Dossier The Living Archive: kulturelle Produktionen und Räume
Framing It
Every regime of representation is a regime of power formed, as Foucault reminds us, by the fatal couplet, ‘power/knowledge’. But this kind of knowledge is internal, not external. It is one thing to position a subject or set of peoples as the Other of a dominant discourse. It is quite another thing to subject them to that ‘knowledge’, not only as a matter of imposed will and domination, by the power of inner compulsion and subjective conformation to the norm.
Stuart Hall, Cultural Identity and Diaspora, 1990
Im ersten Teil setzt sich das Dossier damit auseinander, inwieweit Kunst- und Kulturproduktionen in Hierarchisierungssystemen eingebettet sind. Es wird versucht eine erste Rahmung für die Verbindungen zwischen Kunst und Kultur und westlich-geprägter Kanonisierung und Machtstrukturen darzustellen und zu formulieren. Wo Wissen ist, ist auch Macht (Foucault). Kulturell-ästhetische Produktionen sind Wissensproduktionen durch die hegemoniale und normative Repräsentationen und Diskurse aufrechterhalten werden. Im Kontext von Migration und Postkolonialismus bedeutet dies, dass Ein- und Ausschlussmechanismen im Bereich der hiesigen Kulturindustrie und -politik auf multiplen Ebenen re/produziert werden, welche genauer genommen Publikum/Rezipient_innen, Kulturangebot/Programm und Personal – speziell in etablierten Institutionen – beeinflussen. Neben der Frage, inwiefern diese (erweiterten) Formen des "Kulturimperialismus" (Said) sich ausdrücken und somit identifizieren lassen, werden verschiedene Ansichten für gegenstrategische Ansätze im Sinne von Diversität und Dekolonialität aufgezeigt und erörtert.
Re-Telling
Die Entwicklungen subversiver Sprach-, Bilder- und Klangwelten, die Umdeutungen von Grenzräumen und die Einschreibungen subalterner Gegenerzählungen haben längst eigenständige Tradierungen begründet.
Kien Nghi Ha, Nicola Lauré al-Samarai, Sheila Mysorekar, Re/visionen – Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland, 2007
Dieser Teil beschäftigt sich mit den Gegenstrategien von Kunst/Künstler_innen of Color in Deutschland und anderen Kontexten und stellt die Verknüpfungen zwischen Geschichtschreibung, Ästhetikformen und Gegenwart her. Hier werden Wege und Widerstandsformen beschrieben und analysiert. Vor diesem Hintergrund werden Begrifflichkeiten wie Post-Black undpostmigrantisch genauer beleuchtet. Es wird versucht, die Selbstverortung und das Selbstverständnis von Künstler_innen und Kulturschaffenden of Color zu definieren. Diese Begriffe eröffnen neue Horizonte, die das Kunstschaffen als Rekonstruktion oder Wiederaneignung von eigenen Lebenswelten und alternativen Formaten ermöglicht.
Dieser dialogische Prozess zwischen den Community-Räumen und dem Mainstream verleiht der eigenen Positionalität Ausdruck und ermöglicht Künstler_innen of Color als Subjekte zu agieren – im Gegensatz zu Objekten der Betrachtung, des Blickes, der ethnisierenden Kategorisierung. Neben der Frage, inwieweit marginalisierenden Lesarten und zugleich rassistischer Stereotypisierung in der Kunstpraxis und -theorie entgegengewirkt werden kann, wird dargestellt, auf welche Art diese Gegenstrategien gesellschaftliche Strukturen und diverse Arten von Geschichtsschreibung widerspiegeln und teilweise neu interpretieren. In der Formation Kultur/Geschichte lassen diese Prozesse ihre Legitimation und Sichtbarkeit primär in transkulturellen und translokalen Räumen entstehen.
Shared Experiences
Beyond art as a process is the idea of art as a means to make community rather than commodity.
Marvin Carlson, Resistant Performance, 1996
Wenn die heutigen globalisierten Migrationsprozesse und Grenzgänge neue Ideen zu Translokalität und Transkulturalität hervorbringen, stellt sich hier die Frage, wie sich dies in künstlerische und kuratorische Formate übersetzen lässt. Dieser Raum widmet sich transkulturell geprägten Formen im Kontext von Kunst/Kultur. Es geht darum, handlungsorientierte Formate zu präsentieren, welche versuchen konventionelle Konzepte beispielsweise zur Klassifikation und Separierung von Genres zu durchbrechen.
So werden dabei Artikulations– und Resonanzräume erschaffen, welche transdisziplinäre und partizipatorische Prozessbewegungen umsetzen. Dabei eröffnen sich neue Themenkreise. Es wird die Frage gestellt, ob solche Formate dadurch mehr Verbindungen zu Gemeinschaftsräumen herstellen, wo die Grenze zwischen Kunstschaffen und gesellschaftlichen und historischen Aspekten liegt und inwiefern künstlerische Dialoge und nachhaltige Wirkungsweisen entstehen können.
Studio Visit
Hard and fast distinctions do not obtain here; speech and music, dance and theatre, each itself the site of multiple languages, overlap. Juxtaposition is the name of the game.
Achille Mbembe, Variations on the Beautiful in the Congolese World of Sound, 2004
Studio Visit
Dieser Raum des vorliegenden Dossiers bietet eine Plattform an, die künstlerischen Praxen of Color Ausdruck verleiht. Ziel dieses virtuellen Kunstraums ist es, einen innovativen Vorgang aufzuzeigen, der dazu einlädt, alternative Methoden für die Verbreitung und den Austausch von kulturellen Produktionen und Wissen darzustellen. Das Leitmotiv hierfür ist die nichtklassische Form des Archivs, das als leere und zugleich bespielbare Leinwand dient. Wie eingangs beschrieben geht es darum, das Archiv als Medium für Reflektionen und zugleich für das, was schon da ist, bleibt und sich weiter transformiert, in den Mittelpunkt zu stellen.
"The Living Archive" im Kontext von Kunst und Kultur soll die imaginäre/kreative und sinnliche Sphäre miteinbeziehen – als Teil des Daseins und des Alltags. Bei dieser virtuellen "Studio Visit" werden zum einen Künstler_innen präsentiert, die sich ganz bewusst in ihren Arbeiten mit Archivmaterial in Form von Bild, Text und Musik auseinandersetzen. Dabei setzen sie die Bezüge von Identitäten, Geschichte, Erinnerungskultur zu Diskursen von Kolonialität und Postkolonialismus. Zum anderen sind es Künstler_innen, die im Rahmen dieses Dossiers den gezielten Auftrag erhielten, durch die medialen Wege von Ton- und Videokunst Prozesse der alltäglichen Lebenswelt und der kollektiven Gegenwart festzuhalten und ihre jeweilige künstlerische/imaginäre Sicht dazuzugeben.