Weil ich dich eigentlich liebe, Hanau

Nouha El Jazouli ist Stadtschulsprecherin in Hanau und engagiert sich in der Bildungsinitiative Ferhat Unvar. Zum Zeitpunkt des Anschlags war sie 12 Jahre alt. In ihrem lyrischen Text reflektiert sie, wie der Anschlag ihr Leben und die Stadt verändert hat.

Bei einer Gedenkveranstaltung am 19.02.21 wird ein Schild hochgehalten mit einem schwarzen Herz in der Mitte, durch das oben ein weißer Riss geht. Darüber steht Hanau 19.02., darunter Erinnern heißt Verändern - Erinnern heißt Kämpfen
Teaser Bild Untertitel
Gedenken an den rassistischen Anschlag in Hanau, Berlin 2021

19. Februar
Fünf Jahre her
Doch wieder am selben Ort
eine Leere
legt sich über dich
fühlt sich an wie 
der Morgen nach Silvester:
einsam und kalt, 
die Straßen atmen noch 
die Nacht aus,
Hanau.

Mein Zuhause.
Mein Geburtsort.
Zerstört
nicht am 19. März 1945
sondern am 19. Februar 2020.

Damals die Innenstadt
heute die Gesellschaft.
Frag doch mal den Frankfurter Anzeiger
selbst er hat es gesagt:
„Eine gespaltene Stadt.“

Doch ich kämpfe, Hanau
um dazuzugehören.
Raus aus den Schubladen
in die Welt.

Ich war nie Deutsche,
ich war nur Hanauerin. 
Und jetzt
Keine Heimat mehr.
Heimatlos –
oder doch grenzenlos?
Grenzenlos am Beweisen
Herausstechen
Verändern.

Ein Kind aus migrantischer Familie
das unbedingt zeigen muss,
anders zu sein. 
Selbst meine Eltern sagen
ich muss mehr tun als andere
um wenn überhaupt
dasselbe zu erreichen.

Hanau hat gezeigt,
dass ich für einige Menschen falsch bin.
Wahlergebnisse zeigen,
dass ich für Viele nicht erwünscht bin.
Die Gesellschaft hat gezeigt,
dass ich nichts wert bin.
Die Politik zeigt mir,
dass „im großen Stil“ abgeschoben werden muss.
Die Schule zeigt mir,
dass nur Noten und Engagement mein Schutzschild sein können.

Alles zeigt mir
dass ich nicht genug Hanau bin
und niemals genug Hanau sein kann.

Denn als die einen getötet wurden,
haben die anderen Fasching gefeiert.
Als die einen erschossen wurden,
zeigte die Gesellschaft sich gespalten.

Hanau:
auch ich hätte Opfer sein können
und niemand wäre da gewesen, 
um mich zu schützen.

Hanau:
ich kann alles geben
doch wenn ich getötet werde,
bin ich es nicht wert,
in Form eines Denkmals
am zentralsten Punkt Hanaus zu stehen:
Auf dem Marktplatz.

Ich würde nicht für eine Schande stehen, 
sondern an die dunkelste Stunde Hanaus erinnern.

Ich erinnere an die Menschen,
die in dieser Stunde ihr Leben geben mussten
und Hanau schafft es nicht,
zu erinnern.

Opa ist 1968 hierhergekommen,
um dich aufzubauen, Hanau.
Aber in deinen Archiven steht nicht sein Name,
sondern die Namen derer, die dich zerstört haben.
Papa ist hier aufgewachsen
blickte über die Kaserne
Und arbeitete
Immer für Hanau.

Ich bin hier geboren.
Hier in den Kindergarten
hier in die Grundschule
hier aufs Gymnasium gegangen.

Für dich engagiert 
weil ich lebe
und weil ich dich eigentlich liebe, 
Hanau.

Ich bleibe stehen.
Grüße meine Mitbürger,
doch sie laufen einfach weiter.
Ich gehe ins Theater
und die Menschen rechnen nicht mit mir.
Wenn ich sage
ich bin Stadtschulsprecherin
glauben sie mir nicht,
weil „so eine wie ich“
so etwas nicht macht
Oder?

Hanau.
Ich gehe auf den Markt
und werde von jedem beäugt,
weil Frauen wie ich
dort nichts zu suchen haben.

Ich werde niemals genug sein, Hanau.
Denn ich werde immer nur
Die eine sein
„die mit dem Kopftuch, die versucht, anders zu sein“.

Was soll ich noch tun, Hanau?
Muss ich erst erschossen werden,
bis ich zu Nouha werde
und nicht mehr 
„die mit dem Kopftuch“ bin?

Hanau, siehst du mich
Hanau, hörst du mich