Noch immer gehört antiziganistische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt zum Alltag vieler Rom*nja und Sinti*ze. In ihrem Beitrag machen Andrea Wierich, Georgi Ivanov und Hannah Schultes von Amaro Foro e.V. auf aktuelle Missstände Aufmerksam.
„Eine Person, leichter Zigeunereinschlag, besser nichts anbieten!“ So lautete eine handschriftliche Bemerkung auf einem Interessentenbogen der Wohnungsgenossenschaft Hameln, den eine 68-jährige Sintezza am 21. März 2019 zugeschickt bekam – offensichtlich ein interner Vermerk, der gar nicht für sie bestimmt und nur durch ein Versehen bei ihr angekommen war. Dadurch war jedenfalls klar, warum sie sich seit Jahren erfolglos um Wohnungen bewarb.
Ungewöhnlich an diesem Fall ist dabei nur, dass die rassistisch begründete Ablehnung der Betroffenen zugeschickt wurde – Roma-Selbstorganisationen und Antidiskriminierungsberatungsstellen weisen seit Jahren auf die massive und strukturelle Diskriminierung von Menschen mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Roma-Hintergrund auf dem Wohnungsmarkt hin.
Antiziganistische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt: Die Ausgangslage und Folgen
Die Dokumentationsstelle Antiziganismus (DOSTA) von Amaro Foro e.V. in Berlin erfasst seit fünf Jahren systematisch antiziganistische Diskriminierungen. Ein Großteil der Meldungen betrifft Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, vor allem Migrant*innen aus Rumänien und Bulgarien, die oft in einer besonders prekären Situation sind und spezifische Formen von Diskriminierung erfahren. Die Migration aus den beiden EU-Ländern wird seit der EU-Erweiterung von antiziganistischen Diskursen in Politik und Medien begleitet. 2013 titelte die Bild-Zeitung: „Droht Deutschland eine Roma-Welle?“. Diese Diskurse in Medien und Politik haben die öffentliche Meinung in Deutschland stark geprägt. Von den Ausschlüssen sind dabei auch Rumän*innen und Bulgar*innen ohne Roma-Hintergrund betroffen.
Die Debatten haben dazu geführt, dass es Immobilienunternehmen gibt, die an rumänische und bulgarische Staatsbürger*innen gar nicht mehr vermieten. Und auch darüber hinaus machen Menschen mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Roma-Hintergrund beispielsweise häufig die Erfahrung, dass sie zu einem Besichtigungstermin erscheinen und Vermieter*innen oder Hausverwaltung sie sehen, als Rom*nja fremdidentifizieren und plötzlich behaupten, die Wohnung sei doch schon vergeben.
Darüber hinaus vermieten viele Berliner Immobilienunternehmen nicht an Menschen, die die deutsche Sprache nicht beherrschen. Das Diskriminierungsmerkmal Sprache ist durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht abgedeckt, auch aus dem Entwurf für ein Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz ist es wieder gestrichen worden, was von den spezialisierten Antidiskriminierungsberatungsstellen kritisiert wird.
Zum beschränkten Zugang zu Wohnraum gehört auch rassistische Diskriminierung und Schikane, die von Nachbar*innen ausgeht. Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2014 ergab, dass jedem dritten Befragten Sinti und Roma als Nachbarn sehr oder eher unangenehm wären. Dementsprechend sind Nachbar*innen auch Akteur*innen, die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt verschärfen. In einem durch DOSTA dokumentierten Fall wurde durch Nachbar*innen ein antiziganistisches Beschwerdeschreiben an einen Bezirksbürgermeister verschickt, in dem rassistische Beleidigungen und kriminalisierende Unterstellungen enthalten waren und mit der Gründung einer »Bürgerwehr« gedroht wurde.
Solche Fälle zeigen darüber hinaus, dass der Zugang zu Wohnraum bei Mieter*innen mit zugeschriebenem oder tatsächlichem Roma-Hintergrund, die trotz der Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt eine Wohnung gefunden haben, oft auch dann prekär bleibt, wenn sie sich bereits in relativ sicheren Mietverhältnissen befinden.
Insgesamt führen diese Ausschlüsse dazu, dass viele Menschen mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Roma-Hintergrund vom regulären Wohnungsmarkt nahezu völlig ausgeschlossen sind – mit gravierenden Konsequenzen. Ein bekanntes Phänomen sind die sogenannten Problemimmobilien, die regelmäßig Schlagzeilen in der Boulevard- und Lokalpresse machen: Völlig heruntergekommene und eigentlich nicht mehr vermietbare Gebäude werden für die Eigentümer zum Geschäftsmodell, indem sie ihre Häuser mit Menschen überbelegen, denen keine Alternative bleibt. Sie zahlen horrende Mieten und die Häuser werden ansonsten der Verwahrlosung preisgegeben. Die Überbelegung führt zu Lärm und schwierigen hygienischen Verhältnissen, da Vermieter*innen und Hausverwaltung oft ihren Pflichten beispielsweise zur Organisation der Müllentsorgung nicht nachkommen.
In medialen Berichten werden die Zustände in der Regel den Bewohner*innen angelastet: „Im November 2014 zogen die ersten Roma-Familien in leere Wohnungen des Hauses Grunewaldstraße 87. Die Folge waren untragbare hygienische Zustände, aber auch ein Anstieg der Kriminalität.“ (Berliner Zeitung, 24.11.2015). In solchen Situationen kommt es auch häufig zu Konflikten in der Nachbarschaft; meistens folgen die Anwohner*innen der medialen Darstellung und bilden beispielsweise Bürgerinitiativen, um „die Roma“ wieder loszuwerden.
Öffentliche Debatten und politische Antworten
Ein großer Teil der von DOSTA dokumentierten antiziganistischen und diskriminierenden Vorfälle wird durch die Anlaufstelle für europäische Roma – Konfliktintervention gegen Antiziganismus erhoben. Viele der Klient*innen, die dort die Sozialberatung in Anspruch nehmen, fallen unter die Definition von Wohnungsnotfällen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.: Sie sind wohnungslos, von Wohnungslosigkeit bedroht oder leben in unzumutbaren Wohnverhältnissen.
Wohnungslose oder obdachlose EU-Migrant*innen sind auf die bezirklichen Sozialämter angewiesen. Obwohl obdachlose Menschen zu den schutzbedürftigsten gesellschaftlichen Gruppen gehören, wird ihnen häufig Unterstützung verweigert, beispielsweise durch einzelne Mitarbeiter*innen der zuständigen Behörden.
Die Unterbringung nach ASOG Berlin zur Gefahrenabwehr muss immer wieder auf dem Rechtsweg erstritten werden. In einzelnen Fällen erkennen Soziale Wohnhilfen Gerichtsbeschlüsse oder Bewilligungsbescheide über den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nicht an und erklären, die Menschen sollten einfach in ihre Herkunftsländer zurückgehen – dies ist Ausdruck von Wohlfahrtschauvinismus, stellt aber auch eine Verletzung des EU-Gleichbehandlungsgebots dar.
Die kostspielige ASOG-Unterbringung ist dabei ein lukratives Geschäftsmodell für Hotels und Pensionen geworden. Für die betroffenen Menschen gibt es dennoch keine Sicherheit, auch wenn sie im Leistungsbezug sind: Durch die schlechte Zahlungsmoral von Jobcentern sind sie immer wieder akut vom Rausschmiss und damit der Obdachlosigkeit bedroht. So sind die Menschen immer wieder enormem Stress ausgesetzt und müssen täglich mehrere Behördengänge erledigen. Das wiederum gefährdet nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern stellt generell die sonst immer wieder behauptete Willkommenskultur der Bundesrepublik in Frage.
Die Sichtbarkeit von obdachlosen Menschen mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Roma-Hintergrund im öffentlichen Raum führt häufig zu aufgeregten medialen und politischen Debatten, die jedoch selten das Wohlergehen der Betroffenen im Sinn haben. Auch in diesen Fällen wird die Verantwortung den Betroffenen zugeschoben und von „freiwilliger Obdachlosigkeit“ gesprochen, die bei Rom*nja kulturell bedingt sei.
Erst vor etwa zwei Jahren wurde in der Politik damit begonnen, nachhaltige Lösungen zu suchen. Zwar fand mittlerweile die Berliner Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe, in deren Rahmen sich auch eine AG zum Thema Unionsbürger*innen gebildet hat, bereits zum zweiten Mal statt. Politisch wird jedoch weiter auf Law und Order gesetzt und nach wie vor im öffentlichen Raum geräumt, so dass die Betroffenen in den nächsten Bezirk weiterziehen. Auch berichten Zeug*innen und Betroffene immer wieder von Grundrechtsverletzungen, wenn etwa bei polizeilichen Räumungen persönliche Besitztümer entwendet oder zerstört werden. Hinzu kommt, dass obdachlose Menschen einer erhöhten Gefahr durch rassistische Übergriffe ausgesetzt sind.
Antidiskriminierungspolitische Gegenstrategien
Es bleibt also zu konstatieren, dass die massive Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt für Menschen mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Roma-Hintergrund existenzielle Konsequenzen hat – von der Ausbeutung durch Vermieter*innen und Hauseigentümer*innen über die Obdachlosigkeit und die Verletzung von Grundrechten bis zur akuten körperlichen Bedrohung.
Mögliche Gegenstrategien sind hinlänglich bekannt. Es braucht deutlich mehr Unterkünfte für wohnungslose Menschen und zwar auch solche, die für Familien geeignet sind und zugänglich für Menschen ohne SGBII- oder SGBXII-Bezug. Besonders gefährdete Personen wie Familien mit Kindern, Schwangere, Menschen in fortgeschrittenen Alter oder erkrankte Menschen sollten sofort nach ASOG untergebracht werden können.
Darüber hinaus fehlt es an einer umfassenden Unterstützung bei der Wohnungssuche, insbesondere die Förderung des Übergangs von der Notunterkunft zur eigenen Wohnung. Kostenlose und bedarfsorientierte Sprachkurse, unabhängige und kostenfreie Beratung zu Bildung und Beruf und Angebote zur Förderung der Bildung und Ausbildung für erwachsene Unionsbürger*innen können darüber hinaus den Arbeitsmarktzugang erleichtern. Letztendlich muss es aber vor allem darum gehen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.