Drehbuchautorin und Regisseurin Bahar Ebrahim sprach mit Safiye Can und Hakan Akçit über ihren Film „16 Frauen“, die Welt als Ausgangspunkt für Dokumentarfilme und den Menschen als das wichtigste Element im Film.
Safiye Can und Hakan Akçit: Liebe Bahar, du bist Regisseurin und Drehbuchautorin. Nach deinem Abitur bist du von Teheran nach Deutschland ausgewandert, um Pharmazie zu studieren. Wie bist du beim Film gelandet?
Bahar Ebrahim: Film und Pharmazie sind Lichtjahre voneinander entfernt. Film war immer ein Freund der Familie. Mein Vater war Regisseur und Schreiben war seine Kunst. Meine Mutter ist eine Künstlerin und Farben sind ihre Welt. Ich bin zwischen Menschen der „Phantasie“ und Menschen der „Realität“ aufgewachsen und das begann schon mit dem Wunsch meines Großvaters: mein Vater hätte besser Pharmazie studieren sollen.
Der studierte aber lieber Film und Regie. So begleitete mich die Stimme meines Opas sogar bis nach Deutschland. Ich fing an, Pharmazie zu studieren, brach mein Studium aber nach sechs Semestern aufgrund meiner Liebe zum Film ab. Heute würde ich meinen Vater eher als Regie-Konkurrenz ansehen, wenn er noch am Leben wäre.
Die Protagonisten deiner Filme Kinder sind Engel und Forgiveness sind Kinder. Welcher besonderen Herausforderung stellt man sich bei der Arbeit mit jungen Menschen?
Kinder sind interessante kleine Menschen. Sie bringen Motivation, Kreativität und Vorschläge mit. Natürlich scheint nicht immer die Sonne – zum Beispiel, wenn Kinder nicht mehr spielen möchten, dann ist Feierabend. Die Jungs in Kinder sind Engel und Forgiveness standen zum ersten Mal in einer Hauptrolle vor der Kamera und haben sehr schön und glaubwürdig gespielt. Die Dreharbeiten mit Laien haben meistens einen anderen Ablauf. Es macht Sinn, einen Menschen mit einem der Rolle ähnlichen Charakter zu finden, jemanden, der die Filmfigur sehr gut versteht und sie freiwillig verkörpern will. Danach entwickle ich meine Idee gemäß der Eigenart dieser Person weiter.
Befehle geben und ein konzentriertes Gesicht am Set zu haben, kann jedes Kind heulend zum Wegrennen bringen. Kinder haben eine andere Haltung zum Leben. Für sie kann alles ganz einfach, ganz unkompliziert sein. Sie haben meistens keine Ängste und machen sich keinen Kopf darüber, was Leute über sie denken würden. Ich bin immer begeistert, wenn ich eine Frage stelle und sie mir antworten. Sie sind echt, hundert Prozent original! Und das liebe ich.
Die Dreharbeiten können sehr angenehm sein und leicht vorankommen, wenn man sie spielen lässt. Und das ist nur möglich, wenn ich selbst mitspiele und glaubwürdig zeige, dass wir beide gleich wichtig sind. Ich kann mit einem schauspielerisch unerfahrenen Kind einen schönen Film drehen, wenn ich sein Vertrauen gewinne und wenn es nach dem Drehschluss total zufrieden und lachend nach Hause geht.
Du hast mit deinem Dokumentarfilm 16 Frauen den World Woman Awards 2018 gewonnen. Der Film begleitet den Alltag sechzehn iranischer Frauen, die offen über ihre Vergangenheit, Einsamkeit oder die unerfüllte Liebe sprechen. Gleichzeitig verkörpern sie auch Frauen, die in einer patriarchalischen Gesellschaft nach Freiheit und Selbstbestimmung streben und sich mit unbändigem Willen kreativ und beruflich selbstverwirklichen.
Die Welt betrachte ich als Ausgangspunkt für einen Dokumentarfilm. Sie gibt mir Ideen und führt mich überall hin. Der Mensch ist das wichtigste Element in einem Film und ich fühle mich dazu verpflichtet, den Menschen zu dokumentieren. Es spielt keine Rolle, ob ich mit professionellen Geräten drehe, oder mit einfachen. Es spielt keine Rolle, woher die Zuschauer kommen und wo der Dokumentarfilm gedreht wurde.
16 Frauen ist ein bunter, realistischer Film über verschiedene Generationen in einer Stadt. Eines ist all diesen Frauen gemeinsam: Sie glauben an die Magie des Lebens und den Zauber der Liebe. Der Dokumentarfilm zeigt einen differenzierten und unbekannten Iran aus der Sicht von Frauen verschiedener Generationen.
Das Bild des Iran wird hier neu definiert und dargestellt. Die Zeit ändert sich und iranische Frauen auch! Die berührenden Schicksale der gezeigten Teheranerinnen regen zum Nachdenken über gelebte Werte, gelebtes Leben und gelebte Träume, den Lebenssinn und das eigene Bild vom Iran an.
Was macht einen guten Dokumentarfilm aus?
Die Wurzel einer Idee ist ganz wichtig und der Dokumentarfilm darf nicht heimatslos sein, d.h. nicht ohne eine innere Verbundenheit. Ich denke, es kann nur funktionieren, wenn man sich selbst ganz gut kennt. Ein guter Film zieht seine Zuschauer an, sie reagieren auf das, was sie sehen. Man braucht nicht alles in einem Film zu erklären, der Zuschauer sollte frei sein und seinen Intellekt einsetzen dürfen. Nur so wird der Zuschauer seine Augenlider ganz weit öffnen, den Dokumentarfilm ohne einzuschlafen bis zum Ende ansehen und nach zwei, drei Tagen erneut daran denken.
Die iranische Rechtsanwältin und weltweit bekannte Menschenrechtsverteidigerin Nasrin Sotoudeh wurde Anfang März zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt. Die Vorwürfe gegen sie lauten u.a. „Anstiftung zu Korruption und Prostitution“, „offenes sündhaftes Auftreten in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch“ und „Störung der öffentlichen Ordnung“. Frauen im Iran führen einen schwierigen Kampf nach mehr Selbstbestimmung. Gibt es Unterstützung seitens der Männer?
Wir sind auf die Welt gekommen, um das schöne Leben zu leben und das Ziel sollte sein, das schöne Leben schön zu leben. Ja, es gibt Menschen, die so wie Frau Sotoudeh denken und ihrem Weg folgen, unabhängig vom Geschlecht.
Wie schwierig ist es, sich als Frau in der Filmbranche durchzusetzen? In Deutschland? Überall?
Frau zu sein ist ein Luxus. Eine Frau hat es nicht nur mit sich selbst zu tun, sondern mit der ganzen Welt. Wir Frauen sind wie Ameisen, überall, fleißig. Bis zum Ende unseres Lebens geben wir nicht auf und bringen unsere Ziele und Wünsche weiter voran, sogar als eine Gefangene im Dunkeln. Frau, Mutter, Partnerin, Bundeskanzlerin, Sportlerin, Künstlerin, Wissenschaftlerin und und und. Warum sollten wir keine Regisseurinnen sein? Es gibt immer einen Anfang.
Ich denke die Zeiten, in der die Welt allein durch die männliche Brille betrachtet worden ist, sind längst vorbei. Wir Frauen haben viel drauf, manchmal sogar noch viel mehr als Männer, nur sind wir ruhiger und oft versuchen wir mit schwierigen Situationen zurecht zu kommen. Männer haben gelernt zu verlangen, wir haben gelernt zu harmonieren. Und genau das ist für mich der Punkt. Ich würde in meinem Leben gut vorankommen, mich durchsetzen, wenn ich meine Gedanken laut und sicher präsentiere, so kann ich in die Männerwelt eindringen, da durch gehen und sogar eine neue Welt erzeugen.
Mit 18 Jahren kam ich nach Deutschland, habe die Sprache gelernt, studiert, gelebt und geliebt. Natürlich gab es Menschen, die mich moralisch vergewaltigt haben, aber ich bin ein Revolutionskind, mir ist nie etwas anderes übriggeblieben als wieder aufzustehen und noch motivierter nach vorne zu schauen als vorher.
Es gibt viele Frauen, die bewusst nur im Hintergrund gehalten werden, so wie Fremde Leute in einer Gesellschaft.
Vielen Dank für das Interview!
Dieses Interview führten Safiye Can und Hakan Akçit im Mai 2019.
TIPP:
Am 30.05.19, um 15:00 Uhr findet das Iranian Film Festival Cologne
im Filmforum im Museum Ludwig statt!
16 Frauen: Deutschlandpremiere und Eröffnungsfilm:
Trailer zum Film: