"Als wäre es in Deutschland so einfach, Deutsch zu sein" - Interview mit Karosh Taha

Interview

Safiye Can und Hakan Akçit im Gespräch mit Karosh Taha über ihr aktuelles Buch und darüber, wie die deutsche Gesellschaft neu definiert werden muss, um Diskriminierungen in der sozialen Sphäre entgegenzutreten.

Foto der Autorin Karosh Taha
Teaser Bild Untertitel
Karosh Taha

Safiye Can und Hakan Akçit: Liebe Karosh, dein Debütroman Beschreibung einer Krabbenwanderung ist 2018 bei Dumont erschienen. Wann reifte in dir die Idee zu deinem Buch?

Karosh Taha: 2012 schrieb ich die Kurzgeschichte, die mir als Grundlage für den Roman gedient hat. Seitdem habe ich mich intensiv mit dem Thema Migration beschäftigt, insbesondere damit, wie sich diese auf das Familiengefüge von Migrant*innen auswirkt. Ich habe über die Jahre Szenen gesammelt, Ideen und Formulierungen, weil ich immer im Hinterkopf hatte, dass ich die Geschichte nicht auserzählt habe.

Nach meinem Studium hatte ich ein paar Monate Zeit und habe mich wieder dem Text gewidmet. Die intensivste Schreibphase war aber 2016 und 2017, als ich im Ref war und eigentlich gar keine Zeit für das Schreiben hatte. Den Roman schrieb ich also während der Freistunden oder eben in der Nacht.

Du hast Englisch und Geschichte auf Lehramt studiert und unterrichtest in Essen. Gab es nach deiner Romanpublikation Feedback aus dem Lehrerkollegium oder den Schulklassen?

Von den Kolleg*innen, die das Buch gelesen haben, gab es ausschließlich positives Feedback, das macht mich sehr glücklich. Die Schüler*innen sind immer sehr interessiert, wenn ich vom Literaturbetrieb erzähle – bis jetzt habe ich aber kein Schülerfeedback bekommen – 22 Euro sind doch eine stolze Summe für Schüler*innen, umso glücklicher bin ich, dass im Frühjahr die Taschenbuchausgabe rauskommt.

In deinem Roman beschreibst du das Leben der Protagonisten in einer abgeschotteten Welt. Im Mikrokosmos des Hochhauses versuchen die Bewohner ihre Identität und die Erinnerungen an die alte Heimat zu bewahren. Aber der angestrebte Schutz vor der Außenwelt ist auch gleichzeitig ein Gefängnis. Ist dies das Dilemma einer sogenannten Parallelgesellschaft?

Ich fände es wichtig, den Begriff Parallelgesellschaft nicht nur im Kontext von Migrant*innen zu erwähnen. Wenn man konsequent sein möchte, müsste er auf alle Schichten angewandt werden. Das Thema müsste viel präsenter sein in den Medien, dann würde man auch weniger von Abschottung sprechen. Das ist kein aktiver Prozess – diese sogenannten Migrantenviertel sind mitunter ein Ergebnis von Rassismus auf dem Wohnungsmarkt – Migrant*innen sind nicht in allen Stadtteilen willkommen, das merkt man bei Auswahlgesprächen, wenn man überhaupt eingeladen wird. Dass man in gewissen Stadtteilen nicht willkommen ist, spürt man regelrecht – sei es durch Blicke oder die herablassende Ansprache. Ich habe lange Zeit geglaubt, das würde ich mir einbilden oder ich wäre zu sensibel. Aber wenn so viele Freund*innen und Bekannte ähnliche Erfahrungen machen, bildet sich ein Muster heraus, das seit Jahren immer deutlichere Formen annimmt.

Die Autorin Karosh Taha wurde 1987 in der kurdischen Kleinstadt Zaxo im Irak geboren. Seit 1997 lebt und arbeitet sie im Ruhrgebiet. Sie hat an der Universität Duisburg-Essen sowie in Kansas/USA Anglistik und Geschichte auf Lehramt studiert. Während des Studiums wurde sie mit einem Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung gefördert. Für ihr Werk erhielt Karosh Taha 2018 den Förderpreis des Landes NRW.

Ihr Debütroman erschien unter dem Titel Beschreibung einer Krabbenwanderung am 12. März 2018 beim DuMont Buchverlag.

Hier finden Sie eine Leseprobe.

Gleichzeitig gibt es aber auch den Wunsch, so nah wie möglich mit Gleichgesinnten zu leben – dieser Wunsch ist universell, aber er ist nur dann verwerflich, so meine Beobachtung, wenn es sich um Migrant*innen handelt, weil man ihnen daraus den Vorwurf machen kann, sich abschotten zu wollen, sich nicht anpassen zu wollen – als wäre es in Deutschland so einfach, Deutsch zu sein. Mir war es aber gleichzeitig wichtig, meine eigene Community zu kritisieren, die Freiheit junger Menschen nicht unter dem Deckmantel der Tradition zu beschneiden. Jungen Menschen, die bikulturell aufgewachsen sind, wird es sehr schwer gemacht, die eigene Community zu kritisieren, ihre Herangehensweise zu hinterfragen, weil von allen Seiten diese Community angegriffen wird und man als Teil dieser Gruppe automatisch in die Defensive geht, um ein Gegengewicht zu bilden.

Ich hatte vor der Veröffentlichung des Romans Angst, dass man mir daraus einen Strick dreht, weil die Geschichte so hart mit den Kurd*innen ins Gericht geht. Aber mir war der Dialog mit jungen Migrant*innen wichtiger als die Angst dafür kritisiert zu werden, den Rechten Futter zu geben.   

Sanaa sagt: „Ich fühle mich erschöpft wie Asija und gehetzt wie Nasser, mein Körper ist beladen mit Erinnerungen, Geschichten und Flüchen, er muss entrümpelt werden, damit ich weiterkomme, damit ich in der Lage bin, Adnan aufzunehmen.“, ist dieses Abwerfen von Ballast aus der alten Heimat die einzige Möglichkeit, um in der neuen anzukommen?

Nein, ich glaube nicht, aber das hat Sanaa in dem Moment noch nicht begriffen. Sanaa ahnt noch gar nicht, wie stark sie ist und mit dem Wort entrümpeln wird impliziert, dass eben ihre Erinnerung, ihre Geschichte Ballast ist, aber dass diese Geschichte eben auch durch Teilen und immer wieder erzählen und reflektieren dazu beitragen kann, dass sie zu einer starken Persönlichkeit wird, das ist ihr noch nicht klar. Die Erinnerung – ob schön oder schmerzhaft – kann auch lähmen, weil man durch die ständige Erinnerung in einem Limbus zwischen Gegenwart und Vergangenheit lebt. 

Du bist mit neun Jahren mit deiner Familie aus dem Irak nach Deutschland emigriert. Kannst du dich daran erinnern, wie du an deinem ersten Schultag in Deutschland aufgenommen wurdest? Und hast du Rassismus, das Erwachsenenalter miteingeschlossen, erfahren müssen?

Mein erster Schultag in Deutschland war eigenartig, weil ich in eine Gruppe mit anderen kurdischen Kindern gesteckt wurde – gewissermaßen in einen Schutzraum, bis ich einige Worte Deutsch sprechen konnte, und dann durfte ich in eine reguläre Klasse. Als Kurdin erfuhr ich durch die türkischsprachigen Mitschüler*innen Diskriminierung und als Migrantin durch die Mehrheitsgesellschaft, immer wieder. Das fängt mit Kleinigkeiten an, wie die die Falschschreibung meines Namens bis hin zu der Empfehlung einer Sachbearbeiterin beim Ausländeramt, ich sollte doch in einen Karnevalsverein eintreten, um meine Integrationsbemühungen zu zeigen.

Am schwierigsten wird es allerdings, wenn Diskriminierung in der sozialen Sphäre passiert. Als Lehrerin wurde ich von einer Kollegin, die mich hätte kennen müssen, weil ich seit knapp zwei Jahren in dem Lehrerkollegium mitwirkte, mit der älteren Schwester eines ihrer „Flüchtlingskinder“ verwechselt. Ich stand mit offenem Mund vor ihr und wusste nicht, wie ich in dem Moment reagieren soll. Ein Kollege, der das Ganze mitbekommen hat, hat sie darauf hingewiesen, dass ich Frau Taha bin. Sie hat sich entschuldigt und das war ihr sehr peinlich. Ich glaube nicht, dass sie es aus Bösartigkeit gemacht hat, aber dieses Beispiel, und ich kenne viele solcher Fälle von anderen Kolleg*innen mit Migrationshintergrund, zeigt, dass wir in vielen Kontexten als nicht dazugehörig wahrgenommen werden.

Tief drin im Bewusstsein des Biodeutschen ist noch nicht angekommen, dass die deutsche Gesellschaft – auch vom Aussehen her – neu definiert werden muss. Manchmal möchte ich die Menschen schütteln und ihnen sagen, es ist 2018, komm damit klar, dass die Welt globalisiert ist, akzeptiere die Realität, wie sie ist und dass sie sich auch in den nächsten zehn Jahren verändern wird.

Parteien wie die AfD punkten mit rechtspopulistischer Propaganda und schüren Ängste vor Migranten und Flüchtlingen. Wie kann und sollte man dem deiner Meinung nach entgegnen?

Die Kolumne Der üblichste Verdächtige von Frida Thurm auf Zeit Online zeigt gut auf, wie sehr die Medien daran beteiligt sind, dass diese Ängste unterfüttert werden. Insbesondere Onlinemedien, weil sie genau wissen, dass die Schlagzeile: Leiche einer 17-Jährigen in einer Flüchtlingsunterkunft gelikt, geteilt, aufgerufen wird. Es handelte sich aber tatsächlich um eine städtische Unterkunft, wo deutsche und geflüchtete Menschen untergebracht werden. Der Verdächtige hatte einen deutschen und kenianischen Pass, aber das ist für AfDler nicht mehr relevant – das Wort Flüchtling ist schon gefallen, hat ihr Vorurteil bestätigt und bleibt im Gedächtnis dieser Menschen.

Es wäre schön, wenn Medien ihre Verantwortung der Berichterstattung ernst nehmen und ihnen die Tragweite ihrer Wortwahl bewusst ist.

Die letzte Frage an dich, liebe Karosh: Mit welcher bekannten Persönlichkeit würdest du gerne einen Kaffee trinken?

Mit Toni Morrison oder Sandra Cisneros oder Zadie Smith. Ich habe bei diesen Autorinnen das Gefühl, sie denken immer drei Schritte weiter als der Durchschnitt.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führten Safiye Can und Hakan Akçit im Dezember 2018.