Die politische und öffentliche Debatte zum neuen Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamt:innen blieb überraschenderweise aus. Dabei kann das Gesetz weitreichende Auswirkungen auf Beamt:innen haben, die aus religiösen Gründen Kopftuch, Kippa oder Dastar tragen. Ein Kopftuchverbot durch die Hintertür? Maryam Kamil Abdulsalam und Prof. Dr. Klaus Gärditz analysieren die Auslegungsprobleme des neuen Gesetzes.
Die Vergesetzlichung des Erscheinungsbildes im Dienstrecht
Die Gesellschaft wird vielfältiger und mit ihr (obgleich verzögert) auch der öffentliche Dienst. Je „bunter“ er wird, desto häufiger muss er Konflikte um die äußere Erscheinungsform der Beamt:innen lösen. Die Rechtsprechung hat hierbei in jüngster Zeit mit Recht den Vorbehalt des Gesetzes gestärkt und den Durchgriff der Dienstbehörden auf oftmals persönlichkeitsnahe Ausdrucksformen von Individualität rechtsstaatlich eingehegt. Das gilt nicht zuletzt auch für Tattoos: Schon 2017 hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)1 festgestellt, dass es einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigung bedarf, das zulässige Ausmaß von Tätowierungen bei Beamtinnen und Beamten zu regeln. In dem bemerkenswerten Fall war gegen einen Polizisten ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Dienstentfernung eingeleitet worden, weil ihm vorgeworfen wurde, Tätowierungen zu tragen, die verfassungsfeindliche Symbolik enthielten.
In Abkehr zu seiner früheren Rechtsprechung hat kurz darauf auch der 1. Wehrdienstsenat des BVerwG2 entschieden, dass Verwaltungsvorschriften unzureichend seien, um Soldatinnen und Soldaten das Tragen sichtbarer Tätowierungen oder andere unveränderlicher Merkmale wie Haar- und Barttracht sowie Piercings zu untersagen. Geklagt hatte ein Soldat, der beanspruchte, „die Haare lang tragen und hiermit seine Zugehörigkeit zur Gothic-Kultur zum Ausdruck bringen zu wollen“.3 Vielmehr sei für Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage erforderlich. Entsprechend hatte das Gericht zuletzt auch für das ohne gesetzliche Grundlage gegenüber einer Rechtsreferendarin ausgesprochene Verbot entschieden, ein religiös motiviertes Kopftuch zu tragen.4 Umgekehrt hat das BVerwG ein „Tattoo-Verbot“, das vom bayerischen Landtag erlassen worden war, konsequent als ausreichend angesehen, einem Polizisten die Tätowierung „aloha“ auf dem Unterarm zu untersagen.5
Regierungsentwurf mit Sprengkraft
Auf diese Entwicklung reagierte nun Anfang des Jahres die Bundesregierung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten.6 Das Gesetz wurde kürzlich unverändert und ohne Aussprache auf Empfehlung des Innenausschusses7 im Deutschen Bundestag in dritter Lesung Ende April verabschiedet;8 der Bundesrat hat am 7. Mai 2021 zugestimmt.9 Das Gesetz enthält unter anderem Ergänzungen des Bundesbeamtengesetzes (BBG) und des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG), mit denen eine parlamentsgesetzliche Rechtsgrundlage geschaffen werden soll, um das äußerliche Erscheinungsbild von Beamtinnen und Beamten durch Verbote zu reglementieren:10
„Beamtinnen und Beamte haben bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können von der obersten Dienstbehörde eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert“.
Das Gesetz erhielt im Gesetzgebungsprozess vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit und segelte unterhalb des Radars der politischen Öffentlichkeit, obgleich es die Novelle in sich hat. Sie ermöglicht nicht nur, Unterarmtätowierungen oder Langhaarfrisur zu untersagen. Die Gesetzesänderung bezieht sich explizit auch auf Bekleidungsstücke. Werden diese aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen getragen, soll eine Untersagung nur möglich sein, wenn das äußere Erscheinungsbild „objektiv geeignet“ ist, „das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen“11. Die Regelung kann zwar durch Rechtsverordnung bzw. Landesrecht konkretisiert werden (jeweils Satz 5), ist aber als unmittelbar geltende Verhaltenspflicht formuliert.
Je nach Wertung, was im Sinne des Gesetzes eine Funktionsbeeinträchtigung sein kann, ließen sich hierauf künftig z.B. auch allgemeine Kopftuchverbote für Beamtinnen in zahlreichen Bereichen der Verwaltung stützen. Obgleich immer wieder beteuert wurde, dass ein allgemeines Kopftuchverbot nicht beabsichtigt sei, lässt die Gesetzesbegründung des (ressortzuständigen) Bundesinnenministerium aber etwas anderes vermuten: eine camouflierte „Kopftuch“-Regelung wird hier untergebracht, die die Begründung des Regierungsentwurfs explizit mit der Notwendigkeit des Vertrauens in die Neutralität der Verwaltung rechtfertigt.12 Die Gesetzesbegründung verknüpft Verhalten der Beamtin unmittelbar mit Auftreten und dieses wiederum untrennbar mit dem Erscheinungsbild. Mit dieser unterkomplexen Logik begibt sie sich bereits in Widerspruch zur Rechtsprechung des BVerfG.13 Aus dem schlichten Tragen des Tuches – so das Gericht zutreffend – lasse sich keine Distanzierung von wesentlichen verfassungsrechtlichen Grundsätzen ableiten. Vielmehr müssten weitere Umstände – Verhaltensweisen oder Äußerungen – hinzutreten.
Welche religiösen Ausdrucksformen konkret erfasst sein sollen, lassen die beiden Neuregelungen des BBG und BeamstStG im Übrigen unbestimmt. Insoweit wird nur die jeweils zuständige Dienstbehörde ermächtigt, Verbote zu erlassen, soweit „die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert“. Dies könnte man (grundrechtsschonend) so interpretieren, dass ein Kopftuch die Funktionsfähigkeit der Verwaltung grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Nur entspricht eine solche wohlwollende Deutung offenbar nicht der in der Begründung sichtbar werdenden Regelungsintention,14 zumal das praktische Tableau äußerlich sichtbarer Ausdrucksformen von Alltagsreligiosität im Dienst nicht sonderlich breit ist. Welche einschneidenden Auswirkungen diese Regelung für Beamtinnen und Beamte potentiell haben kann, die aus religiösen Gründen Kopftuch, Kippa oder Dastar tragen, scheint der Öffentlichkeit bisher nicht aufgefallen zu sein.
Da nicht nur § 61 BBG ergänzt werden soll, sondern auch § 34 BeamtStG, würde die Regelung unmittelbar in allen Ländern gelten – auch in solchen, deren Gesetzgeber hier bislang aus Respekt vor der Religionsfreiheit zurückhaltend waren. Dies dürfte mit der föderalen Kompetenzverteilung in Art. 70 Abs. 1 GG kaum vereinbar sein, weil der Bund nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG nur die Statusrechte und -pflichten der Beamtinnen und Beamten der Länder regeln kann. Statusrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG erfasst Wesen, Voraussetzungen und Begründung von Beamtenverhältnissen, ihre Beendigung und wesentliche, statusprägende Pflichten sowie Rechte.15 Konkrete Dienstpflichten, die mit einem bestimmten Amt (z. B. Richter:in, Lehrer:in) verbunden sind, werden hingegen für Landesbeamt:innen allein durch Landesgesetze geregelt. Die Einzelheiten des äußeren Erscheinungsbildes können eher nicht als Statusrecht verstanden werden, sodass es dem Bund hier bereits an der Gesetzgebungskompetenz fehlt.
Die Lehren aus Kopftuch I-III
Das äußere Erscheinungsbild von Beamtinnen in Form des muslimischen Kopftuches war für die Bereiche Schule und Justiz immer wieder Gegenstand verfassungsgerichtlicher Entscheidungen. Zuletzt hatte der Zweite Senat des BVerfG in seinem (überwiegend kritisierten) Referendarin-Urteil aus dem vergangenen Jahr zwar eine landesrechtliche Regelung für verfassungsgemäß erklärt, die muslimischen Rechtsreferendarinnen das Tragen eines Kopftuches in Prozesssituationen verbietet. Gleichzeitig begründete es dies jedoch mit der besonderen Dramaturgie des Prozesses und der justizförmigen Darstellung staatlicher Neutralität. Denn erst die dortige Formalisierung von Rollenfunktionen – also letztlich die besondere Staatsikonografie distanzierter Rechtspflege durch die Justiz, die zu sichtbarer Distanz und zu Gleichmaß verpflichte – mache es möglich, individuelle Glaubensbekundungen wie das Kopftuch als Beeinträchtigung der weltanschaulich-religiösen Neutralität dem Staat selbst zuzurechnen.16 Davon zu unterscheiden sei der schulische Bereich, in dem Offenheit und Pluralität gelebt und das Kopftuch der Lehrerin nicht als Beeinträchtigung der staatlichen Neutralität gewertet werden könne.17
Das Verwenden eines religiösen Symbols im richterlichen Dienst ist – wie es auch das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat – für sich genommen nicht geeignet, Zweifel an der Objektivität der betreffenden Richterin (oder erst recht einer sonstigen Beamtin) zu begründen.18 Das normative Spannungsverhältnis zwischen dem objektiv-rechtlichen Darstellungsbedarf staatlicher Neutralität und der subjektiven Religionsfreiheit sei unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zuvörderst durch den demokratischen Gesetzgeber aufzulösen, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu finden habe.19 Dem muslimischen Kopftuch oder anderen äußerlich erkennbaren individuellen Grundrechtsausübungen kann also auch hiernach nicht pauschal eine neutralitätsbeeinträchtigende Wirkung zugeschrieben werden. Der eingehende Rekurs des Zweiten Senats auf die spezifischen (obgleich religionsskeptisch überfrachteten) Anforderungen der Justiz legt nahe, dass ein dienstrechtliches Verbot nur bei einem vergleichbaren Inszenierungsbedarf des Staates in Betracht kommt, der aber in der Verwaltung so durchweg nicht bestehen dürfte. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Verfassungsmäßigkeit eines Verbotsgesetzes für die Justiz die Ausnahme darstellt. Grundsätzlich ist das Kopftuch in anderen staatlichen Bereichen wie beispielsweise der Schule mit der Neutralitätsgrundsatz vereinbar.
Vielfältige Ämter, undifferenziertes Gesetz
Die avisierten Regelungen im BBG und BeamtStG nehmen auf diese wesentliche Differenzierung jedoch keine Rücksicht und erfassen alle Beamtinnen und Beamten sowie Richterinnen und Richter.20 Weder gibt es abgestufte Regelungen, die Rücksicht nehmen auf die verschiedenen Grundrechte, die betroffen sein können, noch wird ausreichend zwischen Funktionen und amtsspezifischen Konfliktpotentialen differenziert, die sich vom Verwaltungsfachangestellten über die Finanzbeamtin bis hin zur Polizistin und dem Richter ganz wesentlich unterscheiden. Das BVerfG hat mit Recht dem parlamentarischen Gesetzgeber aufgetragen, einen zumutbaren Interessenausgleich funktionsspezifisch herzustellen. Diese Kernaufgabe wird hier hingegen in die Hand der Dienstbehörden gelegt.
Die zahlreichen Formen des Körperschmucks, die in der Begründung des Regierungsentwurfs aufzählt sind (Tätowierungen, Piercings, Brandings, Mehndis, Bodypaintings, Dermal Implants, Cuttings oder Scars), stehen als Ausdruck individueller Selbstdarstellung unter dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Soldaten, die sich von ihrer Langhaarfrisur und ihrem Bart zwangsweise trennen müssen, können sich ggf. noch auf ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) berufen. Beamte oder Beamtinnen, die sich aufgrund der Neuregelung gezwungen sehen, ihre Kippa, ihren Dastar oder ihr Kopftuch während der Dienstzeit nicht mehr zu tragen, sind hingegen in ihrer Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1-2 GG) betroffen, die sich hiervon nach Schutzintensität und Struktur qualitativ deutlich unterscheidet. Während das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht unter einfachen Gesetzesvorbehalten stehen (Art. 2 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Satz 3 GG), drückt sich die besondere Vulnerabilität der Religionsfreiheit in der grundsätzlichen Vorbehaltlosigkeit der Grundrechtsgarantie aus. Art. 4 Abs. 1-2 GG kann nach ständiger Rechtsprechung nur aufgrund verfassungsimmanenter Schranken – also zugunsten von Grundrechten Dritter oder Gemeinschaftswerten von Verfassungsrang – eingeschränkt werden.
Dahinter stehen sehr unterschiedliche grundrechtliche Wertigkeiten und Schutzbedürfnisse. Der Wunsch der Finanzbeamtin, im Dienst ein muslimisches Kopftuch zu tragen, tangiert kardinale religiöse Bedürfnisse und hat daher ein anderes Gewicht als das Interesse des Polizisten, den Unterarm mit einem frechen „Aloha!“ zu zieren. Der Schutzbedarf der kopftuchtragenden Beamtin, die sich gesellschaftlichen Ressentiments und damit erhöhten Diskriminierungsrisiken ausgesetzt sieht, ist offenkundig auch höher als der des Schnauzbartträgers. Auch die Konfliktszenarien können sehr unterschiedlich ausfallen. Und die kunstvolle Barttracht tangiert Dienstaufgaben bei einem Staatsbeamten im Landratsamt Traunstein anders als bei einem KSK-Soldaten. Schließlich sind auch die grundrechtlichen Folgen disparat: Etwa eine – möglicherweise im Gesetz angelegte – Differenzierung nach Tätigkeiten mit Publikumskontakt einerseits und reinem Innendienst andererseits vertieft diejenigen Ressentiments, die dem „objektiven Betrachter“ bei der Beurteilung der Neutralität in den Mund gelegt werden: Der Beamtin, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch trägt, wird nicht zugetraut, distanziert-neutrale Entscheidungen zu treffen. Sie hört aber nicht deshalb auf, außenwirksame Entscheidungen im Zuge der Rechtsanwendung zu treffen, weil sie dabei nicht gesehen wird. Sie wird schlicht unsichtbar gemacht.
Undifferenzierte sowie unbestimmte Konfliktauflösung
Hier wäre es Aufgabe des Gesetzgebers gewesen, anhand der spezifischen Funktionen, die mit einem Amt verbunden sind, zu differenzieren und die Schranken entlang der Wertigkeit und des spezifischen Schutzbedarfs der betroffenen Grundrechte nachzuzeichnen. Die salvatorische Formel, dass religiöse Bekleidung nur erfasst sei, wenn diese objektiv geeignet ist, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung zu gefährden, genügt dem besonderen Schutzbedarf der vorbehaltlosen Religionsfreiheit offenkundig nicht. Sie verweist wieder nur auf völlig unbestimmte Amtsfunktionen, die überhaupt erst einmal gesetzlich herauszuschälen wären. Die vom Zweiten Senat betonte Verantwortung, auf parlamentsgesetzlicher Ebene nach einem zumutbaren Konfliktausgleich zu suchen, der funktionsspezifisch differenziert und insoweit Grundrechtseinschränkungen auf das Erforderliche begrenzt, würde der Bundesgesetzgeber mit der entsprechenden Gesetzesänderung insoweit nicht gerecht. In der Formulierung grundrechtsadäquater Regelungen für sehr unterschiedliche Funktionen im öffentlichen Dienst liegt letztlich die Kernherausforderung der abstrakt-generellen Konfliktlösung. Diese Aufgabe lässt sich daher auch nicht auf den Verordnungs- oder Landesgesetzgeber delegieren, zumal § 61 Abs. 2 BBG-E und § 34 Abs. 2 BeamtStG-E jeweils auf unmittelbar anwendbare Ermächtigungen zielen. Die Ermächtigungen sind zwar einer konkretisierenden Ergänzung (z. B. durch konkrete amtsbezogene Dienstpflichten) zugänglich, aber hiervon nicht abhängig. Die wesentlichen Konflikte um die Grenzen der Freiheit zu entscheiden, bleibt damit in verfassungswidriger Unbestimmtheit letztlich der Verwaltung überlassen.
Der Bundesgesetzgeber scheint hier den Reformbedarf, den die Rechtsprechung des BVerwG ausgelöst hat, zu nutzen, versteckt in dem (eher banalen) Tattoo-Gesetz eine empfindliche Einschränkung der Religionsfreiheit im öffentlichen Dienst von Bund und Ländern vorzubereiten. Dass dies bislang in der – durch Pandemie und Wahlkampf abgelenkten – politischen Öffentlichkeit unbemerkt blieb, dürfte seinerseits Folge der Unbestimmtheit des Gesetzes sein, die sich abzeichnende Konflikte um religiöse Freiheit und (vermeintliche) Neutralitätsbedürfnisse nicht explizit macht, sondern hinter einer gewundenen Generalklausel verbirgt. Einmal mehr zeigt sich insoweit, dass der hier thematisierte Vorbehalt des Gesetzes nicht nur eine rechtsstaatliche Einhegung von Grundrechtseingriffen sichert, sondern auch den demokratischen Prozess als solchen schützt. Denn der Vorbehalt des Gesetzes verlangt, dass Eingriffe in Freiheitsgrundrechte nur aufgrund einer (hinreichend bestimmten) parlamentsgesetzlichen Grundlage möglich sind. Dadurch werden nicht nur Grundrechtseingriffe rechtsstaatlich vorhersehbar und kontrollierbar. Zugleich nimmt der parlamentarische Gesetzgeber Verantwortung, über die Reichweite einer Ermächtigung in einem pluralistisch-politischen Verfahren öffentlich zu verhandeln. Konflikte müssen direkt adressiert und öffentlich – unter legitimationsstützender Beteiligung der parlamentarischen Opposition sowie unter den Augen der politischen Öffentlichkeit – transparent gemacht werden, damit das Parlament seine Kernfunktion erfüllen kann, allgemeinen Interessenausgleich herzustellen. Zumutbarer Interessenausgleich setzt wiederum voraus, dass zunächst Interessen im Verfahren identifiziert werden und klar wird, was auf dem Spiel steht. Das verabschiedete Gesetz, das Konflikte in die Dienstordnungsbürokratie abdrängt und so eher verschleiert als löst, bedarf daher einer kritischen Begleitung in der praktischen Anwendung. Denn die Regelungen in der gesetzlichen Neufassung sind – wenn überhaupt – nur bei einer äußerst restriktiven Auslegung verfassungskonform.
Dieser Text wurde vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens bereits in leicht veränderter Fassung hier publiziert: https://verfassungsblog.de/allgemeines-kopftuchverbot-durch-die-hintert…
Quellenangaben
(1) BVerwGE 160, 370.
(2) Beschluss vom 31. Januar 2019 – 1 WB 28.17, BVerwGE 164, 304.
(3) Beschluss vom 31. Januar 2019 – 1 WB 28.17, BVerwGE 164, 304, Rn. 14.
(4) Urteil vom 12. November 2020 – 2 C 5/19.
(5) Urteil vom 14. Mai 2020 – 2 C 13/19, BVerwGE 168, 129.
(6) BT-Drs. 19/26839; BR-Drs. 15/21.
(7) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat v. 21.4.2021, BT-Drs. 19/28836.
(8) Deutscher Bundestag, 19. WP, 224. Sitzung v. 22.4.2021, Plenar-Protokoll 28475.
(9) Bundesrat, Protokoll der 1004. Sitzung v. 7.5.2021, S. 177 f.
(10) § 61 Abs. 2 BBG-E und § 34 Abs. 2 BeamtStG-E.
(11) § 61 Abs. 2 Satz 4 BBG-E; § 34 Abs. 2 Satz 4 BeamtStG-E.
(12) BT-Drs. 19/26839, S. 42.
(13) Beschluss vom 27. Januar 2015 – 1 BvR 471/10, BVerfGE 138, 29, Rn. 118.
(14) BT-Drs. 19/26839, S. 42: „wie beispielsweise das muslimische Kopftuch, die jüdische Kippa oder ein christliches Kreuz“.
(15) Degenhart, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 74 Rn. 114 f.
(16) BVerfG, Beschluss vom 14.1.2020 – 2 BvR 1333/17, BVerfGE 153, 1.
(17) Dazu überzeugend der Erste Senat des BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 1 BvR 471/10, BVerfGE 138, 296.
(18) BVerfG, Beschluss v. 14.01.2020 – 2 BvR 1333/17, BVerfGE 153, 1 (44).
(19) BVerfG, Beschluss v. 14.01.2020 – 2 BvR 1333/17, BVerfGE 153, 1 (46).
(20) Vgl. § 46 DRiG bzw. Landesrichterdienstrecht.