"Ich kann das schaffen" - Paul Nkamani über seinen Weg nach Europa

Interview

Der Dokumentarfilm „Als Paul über das Meer kam“ zeigt die Fluchtgeschichte von Paul Nkamani aus dem Kamerun nach Europa. Finja Henke hat mit ihm über seine Flucht und sein Leben in Deutschland gesprochen.

lächelnder Mann in Wald
Teaser Bild Untertitel
Paul Nkamani im Camp in Marokko

Finja Henke: Was hast du über Jakob und seine Arbeit gedacht, als du ihn das erste Mal getroffen hast? Ich habe mich gefragt, was man denkt, wenn ein weißer Europäer kommt und sagt: „Ich drehe jetzt einen Film über die Grenzen Europas.“

Paul Nkamani: (Seufzer) Als ich Jakob zum ersten Mal getroffen habe, hatte ich zunächst einmal Angst.  Denn ich wusste nicht, ob er diesen Film dreht, um ihn der Polizei zu zeigen oder aus politischen Gründen. Das Camp ist ein geheimer Ort und es ist nicht erlaubt, dort zu bleiben. Wir haben immer Probleme mit der Polizei gehabt und es konnte jeden Tag passieren, dass sie alles niederbrennen. Deswegen dachten wir, dass Jakob Teil einer Schutzstaffel der marokkanischen Polizei oder von einer NGO sein könnte.

Aus diesem Grund war ich ein bisschen vorsichtig. Dann hat er aber mit mir geredet und gesagt: „Ich mache einen Dokumentarfilm. Ich möchte Europa zeigen, wie die Leute hier sind und warum sie hier sind.“ Da habe ich mir gesagt: Okay, das ist eine Gelegenheit, zu erzählen, wie wir unter diesen schlechten Bedingungen leiden und Europa zu zeigen, dass wir auch Probleme haben. Wir wohnen in dem Wald wie die Tiere und die Europäer meinen: „Warum kommen die Leute hierher zu uns, warum bleiben sie nicht bei euch?“

Paul Nkamani im Camp in Marokko

Wie hast du für dich abgewogen, über das Meer zu kommen und nicht über den Zaun zu klettern?

Als ich noch in meiner Heimat war, hat mir dieser „passeur“ [Schleuser, Anm. d. Red.] von dem Zaun und von der Reise mit dem Schlauchboot erzählt. Aber er hat mir nur von der Gefahr berichtet, über den Zaun zu klettern und nicht von der Gefahr bei dem Weg über das Meer. Er hat mir gesagt, dass die Option mit dem Zaun für die Leute ist, die kein Geld haben. Die Gefahr ist bekannt, aber trotzdem versuchen sie über den Zaun zu kommen.

Wenn man das schafft, ist das Glück. Wer es nicht schafft, muss zurück oder stirbt, weil die marokkanische Polizei keine Order braucht, um zu schießen und auf der anderen Seite ist die guardia civil in Spanien. Oder du kannst dich an dem Stacheldraht ganz schwer verletzen. Da habe ich mir gesagt: Nein, da kann ich nicht mein Leben riskieren. Am besten gehe ich über das Meer. Dann bezahle ich die Reise und kann einfach gehen. So kam es zu meiner Entscheidung.

Du hast dafür noch länger in Algerien arbeiten müssen, um das bezahlen zu können, oder?

Ja. Ich habe zwei Jahre in Algerien und fast ein Jahr in Marokko gelebt. Die Reise von meinem Heimatland nach Marokko dauerte ungefähr drei Wochen. Aber als ich dort ankam, gab es keine Reise über das Meer, weil die Grenze zwischen Marokko und Melilla und die Küste von der marokkanischen Polizei sehr stark bewacht wurden. Ich hatte schon meine Reise bezahlt. Aber ich musste noch warten, warten, warten, warten. Und ich hatte nicht so viel Geld. Ich dachte, die Reise würde kürzer dauern.

Also hattest du gar nicht damit gerechnet, dass du noch zwei Jahre dort bleiben würdest?  

Nein, ich dachte, du kommst einfach, bezahlst deine Reise und gehst sofort.

Warum war dort zu dem Zeitpunkt so viel mehr Polizei als später? War dort später weniger Polizei?

Vergiss nicht, dass die Europäische Union den Grenzschutz finanziert. Wenn Marokko Geld bekommt, dann haben sie mehr Leute, um die Grenzen zu bewachen. Also habe ich gewartet. Meine Familie hat kein Geld und ich habe auch keine Familie in Europa, die mir Geld hätte schicken können. Deswegen bin ich zurück nach Algerien gegangen. Dort gab es viele, viele Baustellen, die Handwerker brauchten, das war eine Gelegenheit für mich. Ich habe viel gearbeitet auf der Baustelle in den zwei Jahren.

Wie hast du das Leben dort erlebt?

Das war sehr, sehr schwer, weil Algerien ein muslimisches Land ist. Algerier mögen keine Christen. Das ist eine lange Geschichte von dem Verhältnis der Muslime zu den Christen dort. Ich bin dort mit falschem Namen geblieben und habe gesagt, ich wäre Muslim. Wir wohnten auf der Baustelle in Zimmern. Puh, wir mussten unter der Kälte leiden. Das ist an der Grenze wie in Europa. Das war kalt, kalt, kalt. Und harte Arbeit. Du musst dort lange, lange arbeiten, um genügend Geld sparen zu können.

Paul Nkamani - Ankunft in Spanien

Wie fühlte sich das an, als du in Europa angekommen bist?

Als ich in Spanien angekommen bin, dachte ich: Oh, kaum zu glauben, ich habe es geschafft. Afrika ist vorbei. Hier habe ich eine gute Unterstützung und kann vielleicht ein neues Leben beginnen. Es gibt Arbeit für alle. Das war so mein Eindruck.

Du sprichst in dem Film darüber, dass du überlegt hast, in welches Land du von Spanien aus gehst. Wie bist du auf Deutschland gekommen? Haben die Gespräche mit Jakob deine Entscheidung beeinflusst?

Mein Ziel war, nach Europa zu kommen. Einfach Europa, egal welches Land. Als ich in Spanien angekommen bin, war ich am Anfang in Tarifa auf einer Gefängnisinsel in Haft und danach bin ich in ein Heim vom Spanischen Roten Kreuz in Granada gegangen. Dort waren die Leute ehrlich und haben gesagt: „Hier in Spanien können Sie nicht lange bleiben. Es gibt keine Arbeit in Spanien. Das Leben hier ist sehr schwer. Am besten ist es für Sie, weiterzufahren in ein anderes Land, wie Frankreich, Deutschland, Schweden, Norwegen oder Belgien.“ Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Dann habe ich an einen Kindheitsfreund von mir gedacht.

Von dem wird auch im Film berichtet, oder?

Richtig, er lebt in Bilbao. Ich bin bei ihm etwa einen Monat geblieben. Er hat in Spanien studiert und als Mechaniker gearbeitet, aber ist nun arbeitslos. Er sagte zu mir, dass das Leben in Spanien sehr schwer ist und ich nicht dableiben kann. Ich sollte lieber weiterfahren nach Belgien oder Schweden oder Norwegen. Der Nachteil sei, dass ich dort niemanden kennen würde und dass es immer besser sei jemanden zu kennen. Deswegen sei es eine gute Gelegenheit, dass ich schon Jakob kenne, sagte mein Freund.

„Du hast ihm viel geholfen für seinen Film. Und er macht viel Geld damit. Du wirst nicht bezahlt, oder? Er kriegt viel Geld für deine Geschichte und du keins. Im Gegenzug kann er dir helfen. Er kommt aus Deutschland und Deutschland ist in Europa im Moment eines der besten Länder zum Leben. Zurzeit gibt es dort viel Arbeit“, hat er gesagt. Aber ich wusste auch, dass in Deutschland auch nicht alles so einfach ist, weil es keinen anderen Weg gibt, um dort zu bleiben, als Asyl zu beantragen.

Paul Nkamani in Spanien

Was waren deine Erwartungen von Deutschland? Wurden sie erfüllt oder wurdest du auch enttäuscht?

Ich wusste da schon, dass Deutschland kein Immigrationsland ist wie Frankreich oder Großbritannien, weil ich ein bisschen deutsche Geschichte in der Schule gelernt habe. Deutschland hat nicht so viele gute Beziehungen aus der Kolonialzeit, wie Frankreich oder Großbritannien.

Jakob sagte zu mir, dass es nicht so einfach ist, Kontakt aufzunehmen, weil die Leute ein bisschen verschlossen sind in Deutschland. Aber ich habe gesagt, ich kann das trotzdem schaffen. Meine Reise war auch nicht so einfach, aber ich habe es geschafft. Warum nicht in Deutschland auch? Ich kann das schaffen.

Aber als ich hierhergekommen bin, war ich trotzdem enttäuscht. Das Verhalten von den Leuten ist nicht so einfach. Die Leute nehmen keinen Kontakt mit Fremden auf. Deutsche vertrauen fremden Leuten nicht so. Sie brauchen immer viel Zeit, um jemanden kennenzulernen und dann kommt das Vertrauen vielleicht später. Damit habe ich auch kein Problem. (Seufzer) Es gibt trotzdem auch unterschiedliche Menschen. Es gibt gute und schlechte. Das ist wie überall.

Wie waren deine Erfahrungen mit den Behörden, LAGeSo, dem BAMF, aber auch der Polizei? Wie erlebst du das Asylverfahren?

Das Asylverfahren ist eine lange, lange Prozedur und ein bisschen kompliziert. Nach meiner Erfahrung sind nur Personen aus den Ländern privilegiert, wo Krieg herrscht. Aber bei mir gibt es zum Beispiel keinen Krieg, sondern nur sehr starke soziale Probleme. Das ist auch sehr schwer, aber vielleicht vergessen Deutsche das.

Es gibt keine richtige Demokratie bei uns, das ist eine Diktatur. Außerdem gibt es viele soziale Probleme, Tribalismus und Korruption. Man kann sich nicht wirklich entwickeln. Nicht nur Menschen aus den Ländern, wo es Krieg gibt sollten eine Chance haben. Ich glaube das ist gut, weil die ein besonderes Problem haben, aber es sollte auch an andere Leute gedacht werden. Nicht nur: „Wie schaffen wir die weg?“.

Wie sind dir die Menschen hier auf den Behörden begegnet?

Viele von ihnen sind unzufrieden, sie sagen einfach: „Was wollen Sie hier? Dies ist kein Land, wo Milch und Honig fließen. Wir haben auch unsere Probleme. Warum sind Sie hierhergekommen? Hier ist kein Gut-Land für alle und wir können nicht alle nehmen.“ Wir haben viele Probleme, erstmal die Flucht und Traumata und dann das zu hören ist nicht so leicht.

Es kommt auch auf die Person an, die man trifft. Es hängt davon ab, ob die Person zum Beispiel von der CDU oder AfD oder SPD oder Linken ist. Das sind unterschiedliche Meinungen. Oder die Leute aus Ostdeutschland oder Süddeutschland oder Westdeutschland, das ist unterschiedliches Verhalten. Das ist Glück, wenn jemand eine Person zum Beispiel aus Köln oder Hamburg trifft. Aber wenn du jemanden zum Beispiel aus Rostock triffst, kannst du das vergessen. Das ist, puh, ein Problem.

Gab es psychologische Betreuungsangebote?

Ja, in Eisenhüttenstadt, der Erstaufnahmeeinrichtung. Es gab dort eine Psychologin. Ich bin einmal zu ihr gegangen und wir haben geredet. Sie hat mir dann ein paar Tabletten gegeben. Ich war sehr stark traumatisiert.

Aber auch jetzt ist noch nicht alles gut, ich fühle mich so voll. Es verändert sich zwar, aber mein Kopf ist noch nicht so… Stress und Traumatisierung sind die ersten Krankheiten von Geflüchteten in Deutschland, denn die Odyssee ist noch nicht zu Ende.

Was sind die größten Schwierigkeiten oder Probleme, mit denen du in Deutschland konfrontiert bist

Rassismus erlebe ich jeden Tag und überall. Ich gehe auf die Arbeit oder die Straße. Das kann dort überall passieren. Diskriminierung findet statt, aber selber kann ich das Verhalten der Leute nicht ändern.

Was kommt nun als Nächstes?

Ein Traum von mir ist eine richtige Ausbildung zu machen. Ich bin hier Pflegehelfer und ich arbeite schon. Ich glaube, im Vergleich zu meinem Niveau vom Studium – ich habe ein Jura- und Politikwissenschaftsstudium angefangen - ist das zu wenig. Ich würde gerne im Pflegebereich weitermachen oder eine Fachkraft werden. Warum nicht.

Paul Nkamani - Ankunft in Frankfurt am Main

Durch den Film habe ich den Eindruck, dass es auf dem Weg nach Europa viel Solidarität unter den Geflüchteten gab.

Wir haben immer versucht, die Leute zu unterstützen oder ihnen zu helfen. Wenn jemand sah, dass der andere keine Kraft mehr hat, haben wir versucht ihm zu helfen. Aber wir hatten keine Medikamente, kein Wasser und kein Essen dort. Was kann man da tun? Da kann man nichts machen. Wir konnten einfach nur beten, beten, beten, beten, beten. Einfach zu Gott beten. Wir haben immer gesagt, vielleicht war das Schicksal. Wir konnten nichts Anderes machen.

Vielen Dank für das Gespräch!  

"Als Paul über das Meer kam"

In dem Film „Als Paul über das Meer kam“ erzählt der Dokumentarfilmer Jakob Preuss die Fluchtgeschichte von Paul Nkamani und berichtet von dessen beschwerlicher Reise nach Europa. Paul Nkamani floh aus seiner Heimat, dem Kamerun, und schlug sich mit Hilfe von Schleppern - oder „Begleitern“, wie sie im Film genannt werden, über die Sahara bis an die Küste Marokkos durch.

Dort lebte er am Rand der spanischen Exklave Melilla zusammen mit vielen anderen Migrant*innen in einem improvisierten Camp im Wald und wartete auf seine Chance, über das Meer an das spanische Festland zu gelangen. Nach der tragischen Bootsüberfahrt, die Paul nur knapp überlebt hat, verbrachte er 2 Monate in Abschiebehaft in Spanien.

Mit Jakobs Hilfe gelangte Paul bis nach Deutschland und lebt nun seit zwei Jahren in Berlin, arbeitet in einem Pflegeheim und wohnt bei Jakobs Eltern. Noch immer wartet er auf die Entscheidung des Bundesamtes für Migration über seinen Asylantrag. Finja Henke hat mit Paul Nkamani über seine Fluchterfahrungen und sein Leben in Deutschland gesprochen.