Bezahlkarte: Stimmungsmache gegen Geflüchtete

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Nach monatelangem Hin und Her in der Koalition haben Bundestag und Bundesrat die Einführung der Bezahlkarte für Asylsuchende beschlossen. Die öffentliche Debatte war von populistischer Stimmungsmache gegen Geflüchtete und fehlender Sachkenntnis gekennzeichnet, schreibt unser Kolumnist Hakan Akçit. Er warnt davor, sich aus Angst vor Wahlniederlagen vor den Karren der Rechtspopulisten spannen zu lassen.

Eine Person bezahlt an einem schalter mit einer Karte.

Am 12. April 2024 hat der Bundestag nach langen Querelen innerhalb der Koalition eine Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes verabschiedet und den Weg für die Bezahlkarte für Geflüchtete geebnet. Am vergangenen Freitag hat auch der Bundesrat zugestimmt. Statt Bargeld sollen Asylsuchende künftig eine guthabenbasierte Karte erhalten, mit der sie ihre alltäglichen Augaben bezahlen können. Zwar wird die Bezahlkarte nur als eine zusätzliche Option betrachtet und die Nutzungsart bleibt Ländersache, aber diese Änderung des Asylbewerberleistungsgesetztes öffnet den Rechtspopulisten und jenen Oppositionsparteien, die sich kurz vor Wahlen gerne im Windschatten rechtspopulistischer Rhetorik tummeln, Tür und Tor für diskriminierende Stimmungsmache. Das Superwahljahr 2024 und die Prognosen für die bevorstehenden Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, die einen Wahlsieg der AfD in allen drei Bundesländern voraussagen, hat wieder die alten Geister der Oppositionspolitik auf den Plan gerufen, die reflexartig das Thema Migration und Geflüchtete für ihre innenpolitische Zwecke nutzen und eine ehrliche Debatte zu diesem Thema dem eigenen Parteikalkül unterordnen.

Stattdessen werden sich populistischer Elemente bedient und der Bevölkerung fleißig der Eindruck vermittelt, geflüchtete Menschen würden sich schamlos der Sozialkassen bedienen und das Geld der deutschen Steuerzahler*innen zweckentfremden, indem sie die erhaltenen Sozialleistungen an Angehörige in ihren Herkunftsländern überweisen, die dann auf Kosten des deutschen Staates ein Leben in Wohlstand führen oder ihre Schulden bei Schleuserbanden begleichen würden. Und schon kocht die konservative Volksseele und die Rufe nach einer Regulierung des imaginären Geldflusses ins Ausland kennen kaum noch Grenzen.

Populismus statt Brandmauer

So soll es nun die Bezahlkarte richten, die als ultimative Lösung und probates Mittel angepriesen wird, denn mit ihr werden angeblich gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: die Zweckentfremdung von Geldleistungen werde unterbunden, der Kampf gegen Schleuserbanden intensiviert und somit die Reduzierung der Fluchtmigration herbeigeführt. Wie üblich lebte der Ministerpräsident von Bayern seinen Aktionismus aus und preschte vor: in mehreren Pilotkommunen/-städten soll die Bezahlkarte testweise eingeführt werden mit einer deutlichen Einschränkung für die Geflüchteten, u.a. keine Online-Einkäufe, Geldüberweisungen an Dritte im Ausland und eine Reduzierung des verfügbaren Bargelds auf 50 Euro, denn mehr Geld sei laut Markus Söder nicht notwendig. Die Schwesterpartei CDU ging noch einen Schritt weiter und stimmte in Dresden einem AfD-Antrag zur Einführung einer Bezahlkarte zu und warf somit die eigenen hochgesteckten Prinzipien über Bord, nie AfD-Anträgen zuzustimmen, egal in welchem Parlament. Doch wenn es um die eigenen parteipolitischen Interessen geht, weist auch die viel gepriesene Brandmauer gegen Rechts Risse auf und die Empörung über das Vorpreschen der Landesverbände, die Friedrich Merz nach der Abstimmung in Dresden vorlebte, erscheint eher halbherzig.

Es wird Stimmung in Deutschland gemacht und Menschen, die sich in prekären finanziellen Lebensumständen befinden, werden gegeneinander ausgespielt. Mit populistischen Aussagen werden Geflüchtete pauschal unlauterer Absichten bezichtigt und bewusst eine Assoziation zu rassistischen Aussagen vergangener Jahre über Scheinasylanten hergestellt. Gezielt wird der Neid jener Teile der deutschen Bevölkerung geschürt, die sich ebenfalls in einer finanziell prekären Situation befinden und die sich durch geflüchtete Menschen ihrer Existenzgrundlagen beraubt fühlen. Die Bildzeitung titelte sogar am 18. April 2024: Erste Bezahlkarten-Bilanz: Jeder vierte Flüchtling reist ab oder geht jetzt arbeiten und implizierte mit dieser Schlagzeile, dass ein Missbrauch von Steuergeldern zuvor existiert habe und diesem endlich ein Riegel vorgeschoben worden sei. Doch ist dem wirklich so? Erschleichen sich geflüchtete Menschen in Deutschland wirklich Sozialleistungen, um diese dann zweckentfremdet zu nutzen und die deutschen Steuerzahler*innen zu betrügen? Und ist die Bezahlkarte ein probates Mittel, um dem entgegenzuwirken?

Trennlinien und fehlende Teilhabe

Was in der gesamten Debatte um die Bezahlkarte oft in den Hintergrund rückt und nur beiläufig erwähnt wird, ist die Tatsache, dass die Bezahlkarte nur für jene geflüchteten Menschen in Frage kommt, die einen Asylantrag gestellt haben, über deren Anträge aber entweder noch nicht entschieden oder deren Anträge abgelehnt wurden und die daher nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen. Also jene Menschen, die ohnehin schon einer permanenten Drucksituation ausgesetzt sind, weil sie tagtäglich mit der Ungewissheit hinsichtlich ihres Status leben müssen, und das überwiegend in Aufnahmeeinrichtungen. Das betrifft ungefähr 30 % der Schutzsuchenden.1 Geflüchtete, deren Asylanträge anerkannt wurden, sowie Geflüchtete aus der Ukraine sind von der Einführung der Bezahlkarte nicht betroffen.

Als wenn dieser Umstand nicht schon Ausgrenzung genug wäre, werden diese Menschen weiter marginalisiert, denn nichts anderes bewirkt die Bezahlkarte. Nun wird auch zwischen Geflüchteten eine Trennlinie vollzogen: Personen, deren Asylanträge anerkannt wurden, erhalten im Bedarfsfall Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (Bürgergeld) und die (noch) nicht anerkannten bzw. abgelehnten Asylbewerber*innen fortan nur noch Bezahlkarten. Die Diskriminierung spiegelt sich nicht nur in der pauschalen Vorverurteilung von Geflüchteten zum Thema Missbrauch von Geldleistungen wider, sondern auch in den Auflagen, die mit der Bezahlkarte einhergehen. Einschränkungen wie z.B. nur die Möglichkeit bei lokalen Anbietern und bestimmten Supermärkten bezahlen zu können, birgt die Gefahr, dass zukünftig die Chancen auf Kommunikation, Mobilität und gesellschaftliche Teilhabe fast gänzlich unterbunden werden und die somit vollzogene Segregation eine zukünftige Integration auf den Arbeitsmarkt bzw. in das Bildungs- und Ausbildungssystem erschwert.

Was die Debatte um die Bezahlkarte ebenfalls erneut gezeigt hat, ist eine fehlende Sachlichkeit und ein Auseinanderdriften wissenschaftlicher Erkenntnisse und politischer Entscheidungen, wenn es um das Thema Flucht und Migration geht. Dass Sozialleistungen ein wesentlicher Pull-Faktor für Fluchtmigration wären, Menschen also vor allem wegen der Sozialleistungen oder speziell der Bargeldzahlungen nach Deutschland flüchten würden, ist vielfach widerlegt. Auch die Erzählung, dass Asylsuchende oder Geduldete viel Geld in ihre Herkunftsländer schicken oder sogar Schleuser dadurch bezahlen könnten, ist in Anbetracht der niedrigen Leistungsbeträge unwahrscheinlich. Die meisten Überweisungen in Herkunftsländer stammen von Migrant*innen, die in Deutschland beschäftigt sind. Die Effekte der Einführung der Bezahlkarte schätzen Expert*innen auch deswegen als gering ein.

Moralischen Kompass nicht verlieren – auch nicht vor den Wahlen!

So eine Politik kann nicht im Sinne einer Gesellschaft sein, die sich die begangenen Fehler der letzten Jahrzehnte bei Fragen der Integration von Arbeitsmigrant*innen eingesteht, diese aber aktuell im Falle der Geflüchteten wiederholt, indem sie die Menschen stigmatisiert und ausgrenzt.

Wir müssen uns also als Bürger*innen einer humanistischen Gesellschaft, die das Asylrecht im Grundgesetz Artikel 16a Absatz 1 zementiert hat, die Frage stellen, inwieweit wir uns auf Kosten einer innenpolitischen Pseudodebatte, die nur zur Generierung von Wählerstimmen dient, von unserem moralischen Kompass verabschieden und Populisten das Feld überlassen. Oder anders formuliert: Inwieweit wollen wir uns als Demokrat*innen und Wähler*innen etablierter Parteien jenseits des politisch rechten Spektrums eingestehen, dass wir beim Thema Integration von Migrant*innen und Geflüchteten auf dem besten Weg sind, erneut zu versagen, weil wir uns aus lauter Angst vor einer Wahlniederlage in den bevorstehenden Landtagswahlen vor den Karren der Rechtspopulisten spannen lassen?

Die heimat.kolumne ist ein neues Format auf Heimatkunde. Hier mischen sich die Publizistin Liane Bednarz und der Schriftsteller Hakan Akçit regelmäßig in aktuelle Debatten rund um den Kampf gegen rechts und die Verteidigung der offenen, pluralen Gesellschaft ein. Liane Bednarz schreibt aus einer liberal-konservativen Perspektive mit Fokus auf die Abgrenzung von konservativem und neurechtem Denken, Hakan Akçit schreibt aus einer postmigrantischen Perspektive mit einem Fokus auf die Einwanderungsgesellschaft und den Kampf gegen Rassismus.

 


1  DESTATIS – Statistisches Bundesamt (2022): Schutzsuchende. Genesis Online