Zwischen Feminismus und Frauenhass: Frauen und Queers of Color im Deutschrap

Analyse

Die deutsche Rapwelt steht Kopf: Während sich männliche Idole des Deutschraps der Kritik an ihren sexistischen Texten und Verhaltensweisen stellen müssen, erklimmen immer mehr weibliche und queere BIPoC Rapper*innen die Erfolgsleiter zum Rap-Olymp. Bringen sie den nötigen Wandel in der Szene?

Portrait von Nashi44
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Für diesen Beitrag hat Autorin Nila Sarabi mit der Rapperin Nashi44 gesprochen

HipHop ist die wichtigste und größte Jugendkultur der Welt. Auch in Deutschland verbindet HipHop die unterschiedlichsten Menschen aus allen Schichten und Teilen der Republik. „Modus Mio“ etwa, die laut eigener Angaben des Streamingdienstes Spotify, wichtigste HipHop Playlist Deutschlands, zählt mehr als 1,7 Mio. Abonnent*innen. Nur die besten neusten Tracks erfolgreicher Rapper*innen schaffen es auf diese exklusive Liste und werden damit von unzähligen Hörer*innen gestreamt. Und auch in den klassischen Massenmedien, ob im Radio, Fernsehen oder in der Zeitung, kommt heute kaum jemand mehr um HipHop herum. Deutschrap ist hierzulande allgegenwärtig und zudem eine der wenigen Sphären, in denen ethnische Diversität ganz selbstverständlich die Regel, nicht die Abweichung ist. Insbesondere für junge postmigrantische Generationen hat Deutschrap dementsprechend ein zum Teil identitätsstiftendes Moment. Bei einem zweiten Blick auf die Playlist von Spotify fällt jedoch auf, dass dort zwischen den Rap-Größen dennoch etwas zu fehlen scheint: Frauennamen.

Wenn Misogynie Platin geht

Nur vereinzelt finden sich weiblich gelesene und/oder queere Interpret*innen zwischen Rappern wie Nimo, Luciano oder Ufo361, die allesamt einen Stammplatz in der Playlist besitzen. Dass Frauen und queere Personen überhaupt eine Rolle in der Rap-Szene spielen, ist auch eine eher neue Entwicklung. Denn Deutschrap ist seit jeher männlich. Und damit ist vor allem die cis-heteronormative, toxische und stark frauenverachtende Art von Männlichkeit gemeint.

Immer wieder entfachen Debatten um die gewaltvollen Texte deutscher Rapper, die Frauenhass und Rape Culture relativieren und glorifizieren. Verbale Gewalt gegen Frauen und sexistische Aussagen lassen sich auch problemlos in der millionenfach gestreamten Playlist „Modus Mio“ finden. Deutschrap wird immer wieder dafür kritisiert, dass sexistische und queerfeindliche Inhalte so ein Teil der Sprache, des Alltags und der Realität seiner Höher*innen werden. Andere Stimmen aus der Rap-Szene meinen hingegen, dass die Inhalte schlicht mit Tabus spielen und die gesellschaftlichen Strukturen und Probleme widerspiegeln. So oder so, Misogynie – also „Frauenhass“ bzw. die radikale Abwertung von Frauen – wird reproduziert und geht dabei Platin.

Gleichzeitig fand und findet in Deutschlands Rap-Szene auch ein Wandel statt. Die Männer-Domäne wird aufgemischt. Queere und weibliche BIPoC Rap-Acts thematisieren sexuelle Selbstbestimmung, Sexismus oder Rassismus in ihren Songs und bringen damit die ursprünglichen Werte des HipHop als ein Sprachrohr der Unterdrückten zurück auf die Bildfläche.

Von der Gesellschaftskritik zum Exportschlager

Denn um die Deutschrap-Szene zu verstehen, muss man zunächst einen Blick auf seine Ursprünge werfen. HipHop ist eine kulturelle Bewegung, die dem New York der 1970er Jahre entsprang und sich schnell von einer Street Culture der sozial benachteiligten Wohngegenden von BIPoCs in den USA durch Kommerzialisierung zum kulturellen Exportschlager entwickelte. Musik ist und war dabei immer ein zentraler Bestandteil, doch die HipHop-Kultur setzt sich aus mehreren Bausteinen zusammen, namentlich den vier Elementen: Rap, DJing, Breakdance, und Graffiti. Die HipHop Szene entstand vor allem auf der Straße, wo sich junge Menschen, getrieben von gesellschaftlichen Missständen wie Rassismus, Polizeigewalt und Armut, öffentlich versammelten und dabei kreative Ausdrucksformen für ihren Unmut kreierten.

In den 1980er gingen dann die vier Elemente auch schließlich in den Zeitgeist der deutschen Jugendlichen über. Sowohl in der BRD als auch in der DDR entstanden Communities von MCs (Rappern), DJs und BBoys (Breakdancern). Wie bereits in den USA, spaltete sich in Deutschland die Rap-Szene in den 1990er Jahren auf. Zum einen waren da MCs der alten Schule, die vor allem politischen Rap produzierten und an den ursprünglichen anti-kommerziellen Werten des HipHops als Ausdrucksform einer Gesellschaftskritik festhielten. Advanced Chemistriy beispielweise gelang ihr Durchbruch mit dem Song „Fremd im eigenen Land“, dessen Lyrics sich vor dem Hintergrund aktueller Geschehnisse und Debatten um strukturellen Rassismus in Deutschland ohne Probleme in das Jahr 2022 übersetzen ließen. Zum anderen dominierten aber vor allem kommerzielle Rapper die Charts mit Musik zum Feiern und nicht zum Hinterfragen gesellschaftlicher Verhältnisse. Und auch Frauen sowie LGBTIQ+ Personen spielten bis auf wenige Ausnahmen nur eine marginale Rolle als Statist*innen oder Groupies in der Szene. Das änderte sich erst 20 Jahre nach dem Entstehen einer HipHop-Szene in Deutschland.

Female-Rap ist Empowerment

Rapper*innen wie Sokee oder Lady Bitch Ray waren Anfang der 2000er Jahre, neben wenigen anderen weiblichen Rap-Acts, Pionierinnen als Rapperinnen in Deutschland und verbanden Deutschrap mit feministischer Subkultur. Sokees Texte beschäftigten sich kritisch mit Machtstrukturen, sie rappte über Homophobie, Sexismus und Rassismus in Deutschland allgemein und in der Deutschrap-Szene spezifisch. Lady Bitch Ray ist hingegen für ihre sexpositiven Texte bekannt, die in der Vergangenheit immer wieder kontrovers diskutiert wurden. Mit ihren Inhalten über sexuelle Selbstbestimmung von Frauen emanzipierte sie sich von konservativen Frauenbildern und konstruierte ein Gegengewicht zur sexistischen und cis-männlichen Dominanz im Deutschrap.

Doch mittlerweile erobern immer mehr Frauen, die meisten von ihnen BIPoC und einige wenige queere, auch über die feministische Subkultur hinaus, mit Rap die Plattenlabels, Bühnen und Charts. Die Liste von Rapperinnen, die nicht länger Inhalt von Rap-Texten und Musikvideos sein wollen, sondern Urheberinnen, wächst und wächst. Wenn Frauen rappen und in der Deutschrap-Szene sichtbar sind, hat es immer etwas Emanzipatorisches und Empowerendes. Während einige sich der gängigen Klischees, Frauenbilder und sexistischen Sprache der Rap-Szene bedienen und diese durch ihre Aneignung gleichzeitig diskreditieren, brechen andere Raper*innen ganz mit ihnen, nehmen sie verbal auseinander und thematisieren eigene Sexismus- und Rassismus-Erfahrungen.

Nura rappt von Polizeigewalt, sozialer Ungleichheit und Rassismus. Ebow hinterfragt das kapitalistische System, textet zu postmigrantischer Identität und der Selbstermächtigung von BIPoC Frauen. Leila Akinyi, die Ikone des deutschen Conscious Rap, verbindet Rap und Soul sowie Deutsch und Swahili und schafft mit ihren Versen einen Raum für die Erfahrungen Schwarzer Frauen.

Weiblich gelesene und queere BIPoC Rap-Acts haben den politischen Rap zwar nicht erfunden, doch sind es vor allem sie, die mit ihrer Musik immer häufiger aktuelle gesellschaftliche Probleme ansprechen und postmigrantischen jungen Menschen damit eine Stimme verleihen. Immer mehr fordern sie ihren Raum in der Szene ganz selbstverständlich ein. Auch die Newcomerin Nashi44 will im Deutschrap Fuß fassen. Sie rappt von ihren Erfahrungen als asiatisch-gelesene Frau in Deutschland. Ihre Texte handeln von anti-asiatischem Rassismus, der erfahrenen Exotisierung hin zur Hypersexualisierung asiatisch gelesener Frauen. Damit richtet sie ihren Blick auf eine spezifische Form von Rassismus, die vor der Corona-Pandemie lange Zeit kaum bis keine Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit sowie im Deutschrap erfahren hat:

„In meiner Musik kommt einfach all das vor, was ich erlebe und dazu gehören Themen wie Liebe und Streit, aber nun mal auch Rassismus und Sexismus. Ich möchte mit meiner Musik empowern und an die BIPoC Community sowie die asiatische Diaspora in Deutschland etwas zurückgeben, womit sie sich identifizieren können. Daraus schöpfe ich meine Kraft, wenn Menschen sich in meinem musikalischen Output wiederfinden und gehört fühlen. Das ist etwas, was ich mir als kleines Kind gewünscht hätte.“

Doch auch wenn die Zahl von Rapper*innen in den letzten Jahren gestiegen ist, empfindet Nashi es noch lang nicht als einfach für Frauen in die Rap-Szene einzusteigen:

„Als Newcomerin erfahre ich zwar auf der einen Seite sehr viel Support von Leuten, die das gleiche oder ähnliche Erfahrungen machen wie ich. Auf der anderen Seite erreichen mich aber auch echt viele sexistische Kommentare und Hass, was bei männlichen Rappern so einfach nicht vorkommen würde. Das ist sehr belastend, wenn du am Anfang stehst und dich auf deine Musik konzentrieren möchtest.“

Damit Deutschrap tatsächlich sein Sexismus-Problem überwinden kann, müsste sich noch so einiges in den Strukturen ändern. Das ist nicht mit ein paar mehr erfolgreichen Frauen getan. Ja, Labels nehmen mittlerweile mehr weibliche Rap-Acts unter Vertrag, es gibt sogar HipHop Magazine, Plattenlabels, Podcasts und Blogs, die sich ausschließlich mit weiblichen und queeren Rap-Acts beschäftigen. Doch das darf nicht über die anhaltende Unterrepräsentanz in der gesamten Industrie hinwegtäuschen – sei es vor oder hinter der Kamera, in den HipHop Medien sowie ganz besonders in den Chefetagen. Es sind vor allem Männer, die entscheiden, wer unter Vertrag genommen und gefördert wird und wer nicht – und das häufig auf Kosten von weiblich gelesenen und queeren Personen. Es besteht also noch immer ein großes Ungleichverhältnis in der Industrie, das heterosexuelle cis-männliche Rapper klar bevorzugt.

Nashi44 sieht die Strukturen der Industrie auch als große Herausforderung für die Sichtbarkeit von politischem Rap:

„Ich glaube, Deutschrap hat großes Potential, politische Themen für die BIPoC Communities anzusprechen. Wenn man auf die Geschichte von HipHop zurückblickt, hat es ja genauso begonnen: Es war das Medium, mit dem gesellschaftliche Probleme beklagt werden konnten. Doch es ist vor allem eine Frage dessen, wer und welche Art von Deutschrap eine Plattform bekommt. Momentan ist das leicht verdauliche Musik, die nicht oder zumindest nicht offensichtlich politisch ist. Ich denke, es kommt ganz darauf an, welche Künstler*innen von den Major-Labels supportet werden.“

Portrait von Rapperin Nashi44

Asian Berlin Pussy Power. Nashi44 (@nashi_44_) ist eine viet-deutsche Rapperin aus Berlin-Neukölln. Mit Rap-Videos auf Instagram hat sie sich bereits vorab einen Namen gemacht und bewiesen, dass sie sowohl Attitude, als auch jede Menge Skills mitbringt. Ob empowernde Tracks mit politischen Ansagen oder humorvolle Punchlines und melodische R’n’B-Vibes - Nashi44 hat große Pläne und sogar ihr Jazz- und Popgesang-Studium dafür aufgegeben.


Peace, Respect and Unity

Aktuell lässt sich mit sexistischen Versen von heterosexuellen cis-männlichen Rappern also noch das meiste Geld verdienen. Sexualisierte Gewalt ist dabei ein gesamtgesellschaftliches Problem, die Deutschrap-Szene bildet es als ein Mikrokosmos nur offensichtlicher ab – wie nicht zuletzt #deutschrapmetoo letztes Jahr gezeigt hat(1). Es herrscht zudem zu wenig Sensibilität in der Industrie und unter den Hörer*innen. Doch mit der wachsenden Sichtbarkeit weiblich gelesener und queerer Personen in der Szene scheint auch ein Wandel in Gang gebracht worden zu sein. Immer mehr weiblich gelesene und queere Rap-Acts schaffen es, die junge Generation postmigrantischer Communities mit politischen Inhalten über Sexismus, Rassismus und Macht abzuholen. Sexuelle Selbstbestimmung, die eigene Sexualität offen zu zelebrieren, sich von den klassischen Rollenzuschreibungen zu emanzipieren, mit denen sich z.B. muslimische und Schwarze Frauen, aber auch Frauen anderer postmigrantischer Communities sehr häufig konfrontiert sehen – das alles kann und leistet der Deutschrap von weiblich gelesenen und queeren Rapper*innen of Color. Bis Frauen und insbesondere queere Personen auf Augenhöhe in der Rapwelt angekommen sind, ist es zwar noch ein weiter Weg. Doch es sind gerade sie, die die Essenz von HipHop –„Peace, Respect and Unity“ –  im kommerziellen Deutschrap am Leben erhalten. 

 


(1) Unter dem Hashtag #deutschrapmetoo teilten Betroffene sexualisierter Gewalt in der Deutschrap-Szene ihre Erfahrungen in den sozialen Medien und lösten eine breite Debatte über Sexismus und sexualisierte Gewalt in der Rap-Industrie aus. Ausgelöst wurde dies durch Vergewaltigungsvorwürfe gegen einen erfolgreichen Rapper. Visa Vie, eine bekannte deutsche HipHop Moderatorin, äußerte sich ebenfalls auf ihrem Instagram-Kanal: „Ich habe in den letzten 12 Jahren in der Rapwelt von so vielen Fällen von sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen gehört, sie selbst mitbekommen oder am eigenen Leib erlebt, dass es Monate dauern würde, all die Erlebnisse zu (er)zählen, oder in ihren fürchterlichen Details zu rekonstruieren. (…) Ich bin unglaublich erleichtert, dass der Mut einer Betroffenen dazu geführt hat, dass wir jetzt endlich anfangen öffentlich darüber zu sprechen. Es hat viel zu lange gedauert, dass das kollektive Schweigen über die systematische sexuelle Ausbeutung, Gewalt und Demütigungen und Drohungen gegenüber Frauen in der Rapwelt gebrochen wurde.“