Dr. Joy A. Alemazung kam Ende der 1990er zum Studium nach Deutschland. 2021 wurde er in Heubach zu Deutschlands erstem Schwarzen Stadtoberhaupt gewählt. Im Interview spricht der CDU-Politiker über seinen Weg in die Kommunalpolitik, die Gründung der Vereinigung Mandatsträger*innen Afrikanischer Abstammung e.V. und die Frage, wie Parteien für marginalisierte Gruppen zugänglicher werden können.
Mehret Haile-Mariam: Herr Alemazung, Sie kamen Ende der 1990er Jahre zum Studium nach Deutschland. Wie haben Sie Ihren Weg in die Kommunalpolitik gefunden?
Joy A. Alemazung: Ich fand meinen Weg in die Kommunalpolitik über mein bürgerschaftliches Engagement. Das kommt daher, dass mein Vater sich immer schon sehr stark in unserer Gemeinde in Kamerun, wo ich herkomme, eingebracht hat. Er war Schuldirektor mit einem starken christlichen Glauben und allein deswegen war er gut darin, schnell Zugänge zu den Menschen in unserer Gemeinde zu finden. Durch sein selbstloses Engagement für die Gesellschaft stand er nicht nur in engem Kontakt mit Menschen aus der Zivilgesellschaft, sondern auch aus der Politik. Er hat mich und meine Geschwister immer miteingebunden. So bin ich aufgewachsen.
Als ich dann Ende der 1990er Jahre zum Studium nach Deutschland kam, habe ich schnell gemerkt, dass ehrenamtliches Engagement auch den Menschen hier sehr wichtig ist. Wenn ich mich als Vater z.B. für ein besseres Schulsystem für meine Kinder und die nachfolgenden Generationen einsetzen möchte, dann mache ich das in meiner Kommune. Möchte ich mich für den Vertrieb fair gehandelter Produkte einbringen, tue ich das auch in meiner Kommune. Das Leben findet in den Kommunen statt. Ich möchte mitgestalten und mich selbstlos für die Menschen in meiner Gemeinde einsetzen. Aus diesem Grund war ich immer ehrenamtlich engagiert und bin es auch heute noch, egal ob im Fußballverein, im Kulturverein oder in der Kirchengemeinde. Irgendwann kam ich dann an den Punkt, dass ich für mich entschieden habe, dass ich mein ehrenamtliches Engagement mit exekutiver Macht verbinden möchte. Um so Dinge auch auf politischer Ebene bewirken zu können.
Wie war der Einstieg in die Kommunalpolitik für Sie? Sind Sie in Ihrer politischen Laufbahn auf Hürden oder Barrieren gestoßen?
Ich wurde kurz nach meinem Parteibeitritt in den Vorstand gewählt. Ich habe eine gewaltige Unterstützung von den Menschen in der Partei erfahren. Deswegen hoffe ich, dass die CDU auch anderswo so ist, wie ich sie in unserem Kreis erlebe. Natürlich kamen auch Zweifel auf. Sie haben sicherlich die Ergebnisse der EU-Studie „Being Black in the EU“ gesehen, die vor kurzem von der Europäischen Agentur für Grundrechte veröffentlicht wurden. Deutschland hat bei einer Umfrage unter Menschen afrikanischer Herkunft in Bezug auf ihre Rassismuserfahrungen in EU-Staaten am schlechtesten abgeschnitten. Als Schwarzer Politiker habe ich mich gefragt, ob ich überhaupt den Rückhalt habe, den ich brauche, um gewählt zu werden. Aber durch mein ehrenamtliches Engagement war ich mittendrin in der Kommune und nah bei den Menschen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass eine Möglichkeit Rassismus zu überwinden in der Begegnung mit Menschen steckt. Denn durch den Kontakt zu Menschen lassen sich Vorurteile abbauen. Wenn Menschen sehen, dass sich jemand in der Gemeinde einbringt und engagiert ist, dann verändern sich ihre Ansichten zu ihm. Ich habe es selbst erlebt. Und das hat mich dann auch dazu ermutigt zu kandidieren, weil ich gesehen habe, wie herzlich ich aufgenommen wurde.
Deutschland ist ein vielfältiges Einwanderungsland, doch in den Parlamenten wird diese Vielfalt nach wie vor nicht angemessen abgebildet. Warum sind vielfältige Repräsentation und politische Teilhabe wichtig für die Demokratie?
Repräsentation ist wichtig, weil sie mehr und diversere Perspektiven bedeutet. Wenn z.B. über Fragen entschieden wird, die Kinder betreffen und ich weder Vater noch Mutter bin, dann kann es sein, dass ich die Dinge anders sehe. Ich kann die Perspektiven der Eltern nur so gut vertreten wie ich emphatisch bin und mich in ihre Situation hineindenken kann. Das geht auch Gott sei Dank. Es wird aber nie damit gleichzusetzen sein, selbst ein Elternteil zu sein. Diese Logik lässt sich auf viele Themen übertragen. Natürlich gibt es Menschen, die argumentieren würden, dass sie die Interessen von Betroffenen vertreten können, ohne die Erfahrungen dieser Menschen zu teilen. Es geht mir auch nicht darum, dass Politiker alle menschlichen Erfahrungen selbst machen müssen, aber sie müssen diese Menschen hören und ihre Erfahrungen in ihren politischen Entscheidungen mitdenken. Das gilt auch für Menschen die z.B. Rassismus erfahren, auch sie brauchen Menschen in der Politik, die sie und ihre Interessen vertreten.
Was können Parteien aus Ihrer Sicht dazu beitragen, dass marginalisierte Gruppen besser in der Politik repräsentiert werden?
Ich glaube, dass alle Parteien in Deutschland insbesondere für Migranten zugänglicher werden müssen. Das, was sie sagen und das, was sie tun, ist häufig sehr unterschiedlich. Wenn ich Menschen gewinnen möchte, muss ich ihnen Perspektiven aufzeigen. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Einer der vielen Gründe, weshalb ich gemeinsam mit anderen Schwarzen Mandatsträgern die Vereinigung Mandatsträger*innen Afrikanischer Abstammung e.V. initiiert habe. Ich bereitete einen Satzungsentwurf vor und mobilisierte Schwarze Politiker afrikanischer Abstammung in ganz Deutschland. Damals war ich selbst noch kein Mandatsträger. Mittlerweile sind Schwarze Politikerinnen und Politiker aus allen Bereichen Teil der Vereinigung, angefangen bei Gründungsmitglied MdBB Elombo Bolayela über den Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby bis hin zur Europaabgeordneten Pierrette Herzberger-Fofana. Wir haben uns für die Gründung der Organisation eingesetzt, weil wir der Meinung waren, dass je stärker unterrepräsentierte Gruppen in der Politik vertreten sind, desto stärker ist letztendlich unsere Demokratie.
Und was können Parteien konkret tun, um zugänglicher zu werden?
Wir brauchen mehr Plattformen innerhalb des bestehenden Parteiensystems, um diese Menschen aufzufangen. Ähnliche Projekte wie die Vereinigung Mandatsträger*innen Afrikanischer Abstammung e.V. könnte es auch auf lokaler Ebene geben. Die Parteien müssen Akzente setzen und die kompetenten und engagierten Menschen in ihren Reihen unterstützen. Außerdem müssen wir unterrepräsentierte Gruppen gezielt ansprechen, etwa über Mentorenprogramme. Ich appelliere an die Parteien, eigene Programme wie das HeForShe Deutschland Programm von UN Women zu etablieren und sich so z.B. für Geschlechtergerechtigkeit in der Parteipolitik einzusetzen. Für Heubach möchte ich außerdem, nach dem Vorbild des neu gegründeten Jugendparlaments, Maßnahmen zur Förderung der politischen Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund anstoßen. Das Jugendparlament hat eine politische Bildungsfunktion und soll Jugendliche in Heubach politisch begeistern und sie dazu motivieren eigenverantwortlich Projekte umzusetzen. Ich möchte auch für Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund einen Raum schaffen, wo sie zusammenkommen können. Ich glaube, das setzt dann auch wichtige Anreize, um sie als Gemeinderatsmitglieder zu gewinnen. Gerade den Menschen, die aus verschiedensten Gründen benachteiligt werden, rate ich sich in ihren Gemeinden zu engagieren und diese mitzugestalten.
Die Vielfaltsstudie der Heinrich-Böll-Stiftung hat ergeben, dass der Anteil von Mandatsträger*innen mit Migrationsgeschichte in der Kommunalpolitik – mit Ausnahme der Freien Wähler – bei der CDU und CSU am geringsten ist. Wie erklären Sie sich diesen Umstand?
In der Öffentlichkeit sehen viele Migranten die CDU als eine sehr konservative Partei an, vor allem mit Blick auf ihre Migrationspolitik. Und leider haben sie meiner Meinung nach auch ein recht negatives und falsches Bild vom Konservatismus. Sie glauben, dass die CDU wenig Erfahrung mit Migranten hat und dementsprechend auch nicht offen sei für sie. Wie gesagt, das ist Gott sei Dank ein falsches Bild.
Was hat Sie persönlich zur CDU geführt?
Ich bin noch gar nicht so lange Mitglied, sondern erst seit 2020. Wenn ich vor 2016 in die Politik gegangen wäre, wäre ich jetzt wahrscheinlich SPD-Mitglied. Ich habe mich für die CDU entschieden, weil ich 2016 zu einer Fortbildung bei den Vereinten Nationen war. Es ging um die Agenda 2030 und die Umsetzung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung auf kommunaler Ebene. Es war eine Fortbildung im Rahmen meiner Tätigkeit bei Engagement Global gGmbH, einer Durchführungsorganisation des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Nach der Fortbildung habe ich mir die Parteien nochmal detaillierter angeschaut und das Programm der CDU hat mich überzeugt. Es ging nicht nur um meine christlichen Werte, sondern vor allem auch um die inhaltlichen Positionen der Partei und ihre Grundlagen. Hierzu gehört auch das christliche Selbstverständnis in Bezug auf die Bewahrung der Schöpfung und dem Dreiklang von Mensch, Natur und Wirtschaft – den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit, wie es schon von den Gründungsvätern Andreas Hermes und Konrad Adenauer gelebt wurde.
Viele Politiker*innen, insbesondere auf kommunaler Ebene, berichten zunehmend von Anfeindungen und Aggressionen. Auf das Wahlkreisbüro von MdB Karamba Diaby wurde Mitte dieses Jahres erneut ein Anschlag verübt. Erleben Sie als Schwarzer Bürgermeister auch Anfeindungen?
Klar erlebe ich auch Anfeindungen. Ich bin da keine Ausnahme. Sie sind aber zum Glück nicht so extrem wie im Fall von Herrn Diaby.
Wie gehen Sie damit um?
Ich versuche trotzdem offen auf alle Menschen zuzugehen, unabhängig davon, wie sie zu mir als Kommunalpolitiker stehen. Es ist mir wichtig ihnen zu zeigen, dass ich als ihr Bürgermeister für sie zuständig bin und diese Aufgabe ernst nehme, egal ob sie mich unterstützen oder nicht, egal ob sie mich gewählt haben oder nicht. Ich merke, je empathischer man ist, umso besser kann man Menschen erreichen und verstehen. Wenn ich einem Menschen zurückhaltend begegne, dann ist die Begegnung anders, als wenn ich mich ihm gegenüber offen gebe. Egal ob die Person mir gegenüber Vorurteile hat, ob aus rassistischen oder anderen Gründen. Menschen merken sowas, sie merken, dass ich Vorbehalten nicht mit Ablehnung oder Zurückhaltung begegne. Das hat auch mit meinem christlichen Glauben und meinen christlichen Werten zu tun. Mein Glaube spielt eine wichtige Rolle in meinem Leben und in meiner Arbeit. Er basiert darauf, dass ich meinen Nächsten liebe, unabhängig davon, wie er zu mir steht. Ich habe viele Menschen getroffen, die mir gegenüber skeptisch waren, aber ihre Meinung geändert haben, weil sie merkten: Dieser Mann ist für mich da und setzt sich für meine Interessen ein.
Auch junge Menschen sind in der Kommunalpolitik unterrepräsentiert. Welchen Rat haben Sie für Jugendliche und junge Erwachsene, die sich kommunalpolitisch engagieren wollen?
Bringt euch in euren Gemeinden ein und engagiert euch in euren Herzensprojekten. Gründet, wenn es sein muss, eigene Projekte und geht die Themen an, die euch wichtig sind. Wenn mir Jugendliche aus meiner Gemeinde schreiben, weil sie sich z.B. für den Klimaschutz einsetzen möchten, dann unterstütze ich es, ohne zu zögern. Ich setze mich dafür ein, dass sie Räumlichkeiten haben, um sich zu treffen oder unterstütze sie bei der Umsetzung ihrer Ideen. Geht auf eure Kommunalpolitiker zu und bindet sie ein. Ich bin mir sicher, dass alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sich darüber freuen, wenn Jugendliche bzw. Menschen mit Migrationshintergrund auf sie zukommen und sich einbringen wollen mit ihrem Engagement und ihren Ideen. Ehrenamtliches Engagement ist für mich der Schlüssel, um aktiver Teil der Gesellschaft zu werden und um in die Kommunalpolitik einzusteigen.
Vielen Dank!