Die kürzlich mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete Serie „Uncivilized“ erzählt von medialen Großereignissen, postmigrantischen Lebensrealitäten und Alltagsrassismus in Deutschland. Ein Gespräch mit dem Produzenten Çağdaş Eren Yüksel für unseren Zwischenraum für Kunst.
Safiye Can und Hakan Akçit: Lieber Çağdaş, du bist ein preisgekrönter Filmregisseur und Filmproduzent und deine letzte Serie Uncivilized wurde u.a. 2025 mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Wie kam es zu diesem Titel?
Der Titel ist eine Anspielung auf die entlarvend rassistische Medienberichterstattung wie sie sich nach dem furchtbaren Angriffskrieg auf die Ukraine ereignet hat. Dort haben diverse internationale Medien von einem Angriff auf „zivilisierte Menschen wie uns“ gesprochen. Damit hat man einen klaren Strich gezogen zu anderen furchtbaren Kriegen, die nicht uns „Zivilisierten“ zu gelten scheinen. Gleiches Narrativ hat Gerhard Schröder übrigens schon einmal geschaffen, als er am 11. September 2001 von einem Angriff auf die „zivilisierte Welt“ sprach. In beiden Fällen stellt sich für mich die Frage: Wer sind die Unzivilisierten?
Die Serie sorgte bei uns im Kurator*innen-Team für viel Gesprächsstoff. Viele Menschen mit Migrationshintergrund finden sich in den Folgen wieder. Wie leicht bzw. schwierig fiel euch im Team die Themenauswahl?
Das fiel uns schwer und gleichzeitig auch leicht um ehrlich zu sein. Rassistische Ereignisse zu benennen, die wir selbst, unsere Freunde, Familien oder unser Umfeld erlebt haben, fiel uns – so traurig es ist – gar nicht schwer. Eine Auswahl daraus zu treffen, die ein möglichst breites, vielfältiges Bild zeichnet, das war schon eher eine Herausforderung. Um hier richtig in die Breite zu gehen, haben wir während der Entwicklungsphase Tiefeninterviews mit Betroffenen von Rassismus geführt. Rund 150 Interviews über einen Zeitraum von einem Jahr. Aus all diesen Geschichten und unseren eigenen Erfahrungen haben wir uns dann für die Ereignisse rund um Nine Eleven, Hanau, Charlie Hebdo, die Stuttgarter Krawallnacht und den Angriffskrieg auf die Ukraine entschieden.
Gäbe es im Nachhinein noch andere Themen, die du gerne als weitere Episoden hinzugefügt hättest?
Es gäbe hier noch mehr als genug Themen und Ereignisse. Auch ließe sich das gleiche Ereignis nochmal aus weiteren, bisher unerzählten Perspektiven erzählen. Rassismus ist ja nicht gleich Rassismus. Weiblich gelesene Menschen, die Schwarze Community, Sinti und Roma… Es gäbe hier noch so viele Perspektiven, die ich alle genauso gern auf deutschen Kinoleinwänden oder im öffentlich-rechtlichen Streaming sehen würde. Auch kommen ja ständig neue Ereignisse und Themen dazu, die immer wieder eine neue Form des Rassismus entlarven: Denken wir an die Berichterstattung und die Stimmung in der deutschen Öffentlichkeit rund um den aktuellen Genozid* in Gaza – so nennen es zahlreiche israelische und internationale NGO’s, die Vereinten Nationen und internationale Expert*innen. Wir Deutschen dagegen haben es geschafft einen entlarvend rassistischen Diskurs rund um diesen furchtbaren Genozid der israelischen Regierung und den furchtbaren Terroranschlag der Hamas zu führen, der auf Kosten migrantisch gelesener Menschen in Deutschland – und gleichzeitig auch auf Kosten des Kampfes gegen echten Antisemitismus – ging.
Welches Feedback habt ihr für Uncivilized erhalten?
Um ehrlich zu sein, wurden wir überschüttet mit positivem Feedback. Sowohl in Form von Nachrichten auf Instagram und TikTok als auch in Form von Mails, die uns oder sogar unsere ZDF-Redaktion erreicht hat. Und bei all den Nachrichten spüre ich dann, wofür ich das alles ja am Ende mache. Nicht, um Filmpreise zu sammeln und sie im Schrank verstauben zu lassen, sondern um Menschen zu erreichen. Auch und vor allem all die Menschen außerhalb der Filmbranche. Ich habe das Gefühl, dass ein Großteil der Filme eigentlich am Ende nur einen exklusiven Kreis anderer Filmemacher*innen auf Filmfestivals und Co. erreicht. Das ist nicht mein Anspruch als Produzent. Der größte Erfolg und das schönste Feedback, dass wir zu Uncivilized erhalten haben, kam von all jenen Menschen, die mit unserer Serie das allererste Mal die ZDF-App runtergeladen und das erste Mal durch und mit Uncivilized ZDF gestreamt haben. Wie schön ist das denn im Vergleich zu Filmpreisen?
Du erwähntest gerade den exklusiven Kreis von Filmemacher*innen in der Filmbranche. Welche Probleme siehst du innerhalb der deutschen Filmbranche?
Zum einen ist die deutsche Filmbranche immer noch sehr homogen. Und das in vielfacher Hinsicht. Die großen Sender, Filmförderanstalten, Jurys, Festivals und andere Institutionen werden mehrheitlich von – sagen wir mal „recht alten“ – Männern angeführt. Diverse Communities, die offensichtlich Teil von Deutschland sind, sind leider kein Teil der Filmlandschaft. Wir sollten nicht vergessen, dass wir am Ende des Tages als Filmschaffende nicht einfach nur Filme schaffen, sondern Realitäten. Und wenn diese Realitäten nicht mehr mit der Lebensrealität mehrerer Millionen Menschen hierzulande matchen, haben wir einfach ein Problem.
Und zum anderen möchte ich aber auch betonen, dass wir an vielen Stellen Fortschritte machen. Nicht an allen und manchmal verdammt langsam. Aber ohne das Vertrauen unserer ZDF-Redaktion „Das Kleine Fernsehspiel“ wäre so etwas wie Uncivilized ja nie entstanden.
Andererseits sitzen aber auch sehr oft AfD-Politiker*innen in Talkshows des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und verbreiten ungestört ihre rassistische Weltanschauung. Was löst es in dir aus, wenn du siehst, dass Politiker*innen einer gesichert rechtsextremistischen Partei so viel mediale Aufmerksamkeit erhalten?
Mir fehlen hier mittlerweile die Worte. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat hier scheinbar leider vergessen, weshalb er damals nach dem Fall der Nazis gegründet wurde: Die Alliierten wollten damit verhindern, dass so ein gewaltiges Machtinstrument wie die Medienlandschaft noch einmal für Propaganda und Manipulation missbraucht wird. Stattdessen sollte es zur Demokratisierung beitragen. Das lasse ich hier mal so stehen. Ich habe dazu übrigens auch eine Petition gestartet, die sich an die Intendantin des WDR – Katrin Vernau – richtet. Rund 26.000 Menschen haben sich dieser Petition angeschlossen. Unser Angebot, sich persönlich mit uns als Initiatoren der Petition zu treffen und gemeinsam darüber zu sprechen, hat Frau Vernau bis heute nicht angenommen.
Du leitest auch Workshops an Schulen. Wie kam es dazu und welche Idee steckt dahinter?
Zeitgleich zu meinem allerersten Dokumentarfilm „ASYLAND“ habe ich damals mit Freunden den gemeinnützigen Verein Teller ohne Rand gegründet, in dem ich mich bis heute als ehrenamtlicher Vorstand engagiere. Mit dem Verein bringen wir Filme an Schulen und ergänzen diese mit Workshops rund um Themen wie z.B. Rassismus oder mentale Gesundheit. Unsere Idee ist recht simpel: Wir können nicht jeden Rassisten in Deutschland davon überzeugen, kein Rassist mehr zu sein. Aber wir können an Orten wie Schulen, in denen Kinder quer aus allen sozialen Sphären zusammenkommen, verhindern, dass weitere Rassisten überhaupt erst entstehen.
Ähnlich verhält es sich mit deinen Filmen. Auch sie verhindern, dass weitere Rassisten entstehen. Du musst also noch viel mehr Filme drehen. Wie sehen deine nächsten Projekte aus?
Ich darf diverse Filme und Serien produzieren und entwickeln, auf die ich mich alle sehr freue. Darunter z.B. eine 10-teilige Doku-Serie über die Kölner „Keupştrasse“ oder einen Kinospielfilm über einen Jugendlichen und seine sehr persönliche Auseinandersetzung mit der muslimischen Community, seinem Wertekomplex und seiner Beziehung zu Deutschland.
Nur aus reiner Neugier: Wo steht eigentlich die Grimme Trophäe?
Die stand bis zuletzt noch bei mir im Produktionsbüro. Zumindest bis vor kurzem, bis Bilal und ich uns entschieden haben, unsere Grimme-Preise zurückzugeben – aus Protest an dem katastrophalen Umgang des Grimme-Instituts und seinem nahegestellten Verein „Freunde des Adolf-Grimme-Preises“ in der Causa Judith Scheytt. Die Preise haben wir nach Marl zurückgeschickt. Wo sie nun dort liegen oder ob sie bereits entsorgt wurden, das weiß ich nicht.
*Die Heinrich-Böll-Stiftung weist darauf hin, dass die Einordnung als „Genozid“ in Wissenschaft und Politik unterschiedlich bewertet wird und weiterhin Gegenstand kontroverser Debatten ist.