Kein Tor für Rassismus

heimat.kolumne

Die Fußball-Europameisterschaft der Männer ist vorbei. Dabei kam es auch zu rechtsextremen Zwischenfällen: Der Wolfsgruß auf der einen, der Hitlergruß auf der anderen Seite. Der Wolfsgruß ist eine Erkennungsgeste der türkischen rechtsextremen „Grauen Wölfe“ – doch leider war die Debatte darüber in Deutschland rassistisch geprägt, attestiert unser Kolumnist Hakan Akçit.

Fußballtor von hinten durch das Netz fotografiert, im Hintergrund sind etwas verschwommen Spieler zu sehen

United by Football. Vereint im Herzen Europas. So lautete das Motto der Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland. Ein friedliches Fest für alle Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern Europas, die sich gemeinsam interessante und mit viel Leidenschaft ausgetragene Fußballspiele in einer feierlichen Gesamtatmosphäre anschauen sollten. In den Städten, die als Austragungsorte für die Partien dienten, traten große Fangruppen auf, die Trikots ihrer Nationalmannschaften trugen und in Fanmärschen stolz die Nationalflaggen schwenkten, während sie inbrünstig Fangesänge oder Nationalhymnen sangen. Vergessen schienen die kurz zuvor geführten Debatten über die Gefahren des zunehmenden Nationalismus in Europa, der sich wenige Wochen zuvor in den Wahlergebnissen der Europawahlen widerspiegelte und überhaupt nicht dem Gedanken einer gemeinsamen Europäischen Union entsprach. Denn die aus der Wahl gestärkt und mit deutlichem Zuwachs hervorgegangenen rechtspopulistischen Parteien und ihre Unterstützer:innen sind bekanntermaßen so gar nicht an einem „vereinten Europa“ interessiert und ihr propagierter Nationalismus widersprüchlich zur europäischen Idee. Der offen zelebrierte Nationalismus der Schlachtenbummler während der EM aber war kein Problem und es war so, als unterscheide man generell zwischen einem guten und schlechten Nationalismus.

Der Wolfsgruß und die rassistische Debatte

Überschattet wurde der gute Nationalismus des Turniers dann allerdings von dem sogenannten Wolfsgruß des türkischen Nationalspielers Merih Demiral im Spiel gegen Österreich. Dem Wolfsgruß, der in der politischen Landschaft der Türkei eindeutig als Gruß der ultranationalistischen Partei MHP und der rechtsextremen türkischen Bewegung der „Grauen Wölfe“ verortet wird, folgte eine medial angepeitschte Debatte. Der Grundtenor: der Großteil der türkischen Community in Deutschland sei schlichtweg schlecht integriert, da Türk:innen grundsätzlich rechtsnationalistisch eingestellt seien und darüber hinaus blind der islamisch-konservativen Politik des türkischen Präsidenten Erdoğan folgten. 

Und da war es wieder, des Deutschen liebstes Kind, der homogene Türke, der sich für jedes Sommerloch und jede Wahlkampagne hervorragend eignet: nationalistisch, kurdenfeindlich, neuerdings auch deutschenfeindlich, genozidleugnend, islamistisch, aktuell auch antisemitisch und generell ein unruhestiftender Fremdkörper in der deutschen Gesellschaft. In den Kommentarspalten der sozialen Medien ging es ebenfalls heiß her: von den ständig pfeifenden und buhenden türkischen Fans bei jedem gegnerischen Ballkontakt und jeder Nationalhymne der gegnerischen Mannschaften bis zu den in ihren geleasten AMGs den Sieg ihrer Mannschaft ausgiebig mit Autokorsos feiernden Türk:innen folgerten nicht wenige Menschen in Deutschland, dass die Türkei eigentlich gar nicht zu Europa gehöre und nicht wenige frönten ihren rassistischen Phantasien und sprachen ihnen selbst die Zugehörigkeit zu Deutschland ab. In den extremsten Fällen forderten nicht wenige und definitiv auch nicht nur rechte Trolle eine Abschiebung von rechtsnationalistischen Türk:innen, ganz gleich, ob mit oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Allein der Umstand, dass bei jeder halbwegs seriösen Debatte mit und über die türkische Community sofort die Ausweisung jener Problemfälle gefordert wird, unabhängig davon, ob mit deutscher Staatsangehörigkeit und in 3. Generation hier lebend oder nicht, beweist, dass der deutsche Pass der sogenannten Deutsch-Türk:innen für eine Vielzahl der Menschen in Deutschland nicht den gleichen Stellenwert hat, wie der der hitlergrüßenden Partygesellschaft auf Sylt, die dem Partylied L' amour Toujours, einem schon länger bestehenden TikTok-Trend folgend, den Status eines Evergreens einbrachte.

In Deutschland wieder fremd

An diesen Reaktionen, so oder ähnlich formuliert, unter fast allen Beiträgen und Artikeln bei vielen Vertretern der Medien, spiegelte sich der latente Rassismus wider, den die türkische Community seit Jahrzehnten tagtäglich spürt und der sie stigmatisiert als: der aggressive Türke, der Nationalist, der protzende Selbstdarsteller, der nicht und niemals Integrierte, der die westlichen Werte ablehnende, emotional labile und an Morbus Mediterraneus leidende Fremde. Dass die türkische Community in Deutschland ein Spiegelbild der vielfältigen türkischen Gesellschaft ist, in der es sowohl rechtsnationalistische als auch linke Meinungen gibt und die Geste des türkischen Nationalspielers in der türkischen Community in Deutschland, aber auch in der Türkei, Empörung hervorrief und heftig diskutiert wurde, schien in der deutschen Debatte eher nebensächlich zu sein. Kaum beachtet waren auch die rassistischen Schmähgesänge österreichischer Fans vor dem Spiel, die „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ skandierten. Auch bei anderen Spielen kam es zu rechtsextremen Vorfällen, wie das Zeigen des Hitlergrußes in Stadien oder bei Public Viewing Events. 

Was auch immer den türkischen Fußballspieler Demiral dazu verleitet hat, nach Abpfiff des Spieles mit beiden Händen den Wolfsgruß in Richtung türkische Tribünen zu zeigen, sei es eine faschistische politische Einstellung, eine Trotzreaktion wegen des schon Tage zuvor unter einigen türkischen Fans gesichteten und in diversen Medien thematisierten Wolfsgrußes oder einfach nur Dummheit: er hat der türkischen Fußballmannschaft und der türkischen Community in Deutschland einen Bärendienst erwiesen. Denn letztendlich hat er der vergifteten Stimmung in der deutschen Gesellschaft nur als Brandbeschleuniger gedient und es somit u.a. auch den latenten Rassisten wieder ermöglicht, ihren als gesellschaftlichen Diskurs getarnten Rassismus gegenüber Türk:innen ungezügelt auszuleben. Und als wenn er nicht schon genug gezündelt hätte, hat er mit seinen trotzigen Aussagen auf der Pressekonferenz nach dem Spiel eine ähnlich trotzige und dumme Reaktionen einiger türkischer Zuschauer:innen beim Spiel gegen die Niederlande provoziert, die mit einem „Jetzt-erst-recht“-Gesichtsausdruck ihre Wölfchen gen Himmel streckten. 

Merih Demiral geht in die Annalen der Fußballgeschichte als der Mann ein, der kam, siegte und zündelte, bevor er sich wieder nach Saudi-Arabien verzog, wo er als stolzer Türke seine Millionen beim saudischen Club Al-Ahli verdient. Zumindest hat diese ganze unangenehme Angelegenheit eines verdeutlicht: was die Art und Weise der Wahrnehmung der türkischen Community betrifft, liegt in Deutschland auch Jahrzehnte nach dem Anwerbeabkommen einiges im Argen. Es genügt ein kleiner Funke und schon kocht die Volksseele auf beiden Seiten und den Ressentiments sind keine Grenzen mehr gesetzt. Rechtsextremismus, ob deutschen oder türkischen, bekämpft man so nicht.