Rassismus auf dem Wohnungsmarkt: Was kann Deutschland von Schweden lernen?

Bericht

Im November 2017 initiierte der Verein Koinè e.V., der sich für die Vernetzung marginalisierter Minderheiten einsetzt, eine Diskussionsrunde über Rassismus auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Jana Jakob war anwesend und berichtet von ihrem Gespräch mit Remzi Uyguner von der Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt und zieht einen Vergleich mit der Situation in Schweden.

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Collage aus bunten Hausfassaden
Teaser Bild Untertitel
In Berlin herrscht anhaltende Wohnungsnot.

Das Recht auf Wohnen ist ein soziales Menschenrecht der sogenannten zweiten Generation der Menschenrechte, ein Teil des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard. Auch in der Berliner Verfassung ist das „Recht auf angemessenen Wohnraum“ verankert.

”Inwiefern sehen Sie, dass dieses Recht in Deutschland tatsächlich umgesetzt wird?”, frage ich Herrn Uyguner, der in der vor sechs Monaten eingerichteten Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt arbeitet. Der Mann mit dem kurzen grauen Haar schiebt seine Brille auf die Stirn.

”Die Wohnung ist eine Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe. Sie gehört zu meiner privatesten Sphäre, wo ich mich zurückziehen kann und mich erholen kann. Dass dieses Menschenrecht in Deutschland anerkannt ist, sieht man beispielsweise darin, dass das Mietrecht stark ist, dass die Menschen vor willkürlichen Kündigungen geschützt sind und dass Wohnungsdurchsuchungen nur auf richterliche Anordnung erfolgen dürfen.

Insofern sehe ich, dass dieses Recht durchaus berücksichtigt wird. Nur beim Zugang zu diesem Anspruch gibt es Schwierigkeiten, insbesondere für bestimmte Gruppen von Menschen.”

Egal in welche der sechs Kategorien, die vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz als Diskriminierungsgründe festgestellt wurden, eine Person passt, Diskriminierung kann jede und jeden treffen. Bei der Mehrzahl der bisher gemeldeten Fälle handelt es sich um Rassismus gegen Personen, die nicht als deutsch wahrgenommen werden (People of Color), darunter auch viele Geflüchtete und Migrantinnen und Migranten.

Diskriminierungserfahrungen werden häufig schon bei der Wohnungssuche gemacht. Ist die erste große Hürde überwunden und es kommt zur Vereinbarung eines Mietvertrags, so bezahlen Menschen mit (zugeschriebener) Migrationsgeschichte durchschnittlich eine höhere Bruttokaltmiete – trotz schlechterer Wohnsituation.

Nach dem Einzug sind besonders Geflüchtete häufig Alltagsrassismus, Beleidigungen, Bedrohungen oder Sachbeschädigungen seitens der Nachbarn ausgesetzt. Ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt entspannt, ist auch die Anfälligkeit für Diskriminierung wesentlich geringer. Als Umkehrschluss lässt sich der Ernst der Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt und dem anderer Großstädte nur erahnen.

Praktische Hilfe gegen Rassismus

Die Fachstelle bietet neben Informationen zur Antidiskriminierungsarbeit im Bereich Wohnen auch Weiterbildungsangebote, strategische Vernetzung und die Beratung und Begleitung von Betroffenen an. ”Wir helfen beim Verfassen von Beschwerdebriefen und können vor Gericht Beistand leisten“, erzählt Herr Uyguner.

Ich frage nach, wie Diskriminierung konkret nachgewiesen werden kann, da ein Großteil verdeckt geschehe. ”Das werden Sie mir möglicherweise nicht glauben”, antwortet er und nickt, ”aber als wir mit der Arbeit der Fachstelle begonnen haben, dachte ich auch, dass der Nachweis einer Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt sehr schwierig sein würde.

Die Praxis zeigt allerdings, dass man doch einen nicht unbeachtlichen Anteil von Diskriminierungserfahrungen auf die eine oder andere Weise nachweisen kann – etwa in einem Fünftel der Fälle.”

Er erzählt von einem Paar mit griechisch-bosnischem Namen, das sich auf eine Wohnung beworben hatte und eine Absage bekam: ”Das Paar bekommt auch seine Bewerbungsunterlagen zurück, wahrscheinlich durch ein Versehen eines Mitarbeiters des Maklers. Auf der ersten Seite steht handschriftlich ’Nein’.

Auf der zweiten Seite steht ’Nette Menschen, Bekanntschaft eines Hausbewohners, aber ausländischer Name’ Schwarz auf Weiß. Jetzt denkt man, hier können die Betroffenen klagen!” Doch der gegnerische Rechtsanwalt habe entgegnet, dass es sich in diesem Fall lediglich um eine Tatsachenfeststellung handelt.

Dass kein kausaler Zusammenhang bestehen soll zwischen dem „Nein“ auf der einen und dem Vermerk „ausländischer Name“ auf der anderen Seite des Zettels, lässt Remzi Uyguner nur den Kopf schütteln. ”So schwierig kann die Situation manchmal sein. In anderen Fällen merken Makler nicht einmal, dass sie diskriminieren. Da ist der Rassismus fest in den Köpfen drin.”

Um die sogenannten Gatekeeper zu sensibilisieren, die beim Zugang zum Wohnungsmarkt Schlüsselrollen einnehmen, seien Fortbildungen, persönliche Gespräche, eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und gegebenenfalls auch Klagen erforderlich. Insgesamt müsse eine Kultur der diskriminierungsfreien Vermietung entstehen, dem ”Fair Mieten”, wie es die Fachstelle nennt.

Wartelisten gegen Diskriminierung: Erfahrungen aus Schweden

Das einzige Land in Europa, das mehr Asylanträge per Capita als Deutschland bewilligt hat, ist Schweden. Wie sieht die Situation dort aus? Ich rufe Carlos Rojas in Stockholm an. Er ist Autor und oft zitierter Experte zu Fragen der Migration, Segregation und inklusiven Stadtentwicklung.

Durch ein verpixeltes Skype Video winkt mir der Mittdreißiger mit dem kurzgetrimmten Vollbart zu und lacht fröhlich in die Kamera. Er sitzt an seinem Schreibtisch, hinter ihm ein Bücherregal. ”Bei den kommunalen Wohnungsgesellschaften gibt es in Schweden weniger Diskriminierung als in vielen anderen Ländern, da wir ein besonders strenges Wartelistensystem haben”, erzählt er.

Der Sinn dieses Systems, das sowohl von kommunalen, als auch teilweise von privaten Wohnungsgesellschaften angewendet wird, ist es, allen die gleichen Chancen auf eine bezahlbare Mietwohnung zu ermöglichen – auch, wenn das jahrelanges Warten erfordert.

Durch den extrem angespannten Wohnungsmarkt konnten die kommunalen Wohnungsgesellschaften allerdings über Jahre hinweg unzumutbare Anforderungen an ihre Mieter stellen, beispielsweise, dass das monatliche Einkommen der dreifachen Monatsmiete entsprechen musste.

”Hast du drei Kinder und musst eine Vierzimmerwohnung mieten, dann muss dein Einkommen somit bei mindesten 50 000 Kronen (ca. 5000 Euro) monatlich liegen. Einfach sinnlos, aber diese Regel war möglich, da eine sehr große Not auf dem Wohnungsmarkt herrscht.” Carlos Rojas schüttelt unzufrieden den Kopf.

”Außerdem musste in vielen Fällen das Geld für die Miete durch ein festes Einkommen verdient werden. Dies bedeutete, dass Menschen, die von Sozialhilfe leben, keine Wohnung bekommen konnten.” Jetzt haben Stockholm und andere Kommunen beschlossen, diese Regeln zu ändern.

Nun spielt es keine Rolle mehr, wie man sein Einkommen verdient, solange die Miete bezahlt werden kann und die Restsumme über dem Existenzminimum liegt. Somit haben auch Menschen mit niedrigem Einkommen oder instabiler Arbeitssituation die gleichen Möglichkeiten wie alle anderen potentiellen Mieterinnen und Mieter, eine Wohnung auch zu bekommen.

Vorbild Stockholm

”Dadurch, dass Kommunen wie Stockholm mit gutem Beispiel vorausgegangen sind, können sie nun auch Forderungen gegenüber den privaten Akteuren stellen, zum Beispiel, dass Grundstücksverkäufe an bestimmte Bedingungen gebunden sind”, erzählt Carlos Rojas.

Letzten Sommer leitete er im Auftrag der Kommune eine Studie in einem Stockholmer Vorort, der im Rahmen des ”Millionenprogrammes” errichtet wurde – dem Großbauprogramm der schwedischen Regierung in den 60ern und 70ern. Heute werden die hierdurch entstandenen Stadtteile mit den hohen Häusern in den Mainstreammedien meist als ”Problemviertel” abgestempelt.

Durch Interviews fand Carlos Rojas heraus, dass eines der wichtigsten Bedürfnisse der Menschen Wohnungen mit mehr Zimmern sind. Als Konsequenz priorisierte Stockholm die Bewerbungen potentieller Käuferinnen und Käufer, die größere Wohnungen bauen wollten. Eine weitere aus der Untersuchung gezogene Konsequenz der Kommune war es, die Hälfte der neugebauten Wohnungen an Menschen zu vermieten, die bereits im Stadtteil leben.

”Eine syrische Familie mit drei Kindern, die erst seit einem Jahr in diesem Stadtteil lebt, hat überhaupt nicht die Möglichkeit, genug Wartetage anzusammeln und damit eine Chance auf eine kommunale Wohnung zu haben. Reicht ihr Einkommen, hat sie nun die Möglichkeit, eine passende Wohnung in den neuen Gebäuden zu bekommen.

Ich habe das der Kommune vorgeschlagen, um damit die Schwächen des Systems zu kompensieren. Dieses baut ja darauf, dass du eine bestimmte Anzahl von Jahren in Schweden gewohnt hast, was Flüchtlinge nun einmal nicht haben.”

”Det är ju stort! – Das ist doch groß! Wieso hat man dazu nichts in den Medien gehört?” frage ich Carlos überrascht. ”Ja, das finde ich auch”, antwortet er und lacht. ”Stockholm hat nicht so eine große Nummer daraus gemacht, gerade weil es so wichtig ist. So etwas birgt das Risiko von Polemik in sich.”

Bei den kommunalen Wohnungsgesellschaften scheint es also voranzugehen im Kampf gegen den Rassismus. Bei der Wohnungsvergabe, die nicht durch dieses System organisiert ist, sei Diskriminierung jedoch gang und gäbe, erzählt Carlos Rojas.

”Auf Söder zum Beispiel boomt der Markt der Unter- und Zwischenvermietungen.” Die Insel Södermalm ist sicherlich der hippste Teil der schwedischen Hauptstadt, mit kleinen Designer- und Vintageläden und gemütlichen Cafés. Hier kostet ein Quadratmeter Eigentumswohnung im Durchschnitt knapp 8700 Euro. Um an eine Mietwohnung durch die kommunale Wohnungsgesellschaft zu kommen, muss man sich 18 Jahre auf der Warteliste gedulden.

Gleichzeitig ist Södermalm der Stadtteil von Stockholms inneren Bezirken mit dem geringsten Anteil von Bewohnerinnen und Bewohnern, die im Ausland geboren sind. ”Und dort wird diskriminiert: lieber Frau als Mann, lieber vom Land als von der Großstadt und lieber mit schwedischen als mit ausländischen Wurzeln.

Södermalm ist der weißeste Innenbezirk, gerade weil es so viele private Vermietungen gibt. Gleichzeitig ist dies der Stadtteil, wo es die meisten Wählerinnen und Wähler der feministisch-intersektionellen Partei und der Grünen gibt.” Carlos zieht bedeutungsvoll die Augenbrauen hoch.

Von Schweden Lernen?

Zu guter Letzt frage ich ihn, welche Best-Practice-Beispiele seiner Meinung nach Schweden vorzuzeigen hat und wo Deutschland etwas lernen könnte. Er antwortet: ”Wir haben wirklich gute Anti-Diskriminierungsgesetze in Schweden. Sie greifen nur oft nicht und führen selten zu Verurteilungen aufgrund der schwierigen Beweislage. So ist das leider.”

”Gut ist aber, dass wir eine Finanzierung für Diskriminierungsstellen in verschiedenen Teilen des Landes haben. Und auch dass wir nicht mehr verschiedenen Anlaufstellen für unterschiedliche Diskriminierungen haben, sondern einen einheitlichen Diskriminierungsombudsmann. Außerdem ist es gut, dass die schwedischen Behörden stets eine intersektionelle Perspektive haben.”

Doch hier endet schon sein Lob. ”Schade finde ich, dass diese Diskriminierung so wenig fokussiert wird. Wenn über die Situation in Schweden gesprochen wird, dann oft auf eine Art, die sagt, dass Migranten und Geflüchtete ihr Verhalten ändern sollen, um eine Arbeit, eine Wohnung und ihre Rolle in der Gesellschaft zu finden.

Nach meinen Erfahrungen, nach allen Studien, die ich durchgeführt habe und allem, was ich gelesen habe, ist es aber so, dass fast alle, die hierher kommen, erst einmal versuchen, auf dem Arbeitsmarkt und in den sozialen Arenen Fuß zu fassen. Aber dort prallen sie ab. Nach genügend Diskriminierungserfahrungen kehren sie schließlich in ihre geschlossene Gruppe zurück. Und genau hierüber sprechen wir sehr wenig in Schweden. Vielleicht muss erst ein #wetoo kommen, bis das große Beachtung findet.”       

Ähnliche Verhältnisse gelten auch in Deutschland – statt dem Leitgedanken des „Fair Mieten“ steht meist weiterhin gesellschaftlicher Ausschluss von dem Berliner Wohnungsmarkt auf der Tagesordnung.