Licht ins Dunkel bringen: Studien zu Rassismus in der Polizei

Interview

Astrid Jacobsen, Professorin an der Polizeiakademie Niedersachsen, und Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion und Polizeibeamtin, sprechen ausgehend von der Polizeipraxis über rechte Netzwerke und Rassismus in der Polizei und diskutieren das Thema Studien als Lösung des Problems. 

Polizei-Sperrzone

Sarah Schwahn: Im Jahr 2020 gab es in Deutschland erstmals eine breitere Debatte über Rassismus in der Polizei. Wie wird das Thema unter den Polizeianwärter:innen diskutiert?

Astrid Jacobsen: Wie die Student:innen das untereinander diskutieren, weiß ich nicht. In der Lehre geschieht es an vielen Stellen, etwa in einem Einführungsmodul über Vorurteile. Darüber hinaus gibt es ein Teilmodul "Deutschland als Einwanderungsland", das polizeiliche Herausforderungen im Umgang mit kultureller Vielfalt thematisiert. Rassismus wird so unterschiedlich wie überall diskutiert, manche verbuchen es unter: Unverschämtheit, Generalverdacht. Andere sagen, sie haben im Praktikum extreme Dinge erlebt, fühlten sich hilflos und wussten nicht, wie damit umgehen. Andere wünschen sich mehr Aufmerksamkeit innerhalb der Polizei für das Thema, eine souveräne Polizei, die ihre Probleme angeht.

Irene Mihalic: Meine Beobachtung ist ähnlich, ich nehme Anwärter:innen als sehr reflektiert wahr, sie gehen mit idealistischen Motiven in den Beruf, dann kommen die Erfahrungen, die polizeiliche Praxis. Das zerstört ein Stück weit, was in den Ausbildungseinrichtungen vermittelt wird. Astrid, wie ist das bei dir, fängst du mit deinen Studentinnen wie in einer Art Schleife immer neu an, musst du Dinge kitten nach dem Praktikum? 

Jacobsen: Viele kommen verändert aus dem Praktikum, in unterschiedlicher Hinsicht. Es gibt eine Studie aus Nordrhein-Westfalen, die „ausländerfeindliche“ Einstellungen vor, während und nach dem Studium abbildet: Vor dem Studium sind sie gleich ausgeprägt wie bei Gleichaltrigen mit ähnlichem Bildungshintergrund, im ersten Jahr und im Verlauf des Studiums sinken sie sogar, steigen dann aber im ersten Praxisjahr wieder. Das verweist auf eine eigene Praxislogik, die man sehr ernst nehmen muss.

Es gibt eine Studie, die Ähnliches für Kommissariatsanwärter:innen feststellt. Warum macht die Polizeipraxis einen solchen Unterschied? 

Jacobsen: Aus wissenschaftlicher Sicht müssen wir die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder und Rahmenbedingungen berücksichtigen. Ein Beispiel ist die Schnelllebigkeit im Einsatzgeschehen. Beamtinnen und Beamte müssen häufig spontan und situativ entscheiden. Ihre körperliche Versehrtheit steht auf dem Spiel, sie können verletzt werden. Das macht eine Solidaritätsgemeinschaft besonders wichtig. Polizei übt Zwang aus: Gewalt in bestimmter Form und unter bestimmten Bedingungen. Gleichzeitig ist die Polizei eine bürokratische Organisation. Polizeiarbeit bedeutet hohe Interaktion, steht im Fokus der Öffentlichkeit. All dies muss mitgedacht werden.

Diese Solidaritätsgemeinschaft im Polizeidienst wird auch als „blue wall of silence“ bezeichnet. Welche Relevanz hat dieser „Korpsgeist“?

Jacobsen: Mir berichten viele, auch ehemalige Studierende, dass sie Fehlverhalten beobachtet haben und sich schämen, dass sie nichts gesagt haben. Es geht nicht nur darum, dass die Beobachter:innen nicht sensibel genug wären, Fehlverhalten als solches zu erkennen, sondern dass sie Dinge sehen, mit denen sie nicht einverstanden sind, und trotzdem schweigen. Wenn ich Fehlverhalten anspreche, dann laufe ich Gefahr, aus der Solidaritätsgemeinschaft herauszufallen. Dann bin ich nicht mehr arbeitsfähig und diese Angst ist berechtigt. Die Frage ist, wie ermächtigen wir Menschen in der Polizei dazu, Fehlverhalten anzusprechen?

Welche Rolle spielt eine solche Polizei beim Schutz vor rechtem Terror, auch im Zusammenhang mit anderen Sicherheitsbehörden?

Mihalic: Der gesetzliche Auftrag der Polizei ist Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. Die Polizei muss über rechtsextreme Gefährder Bescheid wissen: Welche Personen sind anfällig oder verdächtig, in Zukunft Straftaten zu begehen, was ist los in dieser Szene, welche Maßnahmen sind zu treffen? Das ist nicht nur eine Aufgabe des Verfassungsschutzes. Außerdem im Bereich der Strafverfolgung: Wenn Straftaten von rechts verübt werden, müssen Täter ermittelt werden, Opfer geschützt. Der polizeiliche Auftrag ist, ein strafrechtliches Verfahren zu ermöglichen. Die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft ist dafür zentral. 

Das scheint ja aber so nicht zu funktionieren.

Mihalic: Wir erleben in der Praxis, dass es oft anders aussieht. Das prominenteste Beispiel ist der nicht erkannte NSU-Terror. Auch bei anderen Straftaten werden rechtsextremistische Motive immer wieder nicht erkannt. Gerade wenn wir über relativ neue Phänomene sprechen, wie etwa Hass im Netz. Ein weiteres Aufgabenfeld für die Polizei, in dem abgegrenzt werden muss: Was ist Meinungsfreiheit? Was ist eine rassistische, rechtsextremistische Äußerung? Was ist Volksverhetzung? Wann wird es strafrechtlich relevant? Hier muss die Analyse besser werden, damit die Polizei solche Straftaten erkennt. Nehmen wir das Oktoberfestattentat: Hier mussten die Opfer und die Personen, die aufklären wollten, lange um die Anerkennung als rechtsextremistische Tat kämpfen. Die richtige statistische Einordnung ist enorm wichtig, um Größenordnungen und Phänomenbereiche genau zu kennen. Da gibt es großen Nachholbedarf.

Dieser Nachholbedarf wird aktuell diskutiert. Es gibt bereits Studien, darunter auch eine, die Rassismus auf Belastungen im Polizeialltag zurückführt, was an Seehofers „Alltagsstudie“ erinnert. Die Debatte lässt allerdings vermuten, das Feld müsse erst einmal neu aufgerollt werden, bevor sich etwas ändert. Warum brauchen wir jetzt neue Studien?

Jacobsen: Ja, es gibt vereinzelte und veraltete Untersuchungen, ich habe selbst eine Studie zur Bedeutung der kulturellen Herkunft im Einsatz und Streifendienst gemacht, um herauszufinden, an welchen Stellen der (wahrgenommene) Migrationshintergrund eine Rolle spielt und welche Konsequenzen das hat. Aber zu Rassismus, rechtsextremen Einstellungen, strukturellen Rahmenbedingungen, Diskriminierung und rechten Netzwerken haben wir nur Fälle und Deutungen – es fehlt die wissenschaftliche Beurteilung. Diese mickrige Studienlage führt dazu, dass Leute von „Einzelfällen“ sprechen können. Die hier angesprochene Untersuchung ist aus den Neunzigerjahren, und spricht noch von „Ausländerfeindlichkeit“. Die Ergebnisse waren damals schon nicht zufriedenstellend, die Herausforderungen wurden zu sehr auf Stress reduziert.

Mihalic: Ich finde die Debatte in Teilen schwierig, weil sehr oft über den polizeilichen Alltag gesprochen wird. Das ist zwar wichtig, wird aber nach meinem Eindruck als Rechtfertigung benutzt, nach dem Motto: Der arme Polizist kann nichts dafür, dass er ein Nazi ist. Das kann keine ernsthafte Arbeitsthese sein. Wichtig ist, in welchen Kontext wir Rechtsextremismus und Rassismus mit dem polizeilichen Alltag setzen. Den Nationalsozialismus zu verherrlichen muss andere Ursachen haben als ein schwerer Polizeialltag. Das stellen wir fest, wenn wir uns andere rechtsextremistische Ausprägungen bei der Polizei anschauen: Wenn sich sogenannte Nazi-Prepper auf einen halluzinierten Tag X vorbereiten, an dem die staatliche Ordnung zusammenbricht und politische Gegner exekutiert werden. Phantasien, in denen eben auch Polizisten eine Rolle spielen, bei denen es auch um Waffendepots und Munition geht. Da wird es handfest und sehr konkret.

Untersuchungen sollten sich also auf konkrete Schwachstellen und Anfälligkeiten für rechtsextremes Gedankengut und Vernetzung konzentrieren?

Mihalic: Das sind jedenfalls Dinge, die sich mit polizeilichen Alltagserfahrungen kaum noch erklären lassen. Zu fragen ist eher, ob es Unterwanderungsstrategien gibt und Rechtsextremisten Polizisten für ihre Zwecke instrumentalisieren und sich polizeiliche Infrastruktur zunutze zu machen. Unter anderem die Gewerkschaft der Polizei hat im vergangenen Jahr darüber diskutiert, ob bestimmte Teile der Polizei anfällig für Sympathien mit z.B. der AfD sind. Und Ja: Wir beobachten, dass diese Partei strategisch versucht, Polizisten und andere Mitarbeitende in Sicherheitsbehörden für sich zu vereinnahmen, sich ranwanzen – anders kann man das gar nicht mehr beschreiben. Hier sollte herausgearbeitet werden, welche Risiken und besondere Anfälligkeiten es gibt.

Jacobsen: Die Debatte ist stark instrumentalisiert. Ich dachte anfangs, Herr Seehofer spricht von einer klassischen Alltagsstudie, das kann eine Ethnographin nur freuen. Im zweiten Satz war klar, warum: Es sollte gezeigt werden, dass Polizeibeamtinnen und -beamte einen schweren Stand haben und angespuckt werden. Das ist natürlich nicht unser Ziel. Wir wollen die Praxis zeigen und das soziologisch analysieren.

Was müssen Studien untersuchen, wenn sie dabei helfen sollen, die Polizei als wirksame Institution gegen rechte Gewalt und Rassismus aufzustellen? 

Jacobsen: Ich fände es klug, frei von Vorannahmen zu forschen: Was passiert im Polizeialltag, welche Risikokonstellationen gibt es, welche strukturelle Rahmenbedingungen befördern diskriminierendes Verhalten und Einstellungen? Eine solche Studie leite ich aktuell mit meinem Kollegen Jens Bergmann in Niedersachsen. Hier geht es um Praxisforschung, weniger um die Einstellung der Beamt:innen. Gespeist durch die NSU-Verfahren untersuchen wir auch die Logik polizeilicher Ermittlungsprozesse.

Mihalic: Das ist es im Prinzip auch, was wir brauchen. Den spezifischen Blick zu Einstellungsmustern in die Polizei hinein zu wagen, halte ich außerdem für wichtig, um zu erkennen: Gibt es Tätigkeitsbereiche, Organisationseinheiten, die anfälliger sind als andere, in denen solche Muster gehäuft vorkommen? Sind es eher die Brennpunkte? Die Spezialeinheiten? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen machen einen Unterschied? Wenn wir über Racial Profiling reden, dann reden wir vielleicht gar nicht so sehr darüber, dass Polizisten mit einem festen rassistischen Weltbild ja ganz bewusst PoCs kontrollieren, sondern dann ist es vielleicht der entsprechende Paragraph aus dem Bundespolizeigesetz, der ein solches Verhalten manifestiert.

Welche Reaktionen seitens der Polizei auf mögliche Ergebnisse wären wünschenswert?

Mihalic: Vom Einzelfall ausgehend wird schnell gesagt: Wir dulden keine Rechtsextremisten oder Rassisten in unseren Reihen, die gehören nicht zu uns. Sie werden sofort aus dem Dienst entfernt. Das ist nicht der Umgang, den ich mir wünsche. Wer so etwas in Absolutheit behauptet, behauptet gleichzeitig, diese Leute seien eigentlich keine Polizisten. Sie arbeiten zwar hier, aber gehören nicht zu uns. Und sobald sie aus dem Dienst entfernt wurden, müssen wir uns nicht mehr mit dem Thema beschäftigen. Das halte ich für falsch. Natürlich gehören diese Leute zur Polizei und wir müssen uns mit solchen Fällen auseinandersetzen. Hier fehlt eine angemessene Fehler-, Führungs- und Organisationskultur. 

Was sind die Voraussetzungen dafür, dass eine bessere Studienlage tatsächlich zu Veränderungen im Polizeialltag führt?

Mihalic: Wir müssen auf den mittleren bis unteren Ebenen ansetzen. Die Dienstgruppenleiter, die an der Basis arbeiten, müssen in die Lage versetzt werden, ihre Leute permanent zu sensibilisieren. Es braucht eine Polizei, die in ihrer Organisationskultur Resilienz entwickelt, um rechte Gewalt effektiv zu bekämpfen. Wir müssen die Polizei durch Fortbildungen in die Lage versetzen, nicht nur offensichtlichen Rechtsextremismus zu erkennen, sondern auch subtilere Vorurteile, verdeckten und strukturellen Rassismus, und dazu, rechtsextremistische Verhaltensweisen besser wahrzunehmen. Im Hinblick auf den Polizeialltag müssen wir Beamtinnen und Beamte durch regelmäßige Supervision unterstützen. Auch das Thema Whistleblowing ist zentral. Nehmen wir den Fall Berlin mit einer Chat-Gruppe bestehend aus 25 Verdächtigen. Die Beamten haben sich in ihrer Verzweiflung an die Presse gewandt, es gab niemanden innerhalb ihrer Organisation, mit dem sie vertrauensvoll sprechen konnten. Es muss eine unabhängige externe Institution geben, eine:n Polizeibeauftragte:n. Es darf nicht dem Zufall überlassen werden, dass solche Fälle überhaupt ans Licht kommen. 

Von linken Netzwerken innerhalb der Polizei habe ich noch nie gehört, vielmehr steht die Polizei diesen Gruppen oft feindlich gegenüber. Sollten Sicherheitsbehörden stärker auf antifaschistische Recherche für eine bessere Aufklärung rechter Gewalttaten zurückgreifen?

Mihalic: Es braucht so viele Allianzen wie möglich, zwischen den unterschiedlichsten Disziplinen. Alles, was ich über den NSU-Terror, über Rechtsextremismus, über rechte Netzwerke weiß, weiß ich leider nicht vom Verfassungsschutz oder von der Polizei, sondern von Journalistinnen und Journalisten, aus antifaschistischer Recherche, von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Ich habe meine Informationen komplett aus der zivilen Ecke, nicht von den Sicherheitsbehörden. Gerade um die Methodik der Neuen Rechten, ihre globale Vernetzung und Narrative zu verstehen, täte die öffentliche Hand gut daran, sich zivilgesellschaftliche Erkenntnisse stärker zunutze zu machen. In anderen Bereichen, wie etwa Islamismus, gibt es diese Hemmung nicht.