Bei der Podiumsdiskussion in der Heinrich-Böll-Stiftung gab es mehr Kontroverse und Konflikte als Einigung. Gut so. Warum „Das geht gar nicht!“ überhaupt nicht diskutiert wurde und Journalist*innen gar dazu verpflichtet sind, Positionen zu beziehen.
Lebenswirklichkeiten in ihrer Vielzahl sichtbar machen — auf den ersten Blick scheinen der Journalismus und intersektionaler Feminismus hinsichtlich dieses Ziels Hand in Hand zu gehen. Schwieriger wird es, wenn man einen Schritt zurücktritt.
Während der Journalismus die Fremdbeobachtung professionalisiert hat und zu einer sachlichen Meinungsbildung beitragen will, bezieht der intersektionale Feminismus klare Stellung: gegen das Patriarchat, gegen rassistische Strukturen und für die Stärkung von Minderheiten, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind.
Anlässlich der umstrittenen Preisauszeichnung der Karikaturistin Franziska Becker wurde dieses Spannungsfeld besonders in den Sozialen Medien sichtbar: Ein Twitter-Shitstorm, der gezeigt hat, dass Feminist*innen mitnichten am selben Strang ziehen. Oder, dass Feminismus nicht gleich Feminismus ist.
Das nahm die Heinrich-Böll-Stiftung zum Anlass, um einen geweiteten Blick auf das Thema zu werfen: Was bedeutet es, journalistisch sauber zu arbeiten? Zu welchem Anteil sollen und müssen Haltungen und Ansprüche marginalisierter Gruppen Eingang in die öffentliche Debatte finden? Dürfen diese kritisiert werden, und falls ja, wie weit? Wie kann miteinander geredet werden, ohne nur über eine bestimmte Gruppe zu reden? Wie können rassistische Stereotype vermieden werden?
Mit Kübra Gümüşay (Journalistin, Netzaktivistin), Anna Mayrhauser (Chefredakteurin Missy Magazine), Friederike Sittler (Deutschlandradio und Vorsitzende Journalistinnenbund), Konstantina Vassilou-Enz (Journalistin und Geschäftsführerin Neue Deutsche Medienmacher*innen) sowie in der Moderation Franziska Hilfenhaus (Journalistin, u.a. frau.tv) hat die Heinrich-Böll-Stiftung im November 2019 Expertinnen aus dem Journalismus eingeladen, die für eine gemeinsame Sache einstehen und ähnliche Forderungen stellen, wolle man meinen. Doch die Podiumsteilnehmenden waren sich bei weitem nicht immer einig.
Franziska Beckers Karikaturen und der Islam
Ende Juni verlieh der Journalistinnenbund der Cartoonistin Franziska Becker einen Preis für ihr Lebenswerk. Die Hedwig-Dohm-Urkunde soll damit „eine der profiliertesten, journalistisch-feministisch engagierten und erfolgreichen Persönlichkeiten“ ehren, die scharf und pointiert das Zusammenleben zwischen Männern und Frauen unter die Lupe nimmt.
Becker zeichnet seit 1977 für die Frauen-Zeitschrift „Emma“. Insbesondere auf Twitter wurde dann Empörung um die Preisverleihung laut, in deren Zentrum Beckers Darstellung von kopftuchtragenden Frauen stand.
"Emma"-Gründerin und Herausgeberin Alice Schwarzer verteidigte ihre Zeichnerin und bezeichnete die Kritik als „Diffamations-Kampagne“. Auch Becker selbst äußerte sich dazu und nannte die Vorwürfe „absurd“.
Kritiker*innen werfen Schwarzer und Becker vor, ihren feministischen Kampf auf Kosten von Minderheiten zu führen, die in der gesellschaftlichen Machthierarchie ohnehin schon unten sind. Insbesondere wird ihnen antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit vorgeworfen.
Streitendes Miteinander
Ein Fall, der sehr viel Zündstoff bereithält. Es fängt bereits bei den Begrifflichkeiten an: Nicht alle meinen mit „Rassismus“ oder „Feminismus“ dasselbe. Diese fehlende Trennschärfe erschwert die Debatte zusätzlich.
Vorständin der Heinrich-Böll-Stiftung Dr. Ellen Ueberschär erinnert daran, bei solchen Gesprächen nicht das Wesentliche aus den Augen zu verlieren: Wir handeln als Gesellschaft etwas gemeinsam aus. Sie befürchtet eine zu starke Zersplitterung in einzelne Gruppenidentitäten, bei der nur noch subjektive Rechte eingefordert werden.
„Über diese Frage, wie Vielfalt und Diversität unseren öffentlichen Diskurs prägen, wann Diskriminierung und Rassismus beginnen und wann Toleranz in ‚militante Intoleranz‘ umschlägt, müssen wir reden“, lautet ihr Plädoyer.
Die Kontroverse im Fall Franziska Becker spiegelt sich auch auf dem Podium. Konstantina Vassilou-Enz macht darauf aufmerksam, dass die Karikaturen ein Narrativ bedienen, welches von Rechtsextremen kommt: das Bild des islamisierten Deutschlands. Friederike Sittler sieht in den Karikaturen hingegen einen islamismuskritischen Ansatz, der sich aber nicht rein auf den Islam beschränkt, sondern alle Religionen und extreme Positionen kritisiert.
Dabei liefert sie einen wichtigen Impuls: Sittler schaut auf diesen Fall mit ihrer eigenen Wahrnehmung - einem „westlichen, christlichen Blick“. Sie spricht mit einem bestimmten Blickwinkel, und es soll nicht bei einem Blickwinkel bleiben. Sittler geht es um den Journalismus an sich, an das große Ganze, als nur um die Karikaturen.
Kritik an islamistischen Extremist*innen sei legitim, befindet Kübra Gümüşay, auch genügend muslimische Karikaturist*innen seien da bereits tätig gewesen. Doch wenn normale Muslim*innen dann zu Feindbildern und Zielscheiben rechten Hasses werden, müsse unbedingt aufgeschreckt werden. Denn es geht um eine allgemeine Machtfrage: Wer entscheidet, wer „unten“ ist, und was schützenswert?
Dabei gilt es Menschen zu bedenken, die selbst nicht mitsprechen können. Sie erinnert daran, dass die Menschen, die Teil des Meinungsbildungsprozesses sind, nicht den eigenen Kontext und die eigene Position vergessen sollen:„Wir alle haben eine Verantwortung, wenn wir in der Öffentlichkeit sprechen. Die Worte, die wir sprechen, haben Wirkung.“
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Open external content on original siteEs geht nicht um das „ob“, sondern um das „wie“
Auch wenn der Veranstaltungstitel „Das geht gar nicht!“ beinhaltet, steht das für Konstantina Vassilou-Enz gar nicht zur Debatte. „Wir dürfen alles, alles Mögliche, viel freier als hier können wir kaum sein.“ Diese Freiheit komme aber eben mit der Verantwortung einher, Kritik betroffener Menschen und Gruppen anhören und aushalten zu müssen.
Etwas dürfen oder nicht zu dürfen — diese Optionen hält Vassilou-Enz für extrem gefährlich: „Es wirkt, als würde man etwas nicht dürfen — und dem ist nicht so.“ Dass Gegenstimmen von diskriminierten Minderheiten nun mehr in die öffentliche Diskussion einfließen, ist eine positive Entwicklung. Eine Meinung, bei der sich alle auf dem Podium wiederfinden können.
Es stellt sich die Frage nach dem Wie: Wie kann kritisch mit Positionen von gesellschaftlich diskriminierten Menschen umgegangen werden? Oder, wie Moderatorin Franziska Hilfenhaus es zuspitzt — lässt sich eine Meinung bilden, wenn man nicht selbst Teil der marginalisierten Gruppe ist? Für Anna Mayrhauser eine klare Sache: Natürlich, solange die eigene Positionierung und der eigene soziale Hintergrund mitgedacht werden, Stichwort Kontext.
Konstantina Vassilou-Enz sieht diese Selbstreflexion als essentiell für den Beruf als Journalist*in an. Eine solche Sensibilisierung und interkulturelle Kompetenz ist aber keinesfalls mit einer Herkunft in die Wiege gelegt worden, sondern lasse sich trainieren. Sie betont: „Wenn ich eine professionelle Fremdbeobachtung vornehmen will, dann muss ich schon auch verstehen, welche Blickwinkel es gibt.“ Zu einem möglichst vollständigen Bild eines Sachverhalts gehören auch Perspektiven, die man selbst nicht versteht und die dennoch — oder gerade deswegen — Eingang finden sollten.
Sollten nach dieser Logik auch rassistische Meinungen einen Platz bekommen? „Rassismus ist keine Meinung wie jede andere auch“, sagt Konstantina Vassilou-Enz klipp und klar. Allein die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz sollte dies genug begründen. Was nun als rassistisch gewertet wird, ist aber nicht für alle gleich ersichtlich, erinnert Friederike Sittler. Personen bringen unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen mit und es solle idealerweise erklärt werden, welche genauen Aspekte nun rassistisch oder sexistisch seien.
Für Kübra Gümüşay kein fruchtbarer Vorschlag: Es gibt genug Information und Arbeiten dazu, und es müsse bei jeder Begriffsklärung nicht wieder von vorne begonnen werden. Hinter allen Diskriminierungsformen steckt für sie letztlich „ein unverschämter Mangel an Demut“, weil die eigenen Meinungen einer Gruppe als allgemeingültige Ansichten dem Rest der Gesellschaft aufgestülpt werden. Was nun rassistisch oder sexistisch sei, könne nur von den diskriminierten Betroffenen selbst beantwortet werden. Dass solche Perspektiven nicht negiert werden, wäre ein erster Schritt.
Mut, auch mal falsch zu liegen
Was also dem gesamten Mediendiskurs guttun würde? Eine vielfältige Medienlandschaft, die sich auch in den Redaktionsräumen widerspiegelt. Das Öffnen des journalistischen Terrains, wenn sich der Diskurs nur auf einer akademischen Ebene abspielt. Die Bereitschaft, in eine Diskussion zu gehen und offen dafür zu sein, dass man trotz einer vorhandenen Positionierung auch falsch liegen könnte.
Mutet die Veranstaltung anfangs wie eine analoge Verlagerung des Twitter Shitstorms zur Causa Franziska Becker an, hat sich der Fokus im Laufe des Abends in alle Richtungen geöffnet. Auch wenn die Podiumsgäste eher nicht von ihrer Meinung abgewichen sind, sind unzählige Anstöße gesetzt worden, die zeigen, dass alle Problematiken zusammen gedacht werden müssen. Mehr Zugang marginalisierter Gruppen in die Medienhäuser ist ebenso wichtig wie Expert*innenartikel für die Weiterentwicklung der Fachdiskurse. Das können zwar nicht die einzigen Antworten sein, das müssen sie aber auch nicht.
Hier können Sie den Mitschnitt der Diskussion anschauen.