Obwohl in Deutschland jede vierte Person einen sogenannten Migrationshintergrund hat, spiegelt sich die vielfältige Gesellschaft kaum in der deutschen TV- und Filmbranche wieder. Schauspielerin und Filmemacherin Benita Bailey kommentiert diese Schieflage im Kontext der aktuellen Debatten über strukturellen Rassismus und fordert mehr Teilhabe und Repräsentation Schwarzer Filmschaffender.
Seit dem Mord an George Floyd am 25.05.2020 und der Wiederbelebung der #BlackLivesMatter Bewegung ist in Deutschland, aber auch weltweit, die Diskussion um Rassismus und insbesondere strukturellen Rassismus neu entfacht. Afrodeutsche werden in Talkshows und auch von Printmedien zu Interviews eingeladen, um als Expert*innen über ihre Rassismuserfahrungen zu sprechen. Unter ihnen sind viele, die eigentlich andere Berufe haben. So auch viele Menschen, die durch ihren Beruf in der Öffentlichkeit stehen: Künstler*innen zum Beispiel.
Die Fragen werden vornehmlich von Weißen gestellt und als Schwarze Künstler*in befindet man sich plötzlich in der Situation eigene traumatische Erlebnisse zu reproduzieren, statt die Kunst für sich sprechen zu lassen, also die eigentliche Arbeit zu tun.
Toni Morrison hat einmal gesagt: „Die Funktion, die sehr ernste Funktion von Rassismus ist die Ablenkung. Er hält dich davon ab, deine Arbeit zu tun. Er lässt dich immer wieder erklären, warum du so bist. Jemand sagt, dass du keine Sprache hast, und du verbringst 20 Jahre damit zu beweisen, dass du sie hast. Jemand sagt, dass dein Kopf nicht richtig geformt sei, also findest du Wissenschaftler*innen, die an der Tatsache arbeiten, dass er es ist. Jemand sagt, dass du keine Kunst hast, also gräbst du das aus. Jemand sagt, dass du keine Königreiche hast, also schaufelst du das aus. Aber nichts davon ist notwendig. Es wird immer noch eine weitere Sache geben.“
Representation matters: Die deutsche Gesellschaft wird im Film nicht abgebildet
Wie schaut es aber aus damit, einfach so unsere Arbeit zu tun? Können sich afrodeutsche Künstler*innen abseits der aktuellen Debatte auf ihre Arbeit konzentrieren? Schauen wir uns doch einmal den Bereich Film an.
Laut Studie der Bundeszentrale für politische Bildung sind 25,5% der deutschen Bevölkerung Menschen mit Migrationshintergrund. Übertragen heißt das, dass, wenn wir den Fernseher einschalten, jede*r vierte Schauspieler*in Migrationshintergrund haben müsste, im Kino übrigens auch. Dies ist aber nicht der Fall, im Gegenteil: aktuell sind Menschen mit Migrationshintergrund und besonders Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund unterdurchschnittlich repräsentiert. Dies gilt übrigens auch für Menschen mit anderen Diversitätserfahrungen wie beispielsweise Menschen mit Behinderungen oder Menschen der LGBTIQ+ Community. Auch hinter der Kamera sieht es nicht anders aus: weder die Writing-Rooms, noch die Redaktionen oder Regiepositionen sind divers besetzt.
Spätestens seit „Black Panther“ wissen wir, dass ein divers besetzter Film höhere Gewinne bringt. So heißt es am 10.02.2019 im Hollywood Reporter, dass ein Film mit einem Budget über 100 Million Dollar ca. 178 Millionen Dollar mehr Gewinn einbringt, wenn er mindestens 30% divers ist. Selbst aus ökonomischen Gründen wäre es also der einzig richtige Weg, Repräsentation von Menschen mit Diversitätserfahrungen fest in den Deutschen Film zu verankern.
Allein die Schwarze Filmschaffende Community zählt knapp 500 Schwarze Menschen, die in der deutschen Filmbranche professionell tätig sind oder es sein wollen. Auch heute noch heißt es oft, dass es keine oder kaum Schwarze Schauspieler*innen gäbe. Diese Ausrede wird häufig dann benutzt, wenn es zu Vorwürfen über rein weiß besetzte Casts, übrigens nicht nur im Film und Fernsehen, sondern gern auch an Theatern, kommt. Klar ist, dass es in Deutschland laut einer Zählung innerhalb der Schwarzen Filmschaffenden Community beispielsweise mindestens 170 Schwarze weibliche Schauspielerinnen gibt und wahrscheinlich sind es noch viel mehr.
Rassismus in der deutschen Filmindustrie
Nehmen wir also all diese von mir genannten Zahlen zusammen, die ja, wie bereits erwähnt, nur einen Bruchteil aller Menschen mit Diversitätserfahrungen ausmacht, kommt immer wieder die Frage auf:. Warum? Warum ist die deutsche Filmlandschaft immer noch nicht divers?
Und dann kommen wir wieder zurück zum eingangs benannten Rassismus und vor allem zum strukturellem Rassismus. Da dieser in der gesamten deutschen Bevölkerung vorherrscht, tut er es natürlich auch in der deutschen Filmindustrie. Struktureller Rassismus ist ein Problem, das die meisten Länder dieser Welt, wahrscheinlich sogar alle Länder auf irgendeine Art und Weise betrifft.
Deutschland mag oft darauf verweisen, dass andere Länder diese Fehler auch machen, man könnte aber auch auf Länder verweisen, die mit gutem Beispiel voran gehen. So heißt es beispielsweise in den BAFTA (British Academy of Film and Television Arts) Standards des British Film Institutes:
„Vielfalt und Inklusion sind für die BAFTA unglaublich wichtig - sowohl in Bezug auf unsere inneren Strukturen als Organisation, aber auch in der Arbeit, die wir als Verein zur Entwicklung der Filmbranche leisten. Als Verfechter kreativer Exzellenz wollen wir, dass alle talentierten Menschen in der Lage sind, in den Branchen erfolgreich zu sein, unabhängig von ihrem Hintergrund.“
Und weiter heißt es:
„Daten sind enorm wichtig, um Veränderungen herbeizuführen. Wir beobachten unsere Bewerbungsverfahren und unser Publikum, um besser zu verstehen, welche Gruppen unterrepräsentiert sind, und vergleichen unsere Zahlen mit der britischen Bevölkerung und der Industrie. Zu den unterrepräsentierten Gruppen in der Filmindustrie gehören Menschen mit ethnischem Minderheitenhintergrund, Menschen mit Behinderungen, Frauen und LGBT. Dazu gehören auch Menschen aus niedrigeren sozioökonomischen Gruppen und solche von außerhalb Londons.“
Wir brauchen auch in Deutschland mehr Daten
In den letzten Monaten und Wochen scheint auch hier in Deutschland einiges in Bewegung gekommen zu sein. Neben vielen Online-Panels und Webinars, die sich inhaltlich mit Diversität in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft auseinander setzten - Gespräche und Diskussionen, die genauso als Panels in den letzten Jahren auf diversen Filmfestivals und sonstigen Filmevents stattfanden - gibt es nun auch den Vorstoß Aktionspläne umzusetzen.
Ende Mai gab es beispielsweise einen Runden Tisch verschiedener Interessengruppen bestehend aus Menschen mit Diversitätserfahrungen, die sich mit der Deutschen Filmakademie (Vorstand und Geschäftsführung) trafen, um eine strukturelle Veränderung der Akademie voranzutreiben.
Unter dem Zusammenschluss Vielfalt im Film haben sich nun verschiedene Interessenverbände u.a. die Queer Media Society, BAFNET (Berlin Asian Film Network), Leidmedien e.V., Schwarze Filmschaffende und viele andere zusammengeschlossen. Auf der Website heißt es:
„Um langfristige Veränderung zu schaffen, braucht es Daten, um eine Überprüfbarkeit herzustellen. Wie divers ist die deutschsprachige Film- und Fernsehbranche vor und hinter der Kamera? Wer ist wie hier repräsentiert und wer nicht? Welche Ausschlüsse, Diskriminierungserfahrungen und prekäre Verhältnisse gibt es und wie können wir die Filmbranche gerechter gestalten? Mit Deiner Teilnahme an der Befragung Vielfalt im Film können wir diese Fragen beantworten. Auf Basis der Ergebnisse von Vielfalt im Film sollen konkrete Maßnahmen angestoßen werden, um die Entwicklung eines inklusiven Arbeitsumfeldes in der Filmbranche voranzutreiben - damit alle Filmschaffenden und deren vielfältige Erfahrungen, Ideen und Potentiale wertgeschätzt werden.“
Auch eine Online-Befragung namens AFROZENSUS, die seit Frühjahr 2020 läuft, soll zu einer besseren Überprüfbarkeit beitragen. Durch die neu gewonnenen Daten sollen erstmals die Lebensrealitäten, Diskriminierungserfahrungen und Perspektiven Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen erfasst werden und somit ein umfassendes Bild darüber geben, welche Erfahrungen Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland machen, wie sie ihr Leben in Deutschland einschätzen und welche Erwartungen sie an Politik und Gesellschaft stellen. Die Ergebnisse der #AFROZENSUS Onlinebefragung werden auch hilfreich sein für die Sichtbarkeit in der deutschen Filmlandschaft.
Ganz besonders die Intersektionalität bzw. wie sehr Menschen unter Mehrfachdiskriminierung leiden, wird durch diese Umfragen einmal mehr deutlich werden und klare Maßnahmen werden die Konsequenz daraus sein müssen. Doch wer setzt dann diese Maßnahmen um? Letztlich kommen wir zurück zur Entscheidungsebene.
Teilhabe bedeutet Powersharing: Auch die Führungsetagen müssen sich ändern
Die genannten wichtigen Datenerhebungen und Umfragen in allen Ehren; solange wichtige Entscheidungspositionen nicht divers besetzt sind, werden wir auch keine Diversität in den deutschen Filmen finden. Da spreche ich ebenso über die Deutsche Filmakademie, die deutsche Akademie für Fernsehen wie über alle Filmförderungsanstalten. Es geht sowohl um große Produktionshäuser wie die UFA als auch um die Redaktionen sämtlicher deutscher Sender. Die neu erhobenen Daten allein werden nicht ausreichen, wenn sie nicht an eine Umstrukturierung der Führungsetagen gekoppelt sind. Und wieder hätten wir Jahre damit verbracht etwas zu beweisen, was längst sichtbar ist.
Diversität muss bis in die Leitungsebene vordringen. So wie jedes Unternehmen weltweit sich das spätestens jetzt fragen sollte, müssen sich auch alle Institutionen und Firmen der deutschen Filmlandschaft nun der Aufgabe stellen, das eigene Präsidium, den Vorstand, die Geschäftsleitung und die gesamte Belegschaft diverser zu gestalten. Allein durch Powersharing wird es letztlich auch in allen anderen Bereichen zur Teilhabe und Repräsentation kommen. Dies ist natürlich unbequem, denn das heißt auch, dass „alte weiße Männer“ ihren Platz räumen müssen. Wenn wir uns stark machen für eine Quote in allen Bereichen und auf allen Ebenen, dann kommen wir auch nicht mehr umhin, genauso auch für Diversität, Inklusion und Intersektionalität gleichermaßen einzustehen.
Und nur dann wird sich eine Schwarze Künstler*in auch wieder ausschließlich um ihre Arbeit, ihre Kunst kümmern können. Statt Worte in Kommentaren und Interviews über Rassismus stehen am Ende Worte wie in Dr. Maya Angelou’s Gedicht:
And still I rise
„You may write me down in history
With your bitter, twisted lies,
You may trod me in the very dirt
But still, like dust, I'll rise.
Does my sassiness upset you?
Why are you beset with gloom?
’Cause I walk like I've got oil wells
Pumping in my living room.
Just like moons and like suns,
With the certainty of tides,
Just like hopes springing high,
Still I'll rise.
Did you want to see me broken?
Bowed head and lowered eyes?
Shoulders falling down like teardrops,
Weakened by my soulful cries?
Does my haughtiness offend you?
Don't you take it awful hard
’Cause I laugh like I've got gold mines
Diggin’ in my own backyard.
You may shoot me with your words,
You may cut me with your eyes,
You may kill me with your hatefulness,
But still, like air, I’ll rise.
Does my sexiness upset you?
Does it come as a surprise
That I dance like I've got diamonds
At the meeting of my thighs?
Out of the huts of history’s shame
I rise
Up from a past that’s rooted in pain
I rise
I'm a black ocean, leaping and wide,
Welling and swelling I bear in the tide.
Leaving behind nights of terror and fear
I rise
Into a daybreak that’s wondrously clear
I rise
Bringing the gifts that my ancestors gave,
I am the dream and the hope of the slave.
I rise
I rise
I rise.“