist. Das in Wortefassen dieser Diskriminierungserfahrungen überwindet die Sprachlosigkeit. Das ist  eine wichtige Strategie im Empowerment-Prozess. Der Comedian geht neben dem bloßen Aussprechen dieser Erfahrungen noch einen Schritt weiter, indem er aus ihnen einen humorvollen Inhalt baut. In diesem Moment wird er zum aktiven Gestalter seiner eigenen Geschichte.

Er kann sich mittels Humor zum einen von der negativen Erfahrung kognitiv und emotional distanzieren, zum anderen nimmt er der Erfahrung ihren machtvollen Gehalt, weil sie „komisch“ wird. Er bietet als Comedian auf der Bühne nicht nur einen Gegendiskurs im Rassismusgeflecht an, sondern auch die Möglichkeit der Identifikation für seine Rezipientinnen. Ususmango sieht dies als ein wichtiges Ziel seiner Arbeit:

„Das ist das Ziel, dass man auf Augenhöhe kommt und sich identifizieren kann. Das gab es vor RebellComedy nicht, dass es für das Publikum jemanden im etablierten Mainstream gibt, mit dem es sich identifizieren kann. Ich bin ohne solch eine Identifikation aufgewachsen. Ich kannte niemanden, der ansatzweise so aussieht wie ich und der relevant ist im deutschen Fernsehen. Und RebellComedy ist etwas Etabliertes und Respektiertes in der deutschen Infrastruktur, mit dem man sich identifizieren kann. Das stärkt das Selbstbewusstsein. Sobald jemand selbstbewusst ist, ist er schon nicht mehr ein Mensch zweiter Klasse.“

…und Lachen befreit

„Es gibt nichts Natürlicheres und Echteres als ein Lachen. Wenn jemand sich kaputtlacht, dann ist das schon echt“ , sagt Ususmango. Zu den Shows der RebellComedy kommen ganz unterschiedliche Leute: „Da sind auch ältere, da sind kulturinteressierte Leute dazwischen. Wir haben in manchen Shows wirklich zur Hälfte deutsche, urdeutsche, und zur anderen Hälfte Menschen mit Migrationshintergrund, also Känaks. Wir sammeln diese ganzen Leute, haben sie drei Stunden da und die lachen sich kaputt und gehen wieder. Das sind tausende, die in die Shows kommen. Diese so verschiedenen Leute haben beim Lachen wirklich einen Moment, wo sie alle eins sind. Das ist schon magic.“

Innerhalb von Sekunden sprudelt bei Comedy-Shows das Lachen der Zuschauerinnen und Zuschauer heraus, denn in komischen Situationen lacht der Mensch reflexartig los. Komik entsteht durch eine Bedeutungskollision, beispielsweise durch die Unvereinbarkeit bekannter Denkmustern und Erwartungen mit dem Gehörten.

Die Darstellungen rassistischer Erfahrungen durch die Comedians kann den Zuschauer*innen eine neue Perspektive eröffnen: dies beinhaltet die Chance, sich für den Moment aus der Logik des Rassismus zu befreien. Für Menschen ohne negative Rassismuserfahrungen bedeutet dies eigene antimuslimisch-rassistische Denkmuster in Frage zu stellen. Gleichzeitig können Menschen mit negativen Rassismuserfahrungen durch das Lachen eine Kraftquelle und ein Ventil finden:

„Ich habe mich oft gefragt, warum ich mit diesem Frust aufgewachsen bin. Wenn ich den mit Humor aushebeln kann, weiß ich, dass das vielen Menschen das Leben einfacher macht. Ich weiß, was es wert ist, wenn wir zusammen darüber lachen und aus dieser Opferrolle rauskommen.“

Auf der anderen Seite ermöglicht das Lachen den Zuschauern ohne negative Rassismuserfahrungen, sich aus eigenen Denkmustern zu befreien und neue Perspektiven einzunehmen. Ususmango ist überzeugt, dass Comedy einen wichtigen Beitrag zur Dekonstruktion von antimuslimischem Rassismus leisten kann.

„Ich glaube, RebellComedy hat das schon längst gemacht – mit vielen Inhalten und mit vielen Sketchen, die wir etwa zusammen mit dem WDR produziert haben. Wir hatten zum Beispiel eine Sketchreihe – Kanaken Hunter - in der es unter anderem darum ging. Ich glaube, Comedy bringt eine Normalität und Unverkrampftheit mit, mit dem Thema Rassismus umzugehen. Wenn ich sehe, wie viele junge Deutsche bei uns sitzen, habe ich immer ein sehr gutes Gefühl. Auch weil ich sehe, wie viele Leute durch RebellComedy ein Selbstbewusstsein entwickeln. Wir sind die größte Stand-up-Show, die es gibt und wir sind nicht Deutsch. Das ist krass. Wir kriegen wirklich nur positives Feedback. Ich bin mir sicher, dass da sehr viel abgebaut werden kann. Unsere Sketche für das WDR sind noch viel kontroverser. Die zielen alle darauf ab, dass man es besser machen kann. Das ist zwar nicht unsere einzige Intention, denn wir haben keinen Auftrag, die Welt zu verbessern. Aber wir machen ja nichts Negatives, wir machen etwas, wovon man gute Laune kriegt.“

Humor als Allheilmittel?

„Lachen ist die beste Medizin“, sagt der Volksmund. Ja, Humor kann empowern und Lachen kann befreien. Natürlich kann das aber nicht das alleinige Heilmittel gegen antimuslimischen Rassismus sein. Es gilt zu bedenken, dass durch die humoristischen Darstellungen der Comedians auch immer eine Reproduktion von antimuslimisch-rassistischen Bildern stattfindet. Und wie diese Bilder in humorvoller Darstellung letztendlich von den Zuschauer*innen aufgenommen werden, ist eine sehr individuelle Frage. Antimuslimischem Rassismus mit Humor zu begegnen, bietet aber die Möglichkeit, gewohnte Denkmuster zu verlassen, Machtpositionen für den Moment zu verschieben und neue Perspektiven einzunehmen. Für Menschen ohne Rassismuserfahrungen kann Humor damit ein Mittel sein, um eigene rassistische Bilder und Denkmuster wahrzunehmen und zu hinterfragen.

Gleichzeitig werden Rassismuserfahrungen von Betroffenen sichtbar gemacht, geteilt und verarbeitet. Damit kann Humor für Menschen mit Rassismuserfahrungen eine wertvolle Ressource und Strategie im Empowerment-Prozess sein.