Im Zwischenraum von Deutschland und der Türkei

Editorial

Das Dossier "60 Jahre zuhause in Almanya" bietet Raum für künstlerische Perspektiven und literarische Auseinandersetzungen anlässlich des 60. Jahrestags des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei. Hier erklären die Kurator*innen die Hintergründe und Herangehensweise des Dossiers.

Altes Familienfoto von Çağdaş Eren Yüksel bei der Ankunft seiner Oma in Mönchengladbach, 1970
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Familienfoto von Çağdaş Eren Yüksel bei der Ankunft seiner Oma in Mönchen Gladbach, 1970

Die Unterzeichnung des Anwerbeabkommens am 30. Oktober 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei leitete eine neue Ära in der deutsch-türkischen Beziehung ein, in deren Fokus anfänglich nur wirtschaftliche Interessen standen. Deutschland brauchte Arbeitskräfte, um den wirtschaftlichen Aufschwung voranzutreiben und die Türkei konnte diese Arbeitskräfte liefern. Nachdem die ersten Jahre verstrichen waren, machte sich die Erkenntnis breit, dass sich das Konzept der sogenannten Gastarbeiter*innen auf Zeit nicht realisieren ließ, da die Migrant*innen in Deutschland länger blieben. Aus der anfänglichen Zweckgemeinschaft musste sich notgedrungen ein gemeinschaftliches Leben entwickeln und hier rächte sich die Konzeptlosigkeit der Bundesrepublik Deutschland, denn tatsächlich gab es keine weiteren Pläne für den Fall, dass Migrant*innen länger blieben. Gleichzeitig musste der kulturelle Austausch forciert werden, da dieser in den ersten Jahren nach der Ankunft nicht stattgefunden hatte, aber die Migrant*innen nicht nur ihre Koffer mit den nötigsten Kleidungsstücken gepackt hatten, sondern auch ihre Kultur im Gepäck mitbrachten. Die damaligen Versäumnisse in der Integrationspolitik spiegelten sich in den Problemen der nachfolgenden Generationen wider.

Anlässlich des 60-jährigen Jubiläums des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei in diesem Jahr war uns, Safiye Can und Hakan Akҫit, als Kurator*innen des Zwischenraum für Kunst der Heinrich-Böll-Stiftung, die Perspektive von Künstler*innen zur Migrationsgeschichte wichtig. Wir baten Autor*innen und Künstler*innen aus verschiedenen Generationen, ihre Ansichten und persönlichen Erfahrungen in Beiträgen zu schildern. Dabei blieb es den Künstler*innen selbst überlassen, welcher Gattung sie sich bedienen und auf welche Weise sie sich dem Thema nähern. Entstanden ist eine besonders facettenreiche Auswahl an autobiografischen, sozialkritischen sowie auch humoristischen Texten und Gesprächen von und mit Künstler*innen aus drei Generationen, die ihre Leser*innen auf eine Reise – beginnend mit den ersten Jahren der Migration bis in die aktuelle Zeit – begleiten. Sechs Wochen lang, bis zum Jubiläumstag, publizieren wir wöchentlich neue Beiträge und wünschen unseren Leser*innen eine anregende Lektüre.