Dossier

Diversität und Kindheit

Frühkindliche Bildung, Vielfalt und Inklusion

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Begriffe und Konzepte

Der Begriff „Inklusion“ ist derzeit in aller Munde, vor allem in bildungspolitischen Diskussionen. Die Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention hat erneute Diskussionen um Fragen der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Bildungseinrichtungen hervorgerufen. Dies gilt auch für den Bereich der frühkindlichen Bildung. Erweitert gedacht berührt das Konzept der Inklusion allerdings nicht nur Kinder mit Behinderungen, sondern alle Kinder mit ihren unterschiedlichen Diversitätsmerkmalen.

„Vielfalt“ scheint inzwischen fast ein Modewort geworden zu sein in Deutschland, das noch bis vor wenigen Jahren abgestritten hat ein Einwanderungsland zu sein. Ob „Charta der Vielfalt“ oder „Vielfalt tut gut!“ - mit einem Mal steht das positive Potential von Heterogenität im Vordergrund. Dies ist einerseits zu begrüßen, denn oftmals herrscht nach wie vor eine Defizitperspektive vor, gerade beim Thema Migration. Andererseits gerät aber häufig aus dem Blick, dass Menschen auf Grund eines Diversitätsmerkmales (oder mehrerer) benachteiligt und diskriminiert werden, auch in Bildungseinrichtungen.  

Zunächst ist es also sinnvoll, sich einige Begriffe, mit ihnen verbundene Konzepte und die (rechtlichen) Rahmenbedingungen näher anzusehen. Was ist eigentlich gemeint mit Begriffen wie „Diversität“, wie verhalten sich „Differenz“ und „Gleichheit“ zueinander? Hier greifen menschen- und kinderrechtliche Aspekte ineinander genauso wie die Antidiskriminierungsgesetzgebung. 

Internationale Perspektiven

Länder, die sich traditionell eher als Einwanderungsland sehen, beschäftigen sich schon länger mit pädagogischen Konzepten zum Umgang mit Diversität. Dies gilt vor allem für den angloamerikanischen Raum. Das Projekt KINDERWELTEN hat den Anti-Bias-Ansatz aus Kalifornien für die praktische Arbeit in Kindertagesstätten adaptiert. "Auch der „Index für Inklusion“ aus Großbritannien, für die Schule und für die frühkindliche Bildung entwickelt, beeinflusst seit einigen Jahren die Debatte in Deutschland, vor allem im Kontext Schulentwicklung."

Bereits vor zwei Jahrzehnten entstand in Neuseeland ein inklusives Curriculum für die Arbeit mit kleinen Kindern in unterschiedlichen Einrichtungen. Es ist Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen Bildungsorganisationen der Maori und Nicht-Maori, also der hauptsächlich europäischen Immigrant_innen, aber auch Bevölkerungsgruppen der Pazifischen Inseln und des asiatischen Raumes.

In Europa engagiert sich das Netzwerk DECET für Wertschätzung von Diversität in der frühkindlichen Bildung und für eine demokratische frühkindliche Bildung. DECET ist die Abkürzung für „Diversity in Early Childhood Education and Care“. Das Netzwerk organisiert Austausch zwischen den Mitgliedern und publiziert Material für die praktische pädagogische Arbeit. Eine jüngere Publikation ist die Broschüre „Diversity and Social Inclusion. Exploring Competences for Professional Practice in Early Childhood Education and Care“.

Ausbildung und Personalentwicklung

Die Anforderungen an Erzieherinnen und Erzieher sind in den letzten Jahren gestiegen, wenn auch nicht im gleichen Maße wie die gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung ihrer Arbeit. Kitas als Bildungseinrichtungen spielen in einer von zunehmender Heterogenität geprägten Gesellschaft eine besondere Rolle. Um alle Kinder möglichst gleichermaßen von den Ressourcen einer Kindertagesstätte profitieren lassen zu können, braucht es Kompetenzen im Umgang mit Diversität. Dies sollte bereits in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Erzieher_innen berücksichtigt werden.

Die Ausbildungswege zur Erzieher_in und die Lehrinhalte in den einzelnen Bundesländern variieren stark. Was beispielsweise das Thema „Inklusion“ betrifft, so hat Rolf Janssen auf einer GEW-Tagung gezeigt, dass es in den Rahmenplänen bundesweit keine einheitlichen Standards gibt. Geschweige denn, dass „Inklusion“ durchgängig Thema wäre. Anne-Dore Stein, Professorin für Inclusive Education an der Evangelischen Hochschule Darmstadt, betont, dass Engagement für „inklusive Strukturen“ in „einer ausgrenzenden Gesellschaft“ für Studierende bedeutet, „am und um Widerspruch“ zu lernen.

Unabhängig davon, ob die Ausbildung an einer Erzieherfachschule oder einer Fachakademie, an einer Universität oder berufsbegleitend stattfindet, die Reflexion der eigenen Haltungen und deren Effekte auf die Arbeit mit Kindern, Eltern und Kolleg_innen wird zu einer Schlüsselkompetenz.

Auf der strukturellen Ebene stellt sich zudem die Frage, wie die Kita-Teams selbst heterogener werden können, wie Träger zum Beispiel Kolleg_innen mit Migrationsgeschichte oder Männer für die Arbeit in der frühkindlichen Bildung gewinnen können. Hier gilt es Zugangsbarrieren zu erkennen und neue Strategien zu entwickeln.

Dimensionen der Diversität

Unterschiedliche Diversitätsmerkmale können das Leben von Kindern und ihren Familien beeinflussen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wendet sich gegen Diskriminierung auf Grund des Geschlechts, der Herkunft oder Hautfarbe, des Alters, von Behinderung, der Weltanschauung, der Religion oder der sexuellen Orientierung. Wenn es um den gleichberechtigten Zugang zu Bildung geht, können noch andere Faktoren eine Rolle spielen.

Armut zum Beispiel ist ein Aspekt, der für soziale Inklusion ein großes Hindernis sein kann. Überdurchschnittlich viele Kinder in Deutschland sind von Armut betroffen. Dies hat eine Langzeitwirkung auf ihre Bildungskarrieren und ihre Partizipation an der Gesellschaft. Kitas sind hier in besonderer Weise gefragt, wenn sie präventiv und stärkend für betroffene Kinder arbeiten wollen. 

Auch der Begriff „Familie“ steht inzwischen für ganz unterschiedliche Lebensformen jenseits der bürgerlichen Kleinfamilie. Dementsprechend variieren die Lebenswirklichkeiten der Kinder und ihrer Familien, sind Alleinerziehende und Patchwork-Familien ebenso eine Familienform wie „Regenbogenfamilien“. Jenseits von überkommenen Normalitätsvorstellungen alle Familien gleichberechtigt zu behandeln, sollte auch zu einem inklusiven Selbstverständnis von Kitas gehören. 

Hintergrundwissen, Selbstreflexion, ein sensibler Blick und manchmal auch spezielle Kompetenzen können eine gute Grundlage für eine inklusive Frühpädagogik bilden.