Nassir Djafari hat mitten in der ersten Pandemiewelle seinen Debütroman „Eine Woche, ein Leben“ veröffentlicht. Wie er sein Buch trotzdem vorstellen konnte, welche Rolle Identität und Herkunft in seinem Roman spielen und wieso rechte Verlage auf keinen Fall verharmlost werden dürfen, erzählt er im Zwischenraum-Interview.
Safiye Can und Hakan Akçit: Lieber Nassir, du bist Volkswirt und warst viele Jahre Entwicklungsexperte bei der KfW-Bank. 2020 hast du mit dem Roman Eine Woche, ein Leben beim Sujet Verlag debütiert. Wie entstand die Idee zu deinem Roman?
Nassir Djafari: Es war nicht so sehr eine Idee, sondern ein Prozess, ein langsames Annähern, ohne zu ahnen, was daraus entstehen würde - wie so oft im Leben. Zunächst einmal: ich lese sehr gern, schon immer. Und auch das Schreiben war mir vertraut, ich hatte bereits einige Artikel und Buchbeiträge über entwicklungspolitische Themen geschrieben. Dann, das war in den 00er Jahren, unternahm ich mehrere Reisen in den Iran. Dort war ich seit Jahrzehnten nicht mehr gewesen. Meine Erlebnisse auf diesen Reisen, meine Empfindungen und die Geschichten, die ich zu hören bekam, schrieb ich auf. Einige Zeit später ermunterte mich meine Frau, an einem Literatur-Schreibseminar teilzunehmen. Ich meldete mich an, halb aus Spaß, halb aus Neugier. Die Teilnehmer*innen sollten vorab einen kurzen Text einreichen. So fing es an - aus den vier Seiten, die ich vorlegte, wurde das erste Kapitel meines Romans.
Dein Debütroman erschien inmitten der Pandemie, die zur Folge hatte, dass viele Lesungen und Veranstaltungen ausfielen. Wie wirkte sich diese Situation für dein Debüt aus? Mit welchen Nachteilen musstest du umgehen?
Das Schreiben eines Romans ist eine einsame Tätigkeit. Der Autor, die Autorin taucht in eine eigene Welt ein und erst wieder auf, wenn das Werk vollbracht ist. Es ist ein bisschen wie der Bau eines Tunnels. Wer über die lange Strecke durchhält, tritt am anderen Ende wieder ins Freie, das ist ein schöner Moment. Umso enttäuschender ist es, dann eine Absperrung und eine komplizierte Umleitung vorzufinden. Februar 2020 erschien mein Roman, meine erste Lesung sollte auf der Leipziger Buchmesse im März stattfinden, und die fiel wegen der beginnenden Pandemie aus. Der erste Lockdown folgte. Präsenzlesungen waren nicht möglich. Also was tun? Ich setzte mich in der Frankfurter Buchhandlung Büchergilde vor eine Kamera und stellte mein Buch vor, und der Schauspieler Stéphane Bittoun las Passagen daraus vor. Das Video stellte der Sujet Verlag auf Youtube ein. Kurz darauf ermöglichte mir das Literaturhaus Köln meine erste Lesung als Online-Veranstaltung. Zum ersten Mal vor Publikum las ich zusammen mit anderen Autor*innen auf einer Veranstaltung des Hessischen Literaturrats während der Frankfurter Buchmesse 2020. Vom Podium aus blickte ich zwar nur auf maskierte Gesichter, aber immerhin saß ich mit meinen Zuhörer*innen in einem Raum. In der Pandemie bleibt uns nichts anderes übrig, als uns um die Einschränkungen herum zu organisieren. Für Debütant*innen ist es eine besondere Herausforderung, da sie ihr Publikum noch finden müssen.
Die Debatte über die Anwesenheit von „rechten Verlagen“ auf der Frankfurter Buchmesse 2021 wurde kontrovers geführt. Wie stehst du zu diesem Thema?
Ich möchte eines vorweg festhalten: Der Begriff „rechte Verlage“ stellt vor dem Hintergrund, dass diese Publikationsforen und die hinter ihnen stehenden politischen Kräfte völkisches Gedankengut verbreiten, offen gegen Menschen anderer Herkunft, Religion und Hautfarbe hetzen und ihnen überhaupt das Recht absprechen, in Deutschland zu leben, eine Verharmlosung dar. Tatsächlich handelt es sich um extremistische, rassistische Verlage, die mit ihren Publikationen unsere demokratische Grundordnung gefährden. Sie auf der Frankfurter Buchmesse zu wissen, ist schwer zu ertragen. Gleichwohl dürfte es, solange diese Verlage nicht verboten sind, für die Frankfurter Buchmesse rechtlich kaum möglich sein, sie auszuschließen. Die Verlage würden sich als Opfer darstellen, vor Gericht ziehen und wahrscheinlich Recht bekommen. Zugleich hätten sie das, was ihnen am wichtigsten ist, die höchstmögliche mediale Aufmerksamkeit. Den Gefallen sollten wir ihnen in der aktuellen Lage nicht erweisen, auch nicht durch lautstarke Demonstrationen vor ihrem Stand. Ich plädiere vielmehr dafür, die Verfassungsfeindlichkeit dieser Verlage offenzulegen.
2006 bis 2009 hast du als Vertreter der Nicht-organisierten Muslime an der ersten Islamkonferenz teilgenommen, die vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble initiiert wurde. Wie würdest du sagen, hat sich der Dialog zwischen dem Staat und den in Deutschland lebenden Muslim*innen seitdem entwickelt? Was kann verbessert werden?
Die Einberufung der Deutschen Islamkonferenz im Jahre 2006 stellte einen Aufbruch dar. Der damalige Bundesinnenminister Schäuble erklärte gleich zu Beginn, der „Islam gehöre zu Deutschland“, was für einen konservativen Politiker eine bemerkenswerte Äußerung war, erkannte er damit doch an, dass wir ein Einwanderungsland geworden waren. Vertreter von Islamverbänden und sogenannte Nicht-organisierte Muslime – eine bunte Mischung aus Intellektuellen, Vertreter*innen verschiedener Berufsgruppen, Islamkritiker*innen und Feminist*innen, die ursprünglich aus islamisch geprägten Ländern stammten – saß einer Reihe von Minister*innen und Staatsekretär*innen aus Bund und Ländern gegenüber. Dies hatte es zuvor nicht gegeben. Die hochrangige Besetzung des Gremiums auf staatlicher Seite einerseits, und einiger namhafter Muslime, wie zum Beispiel dem Schriftsteller Navid Kermani andererseits war an sich schon ein wichtiges Signal.
2009 schied ich gemeinsam mit den übrigen nicht-organisierten Muslimen aus dem Gremium aus. Meinem Eindruck nach haben die Nachfolger von Dr. Schäuble im Amt des Bundesinnenministers der Islamkonferenz nicht mehr den gleichen Stellenwert beigemessen. Schon bald wurden nur noch Vertreter der Islamverbände eingeladen, obwohl die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime ihren Glauben praktiziert, ohne einer Moscheegemeinde anzugehören. Aus dem gesellschaftspolitischen Dialogforum, das Dr. Schäuble ins Leben gerufen hatte, wurde in den letzten elf Jahren ein öffentlich kaum mehr wahrgenommenes Gremium, das sich mit kleinteiligen Fragen beschäftigte. Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern ist der offene Austausch über religiöse und kulturelle Werte zwischen Einwanderern aus muslimisch geprägten Ländern und der Bevölkerung, die in der christlichen Tradition aufgewachsen ist, sehr wichtig. Ein solcher Dialog sollte aus meiner Sicht nicht nur die Islamverbände und den Staat, sondern auch andere zivilgesellschaftliche Akteure einbeziehen.
In deinem Debüt Eine Woche, ein Leben verweigert der heranwachsende Timm jegliche Leistung und zieht sich in die Isolation zurück. Sein Vater Hamid setzt alles daran, ihn dort herauszuholen. Es handelt sich insofern um einen klassischen Vater-Sohn-Konflikt. Doch da ist mehr. Timm, dessen Großeltern aus dem Iran nach Deutschland eingewandert waren, beginnt sich für seine Wurzeln zu interessieren, während er seinem Vater vorwirft, „deutscher als die Deutschen“ sein zu wollen. Welche Rolle spielen Fragen nach Herkunft und Identität in deinem Roman?
Jeder Mensch setzt sich früher oder später mit der Frage seiner Herkunft auseinander, nicht nur die Nachkommen von Einwanderern. Zu wissen, wo die eigenen Wurzeln liegen, hat etwas Vergewisserndes, gibt einem Halt in einer komplexen Welt. Manche beschäftigen sich erst im fortgeschrittenen Alter, wenn die Stürme des Lebens überstanden sind, mit der Frage, wie ihre Eltern und Großeltern gelebt und was sie erlebt haben, und hoffen auf diese Weise sich selbst besser zu verorten. Für die Kinder und Enkel von Einwanderern ist die Suche nach ihrem Selbst ungleich schwieriger. In Eine Woche, ein Leben wundert sich Hamid, als sein achtzehnjähriger Sohn Timm Persisch lernen will; er solle lieber an seinem Englisch arbeiten, sagt er. Hamid interessiert sich ganz und gar nicht für das Herkunftsland seiner Eltern. Er hat genug damit zu tun, deutsch zu sein. Beruflich beschäftigt er sich mit Lateinamerika, dorthin reist er häufig. Timm hingegen dürstet es danach, sich dem Iran zu nähern, er hört persische Musik und hängt sich persische Miniaturen in sein Zimmer. Die Suche nach Iran verschmilzt mit der Sehnsucht nach seiner früh verstorbenen Mutter. Prompt verliebt er sich unglücklich in seine griechisch-stämmige Lehrerin, die eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr hat.
Seinem Vater kann es Timm nicht recht machen. Egal, wie sehr er sich anstrengt, es gelingt ihm nicht, Hamids hohe Leistungsanforderungen zu erfüllen. Kleine Erfolge seines Sohnes nimmt der nicht wahr. Als Timm dann auch noch von seiner Lehrerin zurückgewiesen wird, zieht er sich in sein Zimmer zurück, geht bald nicht mehr in die Schule und bricht alle sozialen Kontakte ab. Für Hamid stellt die Leistungsverweigerung seines Sohnes eine existenzielle Bedrohung dar. Er, der Sohn iranischer Einwanderer, hat es zum promovierten Sozialwissenschaftler an einem renommierten Forschungsinstitut gebracht. Von sich selbst sagt er: Ich bin kein Aussteiger, ich bin ein Einsteiger. Seinem Sohn schärft er ein, es genüge nicht einfach nur gute Leistungen zu erbringen, er müsse besser sein als die anderen. Hamids Alptraum ist, dass Timm eines Tages als Penner enden werde. Timms Verweigerungshaltung stellt Hamids Lebenstraum, die Fortsetzung des gesellschaftlichen Aufstiegs durch die nächste Generation, in Frage. Ausgehend von diesem Konflikt entfaltet sich die Geschichte, die ich erzähle. Gleichwohl steht die Identitätsfrage nicht im Mittelpunkt meines Romans, sie schwingt stets im Hintergrund mit, wie meistens im Leben.
Was bereitet dir beim Schreiben die größte Freude?
Mir gefällt es, in die Haut meiner Figuren zu schlüpfen und mir vorzustellen, welchen inneren Spannungen sie ausgesetzt sind und wie sie sich in Konfliktsituationen verhalten. In Eine Woche, ein Leben haben sowohl Hamid als auch Timm hohe Erwartungen an sich selbst und fürchten, diesen nicht zu genügen, wünschen sich Veränderungen und haben zugleich Angst davor. Timm hält sich selbst für einen Versager, nichts scheint ihm zu gelingen. Nicht nur sein Vater, auch er selbst ist von sich enttäuscht. Doch dann treten Ereignisse ein, die ihn zum Handeln zwingen. Seine Selbstzweifel muss er beiseiteschieben, er tut das Notwendige und entdeckt seine Möglichkeiten. Timm auf diesem Weg zu begleiten, hat mir große Freude bereitet.
Wie sieht dein nächstes Projekt aus?
Mein zweiter Roman wird im Frühjahr 2022 erscheinen. Im Mittelpunkt steht eine Frau, die mit ihrem Ehemann und ihren Kindern in den 1950er Jahren aus dem Iran nach Deutschland eingewandert ist. Sie lebt im Widerstreit zwischen ihrer herkömmlichen Moral und den Freiheiten ebenso wie den Untiefen des modernen westlichen Lebens. Der Roman erzählt, wie es ihr gelingt, sich aus der fürsorglichen Umklammerung ihres Mannes zu lösen und ihren eigenen Weg zu finden.