Aufnahmebereitschaft und Staatsversagen – Bilanz der Fluchtaufnahme seit 2015 und 2022

Analyse

Zehn Jahre nach dem "Sommer der Migration" werden die damaligen Entwicklungen und Entscheidungen noch immer kontrovers diskutiert. Welche Unterschiede zeigen sich im Vergleich zur Aufnahme von Schutzsuchenden aus der Ukraine 2022? Was lief gut – und was muss besser werden? Dietrich Thränhardt zieht Bilanz.

An einem Balkon hängt ein Transparent mit der Aufschrift "Refugees Welcome"

Die Fluchtbewegungen 2015 und 2022 

Zehn Jahre nach dem „Sommer der Migration“ mit den bewegenden Bildern des an die türkische Küste gespülten toten Kindes Alan Kurdi, der Flüchtlingsboote in der Ägäis, der Menschenkolonnen an den Grenzen, der Freiwilligen am Münchner Hauptbahnhof und der Bild-Zeitungs-Kampagne „Wir helfen BILD“ (2015) sind die damaligen Entwicklungen und Entscheidungen immer noch kontrovers. Merkels „Wir schaffen das“ wird hin und her gewendet, ihr positives Fazit steht neben Seehofers Ausspruch von der Migration als „Mutter aller Probleme“ und der aktuellen Forderung von Bundeskanzler Merz, der Koalitionspartner solle „migrationskritisch“ sein (Tagesschau 2025). Mit dieser pauschalen Formulierung setzt Merz die quälenden Auseinandersetzungen fort, die insbesondere zwischen CDU und CSU geführt wurden und zum Erfolgsthema der AfD geworden sind. Diese aufgeregten Debatten, oft ohne praktische Relevanz und Umsetzung, haben das politische Klima und das Parteiensystem verändert und Unsicherheitsgefühle geschaffen.

Abb. 1: Die Fluchtbewegungen nach Deutschland 2013-2024

Infografik, die die Asylerstanträge nach Staatsangehörigkeit sowie neu gemeldete Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine pro Jahr von 2012-2025 zeigt
Flucht nach Deutschland. Asylerstanträge nach Staatsangehörigkeit sowie neu gemeldete Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine pro Jahr. Grafik: © Der Spiegel. Quellen: AZR, Bamf

Weit weniger Emotionen hat die große Fluchtwelle aus der Ukraine freigesetzt, obwohl diese mehr Menschen nach Deutschland gebracht hat, und zudem in plötzlich wenigen Wochen (Abb. 1). Betrachtet man die Zahlen für ganz Europa, so ist die Diskrepanz noch stärker: während 2015 etwa eine Million Flüchtlinge Europa erreichten, waren es 2022 über vier Millionen aus der Ukraine – die größte Fluchtbewegung in Europa seit 1945/46. Während 2015 ein heftiger Streit über die Aufnahme in der Europäischen Union ausbrach, der bis heute nachwirkt, einigten sich die EU-Minister 2022 schon eine Woche nach dem russischen Angriff auf eine gemeinsame Aufnahme. Zwischen den Aufnahmeländern gibt es bis heute keine Konflikte um die Ukrainer*innen. Während seit 2015 jede Grenzöffnung für Asylbewerber*innen umstritten war und umstritten blieb, sind die Grenzen für die Menschen aus der Ukraine offen. Sie konnten selbst entscheiden, in welches Land sie flüchten wollten. Nach den ersten Wochen flaute das Medieninteresse an den ukrainischen Flüchtlingen ab und seitdem gibt es wenig Berichterstattung – ganz im Unterschied zu den ständigen erbitterten Debatten um Asyl und die Entscheidungen von 2015. Im Gegensatz zu allen Befürchtungen hat „free choice“ für die Ukrainer*innen die Aufnahme einfacher gemacht. Die radikale Entbürokratisierung auf europäischer Ebene ist in Deutschland allerdings nicht nachvollzogen worden.

Beide Male gab es hohe Erwartungen an die Arbeitsaufnahme und die Lösung der Engpässe auf dem Arbeitsmarkt. Ist die langsame Arbeitsintegration der Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern des Mittleren Ostens vielfach mit Bildungsferne oder kultureller „Andersartigkeit“ erklärt worden, so ging es 2022 um eine Gruppe besonders gut ausgebildeter Menschen und vor allem Frauen. Wenn auch diese Gruppe in Deutschland sehr langsam Arbeit findet und dabei der Anteil ausbildungsadäquater Beschäftigungen über die Jahre sogar gesunken ist, dann drängt sich die Frage nach hausgemachten Gründen auf.

Die Teilhabe am Arbeitsmarkt ist nicht umsonst im Zentrum der öffentlichen Debatte angekommen. Finden Flüchtlinge Arbeit, so tragen sie zum Gemeinwohl bei und finden Selbstbewusstsein, Anerkennung und kollegiale Kontakte. Sie können ein neues selbstbestimmtes Leben beginnen. Bleiben sie über Jahre ohne Arbeit, so verfällt ihr Berufswissen, ihr Selbstwertgefühl leidet, sie werden als Belastung wahrgenommen und bleiben isoliert. Zudem werden Arbeitskräfte inzwischen in Deutschland überall gesucht.

Eine wichtige Frage richtet sich auf das Verhältnis zwischen privater Hilfsbereitschaft und staatlicher Regulierung. Sowohl 2015/16 wie 2022 war die Hilfsbereitschaft groß, breite Kreise der Bevölkerung beteiligten sich. 2022 konnte die Zivilgesellschaft sehr viel intensiver helfen als 2015. Während damals alle Flüchtlinge staatlich oder kommunal untergebracht wurden, oft in großen Zelten und Massenunterkünften, nahmen 2022 private Haushalte in Deutschland Hunderttausende und europaweit Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer auf (Thränhardt 2023). Während die Aufnahme 2015 überall ein kommunaler Kraftakt war, lief die private Aufnahme effektiv und ohne Turbulenzen. Die persönliche Beziehung war hilfreich für das Lebensgefühl und die soziale Verankerung (Herpell et al. 2025). Ohne die breite private Initiative wären die europäischen Staaten überfordert gewesen. Auch nach den großen Ankunftswellen ging die ehrenamtliche Unterstützung weiter. Bei der Aufnahme der Menschen aus der Ukraine konnten die Helfer*innen produktiv mit den Behörden zusammenarbeiten, im Unterschied zu der Situation beim Asyl, wo sie sich zuweilen an den formalen Vorschriften aufrieben und sich an Ämtern abarbeiteten, die selbst überfordert waren (Schlee / Schammann / Münch 2023). Irland löste seine Aufnahmeprobleme durch eine pauschale 400-Euro-Förderung der Gastgeber, die später auf 800 Euro erhöht wurde.

Ineffiziente Asylverfahren, Retraumatisierung, Kosten, verzögerte Integration

Im „Sommer der Migration“ 2015 wurden die syrischen Flüchtlinge zwar staatlich untergebracht und versorgt, aber die Bearbeitung der Asylanträge zog sich lange hin. Arbeitsverbote, Wartezeiten und bürokratische Abläufe behinderten die Arbeitsaufnahme. Das IAB hat berechnet, dass Männer aus dieser Gruppe nach acht Jahren zu 86 Prozent Arbeit gefunden haben, Frauen aber nur zu 33 Prozent, überwiegend zu niedrigen Löhnen (Brücker et al 2025). Die Steigerung der Arbeitsbeteiligung der Männer ist erfreulich, die der Frauen gering. Insgesamt muss aber konstatiert werden, dass es bis zur Arbeitsaufnahme lange gedauert hat und dass die Unterstützungs- und Verwaltungskosten über diese Zeit erheblich sind. Dabei geht es überwiegend um Menschen im besten Arbeitsalter, die ihre Energie lange nicht ausschöpfen können. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Länge der Asylverfahren.

2016 hatte die Bundesregierung dies scharf kritisiert. Sie schrieb:

"Die Asylverfahren sind mit einer derzeit durchschnittlichen Dauer von knapp sechs Monaten zu lang. Die betroffenen Personen leben demzufolge entsprechend lange in Unsicherheit über ihr weiteres Schicksal. Jene, deren Anträge letztlich positiv beschieden werden und die deshalb zunächst in Deutschland bleiben dürfen, erhalten so relativ spät Zugang zu Integrationsmaßnahmen und benötigen geraume Zeit, bis sie sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen können. Aber auch für diejenigen, die lange auf einen ablehnenden Bescheid warten müssen, erschwert die Dauer der Verfahren eine Rückkehr in ihre Herkunftsländer. … Nicht zuletzt deshalb steigt mit der Verweildauer erfahrungsgemäß auch die Wahrscheinlichkeit von Duldungen nach erfolgten Ablehnungen. Dies wiederum beansprucht Ressourcen, die für anerkannte Schutzbedürftige benötigt werden." (BT-Drs. 18/7203).

Verbessert hat sich seitdem nichts, die damals angestrebte Bearbeitungszeit von drei Monaten ist niemals erreicht worden (Tab. 1). Regierung und Öffentlichkeit nehmen die langen Bearbeitungszeiten inzwischen hin. Im Jahr 2025 hat die Dauer der Asylverfahren sogar auf mehr als ein Jahr zugenommen und damit einen nie zuvor dagewesenen Spitzenwert erreicht.

Tab. 1: Dauer der Asylverfahren in Monaten seit 2014

Tabelle Dauer der Asylverfahren in Monaten seit 2014
Tabelle: Thomas Hohlfeld, Referent Fraktion Die Linke (gekürzt). Quellen: Bundestags-Drucksachen 20/15083, 20/12124, 20/8787, 20/6052, 20/940, 19/30711, 19/23630, 19/13366, 18/3850, 18/4980, 18/8450, 18/11262, 18/12623, 19/1631, 19/3861;[1]+X: „Easy Gap“: Verzögerung zwischen erstem Asylgesuch und amtlichem Asylantrag. Seit 2023 Berechnung der Verfahrensdauer erst nach Feststellung der Zuständigkeit Deutschlands. (BT-Drs. 20/8787).

Anträge von Syrer*innen werden seit dem Sturz des Assad-Regimes nicht bearbeitet, Anträge aus dem Gazastreifen erst nach gerichtlicher Anordnung. BAMF-Präsident Sommer hat sich jüngst spektakulär für die Abschaffung des Asylsystems ausgesprochen und scheint auf dem Weg zu sein, es weiter zu verlangsamen. Auch die Qualität der Entscheidungen ist nach wie vor problematisch, 24,4 Prozent der von Gerichten überprüften Entscheidungen erwiesen sich 2023 als fehlerhaft oder rechtswidrig (BT-Drs. 20/12228), drei Viertel der ablehnenden Entscheidungen werden beklagt. Die Verwaltungsgerichte sind dadurch enorm belastet, sie treten noch einmal in die Sachprüfung ein. Versuche, die Verfahren nach dem Schweizer Modell schneller und besser zu machen, sind 2017 unterbunden worden. Der Bericht wurde schubladisiert und vom niedersächsischen Flüchtlingsrat ins Netz gestellt. Das Anliegen wurde seitdem nicht wieder aufgegriffen (BAMF 2017; Thränhardt 2020, S. 41).

Die langen Verfahren führen zu einer Immobilisierung der Asylbewerber*innen. Warten ohne Beschäftigung und ohne Perspektive ist zudem retraumatisierend, während ein rascher Beginn eines neuen Lebens Perspektiven und Sicherheit vermitteln kann. Eine Effektivierung ist dringend geboten, die Verfahren müssen schneller und besser werden (Thränhardt 2019).

Warum sind so viele gut qualifizierte Ukrainer*innen ohne Beschäftigung?

Einen „Rahmen“ zur „Anerkennung der Berufsqualifikationen“ „ohne bürokratische Hindernisse“ empfahl die EU-Kommission den Mitgliedstaaten am 5. April 2022. Möglichst schnell sollten die Ukrainerinnen und Ukrainer Arbeitsplätze finden, die ihren Qualifikationen entsprachen, im Interesse sowohl des „Einzelnen als auch der Aufnahmegemeinschaften“. Es ging um „Gesundheits-, Lehr-, Rechts-, Sozial- oder Handwerksberufe“ und „Engpässe“ in diesen Berufen (Europäische Kommission 2022). Die Empfehlung wirkte wie maßgeschneidert für Deutschland, gerade wegen des viel beklagten Mangels an Kraftfahrer*innen, Erzieher*innen, Ärzt*innen, Apotheker*innen und Pflegekräften. Deutschland setzte die Empfehlung nicht um, selbst die Anerkennung für ukrainische Kraftfahrer*innen dauerte über zwei Jahre (Thränhardt 2024, S. 17). Es blieb bei der vielbeklagten langsamen Anerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen. Pro Jahr werden etwa 60.000 Berufsabschlüsse anerkannt, angesichts von etwa 600.000 ukrainischen Arbeitsfähigen war abzusehen, dass ein Problem entstehen würde. Nach einer Umfrage der Journalistin Kaja Klapsa hatten im Juli 2024 187 ukrainische Mediziner*innen eine Approbation bekommen, 1402 Anträge waren in Bearbeitung. Die meisten Ärztinnen und Ärzte hatten angesichts der hohen Kosten und Hürden keinen Antrag gestellt (Thränhardt 2024, S. 18).

Polen, das mit Tschechien und den baltischen Staaten pro Kopf der Bevölkerung die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat (Abb. 2), verabschiedete dagegen rasch ein Sondergesetz und öffnete den Zugang für „Ärzte und Zahnärzte, Krankenschwestern und Hebammen, Psychologen, Lehre und Forschung an akademischen Einrichtungen, Schulassistenten, wenn sie die polnische Sprache beherrschen, Bergleute und Personen in öffentlichen Ämtern und im Pflegebereich“ (ECRE 2023, übersetzt). Schon im November 2022 lag die Beschäftigungsquote bei 65 Prozent und 54 Prozent hatten eine eigene Wohnung gemietet (Thränhardt 2024, S.26). Für 2024 berechnete die Consultingfirma Deloitte, dass 69 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge in Arbeit seien, dies zu mehr Spezialisierung und höherer Produktivität geführt habe und die polnische Wirtschaft auf Grund der Beteiligung der Flüchtlinge um 2,7 Prozent gewachsen sei (Deloitte/UNHCR 2025). Die flüchtlingsbezogenen Steuereinnahmen überstiegen die Ausgaben wesentlich. Probleme bestünden in Bezug auf Überqualifikation, flüssige Polnischkenntnisse und Ältere.

Der Kontrast zu den hohen Kosten für Migration in Deutschland ist auffällig. Der Bundesfinanzminister hat im August 2025 allein die Kosten für die Unterstützung der Ukrainer*innen in Deutschland mit 25 Milliarden Euro beziffert, ebenso hoch wie die gesamte Unterstützung für die Ukraine.

Abb. 2: Flüchtlinge aus der Ukraine in Europa im Juli 2025

Karte der EU, die die Anzahl von Nicht-EU-Bürger*innen in den einzelnen Mitgliedstaaten zeigt, die aus der Ukraine geflohen sind und bis Ende Juli 2025 unter vorübergehendem Schutz standen.
Karte der EU, die die Anzahl von Nicht-EU-Bürger*innen in den einzelnen Mitgliedstaaten zeigt, die aus der Ukraine geflohen sind und bis Ende Juni 2025 unter vorübergehendem Schutz standen. Grafik: Eurostat

An einigen Stellen gab es auch in Deutschland schnelles Handeln. So stellte der Freistaat Sachsen 2022 rasch ukrainische Lehrkräfte ein, zunächst für die Betreuung ukrainischer Kinder. In einem zweiten Schritt übernahm Sachsen sie später für den allgemeinen Schuldienst, soweit sie ausreichend Deutsch gelernt hatten. Musterbeispiel war eine Lehrerin, die in der Ukraine Deutsch und Englisch unterrichtet hatte. Bayern dagegen formuliert in seinem Internetauftritt nach wie vor rigoros, Lehrkräfte aus Ländern außerhalb der EU und der Schweiz könnten keine „Lehramtsbefähigung auf dem Wege der Anerkennung“ bekommen. Bayern stellt stattdessen „Aushilfslehrer“ mit Zeitverträgen ein. Die Bundesländer gehen sehr unterschiedlich vor, die großen Mathematik-Kompetenzen ukrainischer Lehrkräfte sind nicht genutzt worden.

Generell gestaltete sich die behördliche Aufnahme der Ukrainer*innen in Deutschland langsam und kompliziert, bis zum 1. Juni 2022 stand ein Arbeitsverbot im Gesetz. Anschließend wurden die Ukrainer*innen zu Sprachkursen verpflichtet. Da diese wegen der hohen Zahlen nicht in ausreichendem Maße angeboten werden konnten, ergaben sich lange Wartezeiten und die Arbeitsbeteiligung ukrainischer Frauen ging im Herbst 2022 sogar zurück (Brücker et al 2023, S. 72). Die erhofften langfristigen Erfolge der „Sprache Zuerst“-Strategie stellten sich nicht ein, wie zuerst der hessische Migrationsmonitor (2024, S. 322) grafisch darstellte. Der Anteil unqualifizierter Jobs stieg an, und die guten Qualifikationen der Ukrainer*innen kamen angesichts der fehlenden Anerkennung von Abschlüssen nicht zum Tragen. Im Januar 2025 waren nach der BA-Statistik 45,1 Prozent der Ukrainer*innen als „Helfer*innen“ beschäftigt, aber nur 7,7 Prozent als Spezialist*innen und 8,8 Prozent als Expert*innen.

Angesichts dieser unbefriedigenden Lage startete die Bundesregierung einen „Job-Turbo“ und setzte einen Sonderbeauftragten ein. Die Arbeitsaufnahme sollte gefördert werden, Sprache auch im Job gelernt werden. Trotz des Scheiterns ihrer Strategie hielten das Institut für Arbeit und Berufsforschung und der Sachverständigenrat an „Sprache zuerst“ fest und ignorierten entgegenstehende Fakten und Studien (Kosyakova et al. 2024; SVR 2025, 125-136). Das ist ebenso problematisch wie die Rufe nach „Sanktionen“ oder „harten Bandagen“, wie sie im Gefolge der Polemiken von Seiten führender CSU-Politiker inzwischen auch von etablierten Wirtschaftswissenschaftlern und „Wirtschaftsweisen“ kommen und die Medien füllen1.

Wenn die Anerkennung der Abschlüsse weiter fehlt, werden gut ausgebildete Ukrainer*innen nicht in anspruchsvollen Berufen arbeiten können. Es hilft Deutschland wenig, wenn eine ukrainische Ärztin als Putzfrau vermittelt wird.

Einbürgerung als Bestätigung und Indikator der Integation 

Aufgeholt hat Deutschland im internationalen Vergleich bei den Einbürgerungen, insbesondere bei den Einbürgerungsraten syrischer Flüchtlinge. Von Jahr zu Jahr stiegen die Zahlen. Insgesamt sind bis Ende 2024 28 Prozent der syrischen Flüchtlinge deutsche Staatsangehörige geworden, viele weitere Anträge sind in Bearbeitung. Voraussetzung für die Einbürgerung sind ausreichende deutsche Sprachkenntnisse und finanzielle Selbständigkeit, außerdem Kenntnisse über Staat und Gesellschaft, das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und Straffreiheit, insgesamt also eine breite Integrationsbilanz.

Tab. 2: Einbürgerungen von Syrer*innen 2019-2024

Tabelle, welche die Einbürgerungen von Syrer*innen 2019-2024 zeigt
Quellen: Statistisches Bundesamt, Mediendienst Integration

Schon nach dem alten Einbürgerungsrecht waren Syrer*innen von der Pflicht zur Abgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit nicht betroffen, weil der syrische Staat grundsätzlich nicht ausbürgert, ebenso wie viele andere nahöstliche und lateinamerikanische Staaten. Das deutsche Recht verlangte von Angehörigen solcher Staaten nicht die Aufgabe ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit und die Einbürgerung gestaltete sich deshalb unkomplizierter. Nach dem 2024 geänderten Staatsangehörigkeitsrecht kann die alte Staatsangehörigkeit grundsätzlich beibehalten werden, auch die Wartefristen sind verkürzt worden. Syrer*innen wurden im Jahr 2024 im Durchschnitt nach 7,4 Jahren eingebürgert, schneller als der allgemeine Durchschnitt, der bei 11,8 Jahren lag. Unter den fünf Nationalitäten mit den höchsten Einbürgerungszahlen sind (nach den Menschen aus der Türkei als zweiter Gruppe) weitere Flüchtlingsgruppen zu nennen: Menschen aus dem Irak mit 13.545 Eingebürgerten (6 Prozent aller Iraker*innen in Deutschland) und aus Afghanistan mit 10.085 Eingebürgerten. Flüchtlinge streben schon immer nach Einbürgerung, weil sie von ihren Heimatregimen wenig zu erwarten haben und die deutsche Staatsbürgerschaft ihnen Schutz und Sicherheit gibt (Thränhardt 2017, S. 14).

Im Jahr 2022 wurden in den OECD-Ländern insgesamt 134.000 Syrer*innen eingebürgert (OECD 2024), Deutschland hatte daran trotz seiner hohen Aufnahmezahlen nur einen Anteil von 36 Prozent. Mit den Steigerungen in den letzten Jahren dürfte der deutsche Anteil gestiegen sein und den Proportionen bei den Aufnahmezahlen entsprechen. Das ist ein Durchbruch, der gleichzeitig dazu beitragen kann, Deutschland bei den Einbürgerungen in die Nähe des Durchschnitts der OECD-Länder zu bringen und damit Einwohner- und Bürgerschaft stärker in Einklang zu setzen. Zwischen den Bundesländern bestehen bei der Einbürgerung große Unterschiede, die hauptsächlich mit Kapazitäten und Wartezeiten zu tun haben. Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden in Schleswig-Holstein 7,8 Prozent des Einbürgerungspotentials ausgeschöpft, in Baden-Württemberg aber nur 3,9 Prozent. In den neuen Bundesländern mit ihren höheren Flüchtlingsanteilen waren es in Thüringen 9,3 und in Sachsen 6,2 Prozent.

Insgesamt hat Deutschland damit bei den Einbürgerungen aufgeholt und ist dabei, Staatsvolk und Einwohnerschaft mehr in Einklang zu bringen. Die Reformen von 1999, 2014 und 2024 haben dazu beigetragen und die Abwicklung vereinfacht.

Vorrang für Arbeit statt Scheindebatten

In beiden Fluchtbewegungen haben viele Menschen geholfen, 2022 haben sie ukrainische Flüchtlinge direkt aufgenommen. Der Staat hat die Flüchtlinge mit kostenintensiven Sozialleistungen versorgt, gleichzeitig aber ihre Arbeitsintegration mit Arbeitsverboten, langen Wartezeiten, Genehmigungsvorbehalten und der Nichtanerkennung von Qualifikationen verzögert. Diese Steuerungsverluste haben zu Frustration und Akzeptanzverlust geführt und dazu beigetragen, Migration zum Thema für generelles Unbehagen zu machen. Arbeitsverbote sollten grundsätzlich aufgehoben werden, Arbeit ermöglicht, die Qualifikationen Eingewanderter anerkannt werden. Flüchtlinge können so zum gemeinsamen Erfolg beitragen, statt langfristig Empfänger von Sozialleistungen und Betreuung zu bleiben.

Aktuelle öffentliche Debatten um die Bezahlkarte oder die Umstellung der Ukraine-Unterstützung auf Asylbewerberniveau tragen weiter dazu bei, die Abwicklungen komplizierter zu machen und damit die Funktionsfähigkeit der Behörden zu verschlechtern. Stattdessen sollten Gesetze und Abläufe einfacher und digitaler werden, Arbeitsaufnahme muss im Zweifel Vorrang vor Abschreckung haben. Die Aktivität von Ehrenamtlichen sollte gewürdigt und gefördert, das Potenzial von Geflüchteten so weit wie möglich freigesetzt werden. Gelungen in dieser Richtung ist die Einbürgerungsreform. Sie hat die Abläufe vereinfacht und machte es gut integrierten Migrant*innen möglich, zügig die volle Zugehörigkeit zu Deutschland und die volle Handlungsfreiheit zu erlangen.

Mehrere Menschen in einer belebten Halle, im Hintergrund ein Schild mit „Welcome to Flensburg!“

"Zwischen Willkommenskultur und Abschottung": Konferenz am 21. Oktober 2025 | 10-18 Uhr

Am 21. Oktober laden die Heinrich-Böll-Stiftung und das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) zur Fachkonferenz "Zwischen Willkommenskultur und Abschottung. Eine Dekade Flucht und Ankommen in Deutschland" nach Berlin ein. Gemeinsam mit Expert*innen aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft wird eine differenzierte Bilanz der letzten zehn Jahre gezogen. Es erwarten Sie Keynotes, Panels, Workshops und Poetry Performances.

Hier finden Sie alle Infos zu Programm und Anmeldung.


Literatur

BAMF 2017: Evaluation des Pilotprojektes "Asylverfahrensberatung", unveröffentlichter Forschungsbericht, Entwurf vom 25.9.2017, http://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2018/05/FB_Asylverfahrensberatung_Entwurf170925.pdf.

Bild 29.8.2015: https://www.horizont.net/medien/nachrichten/refugeeswelcome-Bild-setzt-sich-fuer-Fluechtlinge-ein-136118

Bundesregierung 2016: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Registrierung und des Datenaustausches zu aufenthalts- und asylrechtlichen Zwecken, BT-Drs. 18/7203, 6.1.2016.

Deloitte/UNHCR 2025. Document - Poland: Analysis of the impact of refugees from Ukraine on the economy of Poland — 2nd edition (June 2025)

Brücker, Herbert et al. 2023: Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland: Ergebnisse der ersten Welle der IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Befragung. Nürnberg, https://doku.iab.de/forschungsbericht/2023/fb0223.pdf.

Brücker, Herbert/ Philipp Jaschke/ Yuliya Kosyakova 2025: 10 Jahre Fluchtmigration 2015: Haben wir es geschafft? Eine Analyse aus Sicht des Arbeitsmarktes. (IAB-Kurzbericht 17), Nürnberg, DOI:10.48720/IAB.KB.2517

ECRE – European Council on Refugees and Exiles (2023). Temporary Protection Poland. 2023 Update, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2024/06/AIDA-PL_Temporary Protection_2023.pdf. 

Europäische Kommission 2022: Empfehlung (EU) 2022/554 der Kommission vom 5. April 2022 zur Anerkennung der Qualifikationen von Menschen, die vor der Invasion Russlands in der Ukraine fliehen, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32022H0554#ntr7 LI2022107DE.01000101-E0007.  

Herpell, Mathis/ Marbach, Moritz/ Harder, Niklas/ Orlova, Alexandra/ Hangartner, Dominik/ Hainmueller, Jens 2025: The impact of private hosting on the integration of Ukrainian refugees in Germany. Nature Human Behaviour. DOI: 10.1038/s41562-025-02303-5.

Hessisches Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales (2024). Der Hessische Integrati onsmonitor. Daten und Fakten zu Migration, Integration und Teilhabe in Hessen – Fortschreibung 2024. Wiesbaden, https://integrationskompass.hessen.de/fileadmin/integrationskompass/For schung/Monitoring/Downloads/Hessischer_Integrationsmonitor_2024.pdf.

Kosyakova, Yuliya et al. 2024: Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter: Eine internationale Perspektive, IAB-Forschungsbericht 16|2024, (iab.de)

OECD 2024: International Migration Outlook, Paris: OECD

Schlee, Thorsten/ Hannes Schammann/ Sybille Münch 2023: An den Grenzen? Ausländerbehörden zwischen Anspruch und Alltag. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh. 

Stern 2025: BAMF-Chef Sommer hält Brandrede gegen Asylrecht: "Kipppunkt erreicht" | STERN.de

SVR 2025: Reformen, die wirken? Die Umsetzung von aktuellen Migrations- und Integrationsgesetzen. Jahresgutachten 2025, Sachverständigenrat für Migration und Integration, Berlin.

Tagesschau 2025:  https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/merz-sparbrief-klingbeil-…;

Terzenbach, Daniel 2024: https://www.arbeitsagentur.de/datei/integration-von-gefluechteten-menschen-in-den-arbeitsmark-erfahrungsbericht_ba051201.pdf

Thränhardt, Dietrich 2017: Einbürgerung im Einwanderungsland Deutschland, Analysen und Empfehlungen, Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung.

Thränhardt, Dietrich 2020: Die Asylkrise 2015 als Verwaltungsproblem, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 30-32, S. 37-44.

Thränhardt, Dietrich 2019: Schnelligkeit und Qualität. Impulse aus der Schweiz für faire Asylverfahren in Deutschland, Gütersloh:

Bertelsmann-Stiftung 2016, http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2016/maerz/schweizer-impulse-fuer-schnelle-und-faire-asylverfahren-in-deutschland/Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung.

Thränhardt, Dietrich 2023: Mit offenen Armen – die kooperative Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine in Europa. Friedrich-

bert-Stiftung, Bonn, https://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/20088.pdf

Thränhardt, Dietrich 2024: Chancen besser nutzen. Die Arbeitsintegration von Schutzsuchenden aus der Ukraine, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung.

Fußnoten